Gutachten
über die Kinder
Anna Alteck, geb. 1.1.1984,
Maria Alteck, geb. 14.3.1986 und
Yvonne Alteck, geb. 12.4.1988
sämtlich wohnhaft bei der Mutter, Frau Ute Alteck.
Prof. Dr. R. Lempp
Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Arzt für Neurologie und Psychiatrie
Psychotherapie
19. Mai 1992
Inhaltsverzeichnis
Fragestellung
Das Gutachten soll zur Frage der elterlichen Sorge für die oben genannten Kinder Stellung nehmen. Dabei sollen insbesondere die Bindungen und Neigungen der Kinder und die Erziehungsfähigkeit der Eltern berücksichtigt werden.
Das Gutachten soll vorab zu der Geeignetheit der angewandten Behandlungsmethoden des Kindes Anna Stellung nehmen und auch mitteilen, wann aus seiner Sicht die Einbeziehung der Kinder in die vorliegende Untersuchung sachdienlich erscheint.
Das Gutachten stützt sich auf die Kenntnis der übersandten Akten, auf einen von der Anwältin der Mutter übersandten Bericht der Institution KOBRA (Hilfe für sexuell missbrauchte Mädchen), auf die Angaben des Vaters, Herrn Thomas Alteck am 29.4.1992 vormittags, auf die Angaben der Mutter, Frau Ute Alteck am 29.4.1992 nachmittags, auf die eingehende psychologische Untersuchung der Kinder am 6.5.1992 jeweils in der Praxis des Gutachters und auf ein abschließendes Gespräch mit dem Vater am 11.5.92.
Zur Vorgeschichte
Aus den Akten ist zu entnehmen, dass der Vater am 21.1.1992 Antrag stellte auf Übertragung der elterlichen Sorge über die drei ehelichen Kinder. Anna, Maria und Yvonne.
Am 3.2.1992 beantragte die Mutter, ihr die elterliche Sorge für die drei Kinder zu übertragen.
Die Mutter stellte am gleichen Tag Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, dass ihr für die Zeit des Getrenntlebens das Aufenthatsbestimmungsrecht über die Kinder übertragen werde.
Der Vater beantragte am 10.2.1992 den Antrag kostenpflichtig zurückzuweisen.
Beurteilung
Nach übereinstimmenden Angaben der Eltern, wie auch des Akteninhalts, ist der Vater Ende November 1991 auf den Wunsch seiner Frau ausgezogen. Unmittelbar danach erfuhr er, dass seine Frau ihm gegenüber den Verdacht hege, er habe Anna sexuell missbraucht. Die Mutter gibt dazu an, saß sie den Verdacht schon einige Zeit gehabt habe. Kurz vor der Trennung habe Anna sie ausdrücklich gebeten, abends nicht wegzufahren, sie wolle mit dem Papa nicht allein sein. Angeblich habe Anna im weiteren Gespräch gesagt, der Papa habe "es" mit ihr gemacht. Die Mutter selbst berichtet dazu, dass sie offenbar zunächst zu sehr gebohrt habe, weshalb Anna sich geweigert habe, weiterhin darüber zu sprechen. In der Vorbereitung zu einem Besuch bei einer Frauenärztin habe sie sich sehr erregt und verstört verhalten.
Die Mutter suchte offenbar im Dezember letzten Jahres die Institution KOBRA - Hilfe für sexuell missbrauchte Mädchen - in Stuttgart auf, wo auch der Vater in ein Gespräch zunächst einbezogen worden sei. Die Mutter gab an, der Vater habe eine weitere Beteiligung abgelehnt. Der Vater gab an, er habe ein Mißtrauen gegen diese Institution. So habe die Therapeutin von Anna es abgelehnt, mit ihm zu sprechen. Im Januar sei es dann auch zu einem Gespräch zwischen ihm und Herrn Eckardt von der Institution KOBRA gekommen.
Seit Anfang Januar geht offenbar Anna regelmäßig zur kinderpsychotherapeutischen Behandlung in die Institution KOBRA. In diese Therapie wird die Mutter miteinbezogen, und sie beteiligt sich offenbar auch an Frauengruppen.
Einer Verabredung entsprechend sollte der Vater vorläufig bis zum Gerichtsentscheid über das vorläufige Sorgerecht sich jedes Kontaktes mit den Kindern enthalten. Nach Angaben der Mutter habe er jedoch immer wieder versucht, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen.
Inzwischen erhält auch Yvonne offenbar eine spieltherapeutische Behandlung durch Vermittlung des Kinderschutzbundes.
Beim Gespräch mit dem Vater berichtete dieser, er sei von der Anzeige völlig überrascht gewesen und könne sich überhaupt nicht vorstellen, welchen Anlaß er zu einer solchen Fehlinterpretation gegeben haben könnte. Inzwischen sei seine Frau jedoch offenbar völlig von dem sexuellen Missbrauch überzeugt. Seine Frau habe sich in der letzten Zeit sehr verändert. Sie habe keine Antriebsenergie mehr, sie interessiere sich für nichts und vergesse auch die Belange der Kinder.
