Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen. Was denke ich heute? Was machen die Kinder? Was sage ich den
Menschen, die mich fragen, wie es mir damit geht? Um es auf den Punkt zu bringen: Es war alles
vergeblich - es gibt kein 'Happy End'.
Ich will versuchen, ein wenig Struktur in meine Schilderung zu bringen. Zunächst einmal werde
ich häufig gefragt, aus welchem Grund ich so lange um die Kinder gestritten habe. In meiner beruflichen
Position wäre es ein Leichtes gewesen für die Firma nach Hongkong oder Tokyo zu gehen und
zu vergessen, dass ich Kinder hatte, so wie Prof. Klosinsky es mir geraten hatte. Das konnte ich nicht,
weil ich mit ganzem Herzen Vater war. Manchmal lese oder höre ich von den so genannten 'Neuen
Vätern'. Diese hat es schon immer
gegeben
- man hat sie nur nicht wahrgenommen.
Wer keine eigenen Kinder hat, der versteht das nicht: Es gibt keine Liebe, die stärker ist, keine Liebe,
in der man mehr Verantwortung spürt, keine Liebe, in der man so sehr bereit ist, sich selbst aufzugeben.
Nichts wünscht man sich mehr, als dass es den eigenen Kindern gut geht.
Ich wollte und ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Kinder mich eines Tages fragen: "Papa, was hast
du getan, um zu verhindern, dass wir in einer falschen Opferrolle und ohne Vater aufwachsen?
Aus Sorge um die Kinder, habe ich zwei Jahre lang nicht darüber nachgedacht, was die Verleumdung
eigentlich für mich selbst bedeutet. Sogar den Verlust meines Arbeitsplatzes fand ich zunächst nicht
beunruhigend. Damals habe ich nicht damit gerechnet, nie wieder eine Anstellung finden zu können.
Durch mein Buch habe ich Kontakt zu anderen Betroffenen bekommen. Tatsächlich ist mir kein einziger Fall
bekannt, bei dem ein dermaßen verleumdeter Mann seinen Arbeitsplatz behalten hätte. Was mir mein
Arbeitgeber sagte, gilt auch für alle anderen Arbeitgeber.
"Ihre Karriere ist zu Ende! - Nicht weil hier jemand glaubt, dass sie ihre Kinder missbraucht haben sondern
- weil niemand möchte, dass man mit dem Finger auf uns zeigt und sagt: '... und SO EINER ist bei uns Vertriebsleiter.'"
Ich vermute, als vermeintlich Pädophiler kann man nicht einmal in der Mafia arbeiten. Eine selbständige Tätigkeit
erwies sich als nicht machbar. Im Alter von über
40 Jahren, ohne Eigenkapital, ohne Geschäftspartner aber unterhaltspflichtig für drei Kinder, das kam bei den
Banken nicht an. Ich arbeitete dann 5 Jahre als Prokurist im Handelsunternehmen einer Freundin, bis dass jemand das
Gerücht lancierte, ich sei ein Kinderschänder. Die Firma verlor binnen sechs Wochen 65% ihres Umsatzes
und musste schliessen.
Ohne Arbeit und damit ohne Geld ist der Abstieg vorprogrammiert. Spätestens jetzt
verlässt man das soziale Umfeld, sofern man es nicht schon mit dem Rufmord verloren hat.
Jeder weiß, dass Mobbing krank machen kann. Verglichen mit einer Missbrauchsunterstellung ist Mobbing sehr viel
'harmloser', da es sich nur auf einen Teil des Lebens bezieht. Man wird am Arbeitsplatz, im Sportverein oder in der Familie
gemobbt. Als mutmaßlicher Kinderschänder steht man von einem Tag auf den anderen in allen Lebensbereichen vollkommen
und dauerhaft außerhalb der Gesellschaft! - man ist ein Paria. Dauerhaft, weil kein Gutachten der Welt den unterstellten
Missbrauch definitiv ausschließen kann. Es wird immer nur einen Freispruch zweiter Klasse geben: "es konnten keine
Hinweise gefunden werden".
