Kobra e.V.
Beratungsstelle für suexuell
missbrauchte Mädchen
Hölderlinstr. 20
70174 Stuttgart
Tel. 0711 – 162970
Frau
Dr. Kellermann-Körber
Böblinger Str. 2
71088 Holzgerlingen
17.01.94
Sehr geehrte Frau Kellermann-Körber,
nach nochmaligem Durchschauen meiner Unterlagen bezüglich Anna Alteck stellte ich erneut fest, dass Anna damals durchgängig heftig ablehnte, ihren Vater zu sehen.
Anna ging es in der Zeit, in der sie hierherkam, nicht gut. Oft spielte sie in den Spielstunden "Chaos beseitigen".
Die Therapiestunden hier sollten ihr helfen, selbst herauszufinden,
- was sie wollte und was ihre Kümmernisse waren und davon unterscheiden,
was sie glaubte, dass Mama bzw. Papa wollten und was deren Kümmernisse waren.
Eindeutige verbale Aussagen bezüglich sexuellen Missbrauchs durch den Vater machte Anna in der Zeit, in der sie zu KOBRA kam, nicht. Daraus kann natürlich nicht geschlossen werden, dass kein sexueller Missbrauch vorlag, weil sexuell missbrauchte Kinder in den meisten Fällen keine klaren verbalen Aussagen bezüglich ihres Missbrauchs machen, da sie unter belastendem
Geheimhaltedruck stehen.
Auch ihre Rollenspiele und ihre Ängste ließen keinen eindeutigen Schluß auf sexuellen Missbrauch zu, konnten den Verdacht aber auch nicht entkräften. (z.B. Annas Gespensterangst etc.)
Anna selber machte einige Male Andeutungen, dass "was" mit dem Papa auf dem Sofa im Wohnzimmer gewesen sei, sagte aber nicht was.
Einmal wollte sie gern einen Drachen bauen. Da ich wissen wollte, ob das mit einer angenehmen Erinnerung an den Papa verkünpft sei, fragte ich sie, ob sie mit dem Papa auch zusammen "Drachen gebaut" habe. Sie sagte "Ja". Dann sagte sie spontan, aber sie wolle den Papa nicht mehr sehen. Sie sei so wütend auf ihn, dass sie auch garnicht mehr an ihn denken wolle. Dann zeigte sie mir zwei Wunden an sich.
Nach wie vor ist für mich der Verdacht auf Missbrauch nicht ausgeräumt. Nach wie vor würde ich die klare Aussage des Kindes, sie wolle den Vater nicht sehen, ernst nehmen.
Mit einer vollständigen Entkräftung oder Erhärtung des Verdachts
darin erst gerechnet werden, wenn das Kind längere Zeit keinem familiären und gerichtlichen Druck ausgesetzt ist, während es von dem möglichen Tätern getrennt ist.
Daß für Anna immer noch keine Ruhe eingekehrt ist, hat vermutlich in ihr inzwischen zu schweren Sekundärschädigungen geführt.
Soweit meine abschließende Stellungnahme zu Anna.
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich
Ursula Iskenius
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