Es ist offenbar, dass der Vater sehr unter der Trennung von den Kindern leidet. Im übrigen ist er überzeugt, dass seine Frau psychisch krank sei, und dass daher die Kinder besser bei ihm aufgehoben seien. Die Betreuung der Kinder werde ihm durch seine Firma möglich gemacht.
Beim Vater handelt es sich um einen in seinem Verhalten angepaßten Mann mit bereitwilliger Zuwendung. Er steht offenbar unter einem erheblichen Bedürfnis, sich auszusprechen. Er ist in seiner Stimmungslage adäquat, dabei wird aber seine affektive Belastung, unter der er steht, recht deutlich. Irgendwelche Hinweise auf eine Psychose finden sich nicht. In projektiven Testuntersuchungen ergibt sich bei hinreichender Realitätsanpassung eine gute Intelligenz bei erhöhter Innenempfindlichkeit, sowie Zeichen einer gewissen Kontakt- und Bindungsschwäche und einer Neigung, unter emotionaler Belastung dynamisch zu reagieren, jedoch unter Bewahrung seiner rationalen Steuerungsfähigkeit. Darüber hinaus finden sich Hinweise auf eine eher depressive Stimmungslage, aber auch auf eine unsichere Rollenfixierung. Im übrigen ergeben sich aber keine Hinweise auf eine Psychose oder eine ernste neurotische Störung.
Die Mutter schildert die Entwicklung der Kinder seit der Trennung eher positiv. Sie habe sich inzwischen in dem Gesprächskreis von KOBRA engagiert, und es sei dies eine Hilfe für sie. Sie habe sich in ihrer Ehe weiterentwickelt, und eine Rückkehr komme für sie nicht mehr in Frage. Auf Grund der von ihr geschilderten Reaktionen Annas ist sie vom sexuellen Missbrauch Annas überzeugt. Auch Yvonne sei gefährdet, nur Maria sei stabil. Schon deswegen sei sie gegen eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater. Sie lehne aber auch dessen Erziehungsmethoden ab, er arbeite immer mit Angst und Druck. Zur Zeit möchte sie kein Umgangsrecht. Wenn die Kinder einmal so stabil seien, dann sei ein betreutes Besuchsrecht für sie möglich. Im übrigen bestritt sie, dass sie den Vater vor den Kindern schlecht gemacht habe oder sich negativ über ihn äußere. Sie habe ihn nicht "Verbrecher" genannt, denn sie empfinde sein Verhalten auch nicht so.
Frau H. ist während der ganzen Besprechung sachlich, ruhig und in ihren Äußerungen klar und dabei keineswegs ohne Selbstkritik. Bei ihr ergibt sich in projektiven Testuntersuchungen bei ebenfalls guter Intelligenz und einer Sensibilität, möglicherweise einer künstlerischen Tendenz, ein eher labiler Realitätsbezug. Darüberhinaus läßt sich auch eine depressive, ja verzweifelte und auch ängstliche Grundstruktur erkennen.
Es finden sich keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer Psychose oder Wahnkrankheit, auch beachtenswerte neurotische Komponenten sind nicht zu erkennen.
Bei der Untersuchung der Kinder zeigte sich Anna zunächst sehr zurückhaltend, ängstlich, ja bedrückt. Sie lockerte aber sehr schnell auf; vor allem dann, wenn es nicht um sie affektiv berührende Punkte geht, kann sie sehr locker, extravertiert und auch ein wenig affektiert reagieren. Das Verhalten ist aber insgesamt durchaus altersentsprechend. Im Gespräch wird deutlich, dass sie unbedingt bei der Mama bleiben will, und dass sie den Papa auch nicht besuchen möchte. Im späteren Gespräch meint sie dann, sie wäre eventuell bereit den Papa zusammen mit Ursula (ihrer Therapeutin Frau Iskenius) zu besuchen. Die eindeutige Bindung an die Mutter läßt sich auch in projektiven Testuntersuchungen deutlich erkennen. Dabei wird auch deutlich, dass sie unter der Trennung der Eltern und damit wohl unter der ganzen derzeitigen Situation erheblich leidet und sich auch unmittelbar bedroht fühlt. Sie bemüht sich zu einer selbständigen Haltung zwischen den Eltern, womit sie aber wohl überfordert ist.
Ihre Schwester Maria wirkt im Vergleich zu Anna eher reifer. Sie ist im Auftreten sicher, in gewisser Weise selbstbewußt, und kann sich ganz klar, wenn auch zurückhaltend äußern. Es wird eine durchgehende depressive Note deutlich. Sie wiederholt mehrmals eindringlich, dass sie den Papa unbedingt wieder einmal sehen möchte, geht aber nicht so weit, ganz beim Papa leben zu wollen und nur die Mutter besuchsweise zu sehen. Ihre feste Bindung an den Vater bestätigt sich in den projektiven Testuntersuchungen, wo sie sich stets mit dem Vater zusammenführt. Daneben kommt eine gewisse eifersüchtige Ablehnung gegenüber Anna zum Vorschein. Bei der kleinen Yvonne ist eine Testuntersuchung schon vom Alter her kaum möglich, im Besonderen aber durch eine gewisse Sprachentwicklungsstörung, die wohl nicht allein psychoreaktiv interpretiert werden kann. Yvonne zeigt gewisse partiell mutistische Züge.