Zum Rufmord kommt eine weitere Lebenskrise: Die Ehe ist gescheitert, was in den Betroffenen das Gefühl
hinterläßt, selbst gescheitert zu sein. Und letztlich verliert 'Mann' Frau und Kinder; ein Ereignis,
das auch durch andere Umstände - wie z.B. einen Verkehrsunfall - eintreten kann. Aber dann ist 'Mann' Opfer und
wird von/in der Gesellschaft entsprechend behandelt.
Als 'Täter' erfährt 'Mann' in seiner Trauer keine Unterstützung! Echte Trauerarbeit, wie sie zur
Gesundung erforderlich ist, kann er ohnehin nicht leisten, da die Kinder ja nicht tot sind. Sie sind nur für den Vater
verloren.
Es sollte daher niemanden verwundern, dass sich die meisten der betroffenen Männer, die ich in vergleichbarer Situation
kennen lernen durfte, mittlerweile suizidiert* haben. Die anderen nehmen ständig Psychopharmaka, leben in Kliniken
für Psychosomatik oder gar Psychiatrie. Rufmord heißt ja nicht deshalb so, weil man einen Ruf morden kann
sondern weil man jemanden töten kann, indem man etwas öffentlich verbreitet (ausruft).
Warum ich noch lebe? - oder besser, warum ich noch existiere? (Leben wäre eine prima Alternative). Ich
weiß es nicht.
Vielleicht, weil mich die Sorge um die Kinder so lange so massiv von meinen Problemen abgelenkt hat. Vielleicht auch,
weil ich das
Buch
schrieb und mich wissenschaftlich mit der Thematik auseinander gesetzt habe. Möglicherweise liegt es an meinen
guten Freunden, die nie an mir gezweifelt haben, oder ich hatte einen sehr guten Therapeuten.
Wahrscheinlich ist es die Summe all dieser Umstände, der ich mein Leben verdanke. Frau Hunfeld vom Magazin 'Der stern',
die im Jahr 2002 einen
Artikel zu dem Thema
schrieb, sagte mir später: "Herr Alteck, sie waren mein einziger
Gesprächspartner, der bei alledem normal geblieben ist."
Was nutzt es? Ich bekam einige Jahre Hartz IV. Dann kam der gesellschaftliche Aufstieg. Bei mir wurde eine
Posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert. Ich war nun erwerbsunfähig. Rentner zu sein klingt
eindeutig besser als 'arbeitslos'. In die Gesellschaft zurück aber kommt man auch damit nicht.
Es gibt keine Einladungen mehr; nicht zu Partys, nicht zu Familientreffen, nicht zu Jubiläen oder anderen Ereignissen.
Es gibt auch keinerlei Unterstützung, egal worum es geht. Niemand möchte mit 'so einem' zu tun haben oder mit ihm
in irgendeiner Form in Verbindung gebracht werden.
Letztlich wird die kafkareske Situation zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Jemand ohne Arbeit, der auf keiner
Ebene vernetzt ist, der muss ja seine Kinder missbraucht haben, sonst würde er ja nicht dermaßen gemieden.
Mir einen Hund anzuschaffen, war eine gute Idee, um wieder unter Menschen und heraus aus der Depression zu kommen.
Trotzdem lebe ich weiterhin außerhalb der Gesellschaft. Einen Neuanfang gibt es nicht! Die Rente reicht nicht
zur Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben und die Ächtung bleibt. Und doch ist der finanzielle Aspekt der unwichtigste, da man sich daran gewöhnt,
mit wenig Geld auszukommen. Viel problematischer ist es, keine Funktion in der Gesellschaft zu haben - nutzlos zu sein,
und keinerlei Anerkennung zu bekommen. Das ist nicht gut für das Selbstwertgefühl. Und es wird nicht besser
durch den Umstand, dass ich ausgerechnet in dem EINZIGEN, das mir im Leben wichtig war (Kinder grossziehen und zu
selbständigen Menschen zu entwickeln), gescheitert bin.
Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war, aber es geht mir besser, als die Lektüre dieses Textes vermuten lässt.
Dennoch kann ich - nur weil ich zufällig überlebt habe - meine Schilderung hier nicht verharmlosen.
meine Eltern
Meinen Eltern habe ich monatelang den Umfang der Auseinandersetzung verschwiegen, weil ich glaubte, dass es
zu einer schnellen gerichtlichen Klärung kommen würde. Meine Mutter hat mich ständig bedrängt ihr
mehr zu erzählen. Als ich selbst psychisch sehr angeschlagen war, habe ich ihr schließlich mein Tagebuch
(das die Basis meines Buches wurde) gegeben. Wenige Tage später hat sie sich suizidiert. Offenbar war das alles
zu viel für sie.
Mein Vater hat mich daraufhin für den Tod meiner Mutter verantwortlich gemacht, den Kontakt zu mir abgebrochen
und mich enterbt.
Beide haben mir damit einen gewaltigen Bärendienst erwiesen. Außenstehende können diese Reaktionen als
Bestätigung für einen Kindesmissbrauchs interpretieren und ich kann es nicht verhindern.
Zu den Kindern
Anna und Yvonne habe ich seit bald 20 Jahren nicht mehr gesehen. Damals kam es zu einigen betreuten Umgangskontakten mit den
beiden Jüngeren, die sehr positiv verliefen. So positiv, dass auch Anna daran teilnehmen wollte. Das gefiel der
Kindesmutter gar nicht, worauf sie die Kontakte vereitelte.
Durch die Mitteilungen des BAföG-Amtes weiß ich, dass beide studiert haben. Ein paar weitere Informationen
bekam ich über Facebook. Alle Versuche, per Email mit ihnen in Kontakt zu kommen, liefen ins Leere. Meine Mails
blieben unbeantwortet.
Maria, die mittlere Tochter, die sich in jedem Termin bei Gericht oder Gutachtern für eine Begegnung mit mir
ausgesprochen hat, hat als Studentin dann tatsächlich den Kontakt gesucht. Wir trafen uns in den Folgejahren
mehrfach. Bei den Begegnungen machte sie deutlich, dass sie weder über die Vergangenheit noch über Ihre
Geschwister reden wolle. Sie hatte auch keine Fragen an mich.
Die Treffen wurden immer wieder durch monatelanges Schweigen unterbrochen.
Sie erzählte mir, dass sie sich in den Kontakten sehr wohl fühlte, es ihr danach aber immer sehr schlecht
ging. Zudem sah sie sich von Seiten ihrer Schwestern und ihrer Mutter mit Vorwürfen konfrontiert. Sie machte eine
Therapie, über die sie aber nichts verlauten ließ.
Zehn Jahre waren alle Kontakte ein wenig befremdlich. In unseren Telefonaten teilte sie nichts Persönliches von sich
mit und war stets bemüht, die Gespräche kurz zu halten. Über die Vergangenheit oder die Familie wollte sie nicht reden.
Heute, fünfzehn Jahre nach unserem ersten Kontakt, hat sich unser Verhältnis nicht normalisiert. Es ist so
gut oder schlecht, wie es sein kann, wenn so viele gemeinsame Jahre fehlen. Vermutlich hat auch Ihr Beruf zur Normalisierung
beigetragen; sie ist mittlerweile Kinderärztin.
Ich habe die
PAS-Problematik
gewaltig unterschätzt und inzwischen alle Hoffnung auf eine Wende zum Positiven aufgegeben.
Ja, meine Kinder sind missbraucht worden! (- nicht sexuell, und auch nicht von mir)
Thomas Alteck
Dez. 2015
* darf man den Freitod als Schuldeingeständnis sehen? - keinesfalls!
Dazu muss man verstehen, was eine Posttraumatische Belastungsstörung 'PTBS' ist. Am häufigsten wird sie
bei Menschen diagnostiziert, die Kriegs- oder Katastrophenereignisse überlebt haben. Das Trauma liegt nicht
in der Erfahrung, dass man selbst dabei hätte zu Tode kommen können sondern in der Erkenntnis,
dass die Realität plötzlich eine andere sein kann.
Stellen Sie sich ihre Lebenssituation vor. Selbstverständlich sind sie in der Lage - wenn auch nur widerwillig -
sich vorzustellen, dass ihr Partner schwer erkrankt und stirbt. Ihre Vorstellungskraft reicht auch, sich ein Bild
von einem Wohnungsbrand zu machen, bei dem sie ihren gesamten Hausrat verlieren. Und letztlich können sie sich auch
vorstellen, dass eines ihrer Kinder tödlich verunglückt, denn sie wissen, dass solche Dinge passieren.
Jedes dieser Ereignisse würde sie vermutlich vorübergehend in eine Lebenskrise stürzen, trotzdem
aber geht das Leben weiter; es hat sich lediglich ein Teil verändert.
Stellen sie sich im Weiteren vor, sie gehen abends mit ihrem Hund spazieren und plötzlich ereignet sich ein
schweres Erdbeben. Ihr Haus ist nur noch ein Trümmerhaufen, ihr Partner und ihre Kinder sind tot. Freunde und
Verwandte sind ebenfalls ums Leben gekommen. Ihre Firma, ihr Arbeitsplatz existiert nicht mehr. Die vertrauten Konturen
sind verschwunden. Sämtliche Konstanten ihres Lebens haben sich aufgelöst!
Dieses Szenario kam in ihren schlimmsten Albträumen nicht vor.
Man verliert den Boden unter den Füßen - egal, ob diese Lebenssituation auf einen Schlag oder über
einen Zeitraum von mehreren Wochen eintritt. Wir alle wissen, dass wir sterblich sind. Und wir alle gehen davon aus,
dass wir irgendwann nicht mehr existieren, dass wir aus dem Leben scheiden.
Niemand denkt an die Möglichkeit, dass er selbst noch existiert während das Leben, das er
sich aufgebaut hat und dessen Mittelpunkt er ist, sich von ihm scheidet und verschwindet.
Es ist eine andere Form von Tod, da man selbst noch existiert; unerträglicher als der richtige, bei dem
man nichts mehr fühlt.
Sofern es ein Erdbeben war, werden - während sie fassungslos und bewegungsunfähig auf die Trümmer
starren - Rettungskräfte und Psychologen eintreffen. Niemand wird ihnen die Schuld an dieser Tragödie geben.
Man wird ihnen helfen, weil sie ein Opfer sind.
Ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Mensch in vergleichbarer Situation, der an Stelle von Hilfe nur Verachtung
erfährt, die nächste S-Bahn nimmt, um diesem Dasein zu entfliehen?
Im Abstand von mehr als 10 Jahren haben sich zwei Psychiater, unabhängig voneinander, erstaunt
geäußert, dass ich mich nicht suizidiert habe. Ich weiß bis heute nicht, ob ich das
als Kompliment betrachten soll.
Übrigens -und das ist kein Scherz- gibt es zahlreiche Menschen, die
in meiner fortwährenden Existens den Beweis für meine Schuld sehen. Dahinter steht die
Überzeugung, dass man diese Ausgrenzung nicht aushalten (überleben) kann, wenn man
tatsächlich unschuldig ist.
Das erinnert mich doch an die Hexenprozesse vergangener Jahrhunderte. Angebliche Hexen wurden gefesselt
in den Fluß geworfen. Sofern sie dabei nicht ertranken mussten sie mit dem Teufel im Bunde
stehen, dann hat man sie als überführte Hexen verbrannt.