Aus der Untersuchung der Kinder ergibt sich hinsichtlich der Frage des vorläufigen Sorgerechts sehr klar, dass kein Grund besteht, dem Willen der Kinder und der gegenwärtigen Situation entsprechend, die Kinder nicht bei der Mutter zu belassen. Es besteht auch kein Grund, die Kinder zu trennen, schon deshalb nicht, weil Maria, die ganz offensichtlich stark an den Vater gebunden ist, auch nicht von der Mutter weggehen möchte. Auch ist eine Trennung der Kinder nicht empfehlenswert und nicht geboten.
Der Verdacht des Vaters, seine Frau sei psychisch krank, läßt sich nicht bestätigen. Der bei ihr testpsychologisch zu vermutende eher leicht herabgesetzte Realitätsbezug - auf den der Vater besonders abhebt - liegt in seiner Ausprägung weit im Bereich normaler Charaktervarianten und stellt keine psychische Abnormität dar. Es stellt sich für den Gutachter so dar, dass die Mutter sich vom Vater zu wenig berücksichtigt und in ihren Bedürfnissen anerkannt fühlte und ihre Entscheidung zur Trennung als einen Schritt zur Selbständigkeit und Reife empfindet.
Den Untersuchungen der Kinder ist aber ebenso zu entnehmen, dass Maria ein dringendes und berechtigtes Interesse hat, möglichst bald den Vater wieder zu sehen. Dies sollte ihr möglichst bald möglich gemacht werden. Dies wurde auch vom Gutachter der Mutter im unmittelbaren Anschluß an die Untersuchung mitgeteilt. Die Mutter kann sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht dazu entschließen, einem Besuchskontakt ohne Betreuung zu erlauben. Sie habe einfach Angst. Es wird daher auch dem Vater empfohlen, zunächst nicht auf einen Besuch aller Kinder gemeinsam zu bestehen, sondern zunächst einmal den ausgesprochenen Kontaktwunsch Marias ebenso zu respektieren wie den Wunsch von Anna, ihren Vater vorläufig nicht zu sehen. Ob die Institution KOBRA, insbesondere die Therapeutin von Anna, Frau Iskenius den Vorschlag Annas aufgreifen möchte, mit Anna gemeinsam Kontakt mit dem Vater aufzunehmen, muß der Therapeutin selbst überlassen werden. Ob Yvonne an dem betreuten Besuch von Maria teilnimmt oder nicht, ist nicht leicht zu entscheiden. Wenn sie sich aber nicht ausdrücklich dagegen wehrt, wäre eine Kontaktaufnahme zwischen Yvonne und dem Vater unter den oben genannten Bedingungen zu begrüßen.
Diese Kontakte sollten wenigstens 14-tägig für mehrere Stunden, wenn Maria dies wünscht, eventuell auch einmal in der Woche durchgeführt werden.
Missbrauch
Zur Frage des sexuellen Missbrauchs kann aufgrund der durchgeführten Untersuchung nicht weiter Stellung genommen werden. Es ergeben sich aus der testpsychologischen Untersuchung und der Exploration Annas lediglich, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt in einem zwiespältigen Verhältnis zu ihrem Vater steht und einen Kontakt mit ihm zur Zeit scheut bzw. einen solchen nicht ohne die Begleitung ihrer Therapeutin, in der sie offenbar eine stabile Betreuung gefunden hat, gewachsen zu sein glaubt. Hinter diesem Angebot steht aber wohl auch die Tendenz eines Wunsches, doch - gewissermaßen unter stabilem Schutz - den Vater zu sehen. Das alles kann zwar eine Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch begründen, ist aber in keiner Weise dafür beweisend. Ähnliche Reaktionen könnten bei einem Kind wie Anna auch aus einem Schuldgefühl des Kindes gegenüber dem Vater aus anderen Gründen resultieren. Es scheint sogar wahrscheinlich, dass Anna sich schuldig fühlt am Zerwürfnis und der Trennung der Eltern. Dieses Schuldgefühl könnte dadurch für sie begründet sein, dass sie der Mutter von den angeblichen sexuellen Kontakten berichtet und dadurch die Trennung aus ihrer Sicht ausgelöst hat. Es könnte aber auch ohne einen sexuellen Missbrauch entstanden sein.
Eine Klärung der Frage des sexuellen Missbrauchs durch den Vater wäre möglich, wenn die Institution KOBRA bereit und in der Lage wäre, die Äußerungen Annas gegenüber dem Familiengericht zu offenbaren. KOBRA Stuttgart hat offenbar das Prinzip, Äußerungen der Kinder nicht ohne deren Einverständnis weiterzugeben. Diese Haltung ist begründet und dient dem unbedingten Vertrauensverhältnis zwischen dem Kind und der Therapeutin, wenngleich andere, der Institution KOBRA gleichzustellende Institutionen in anderen Städten meines Wissens hier bereit sind, gegenüber den Gerichten die Aussagen zu den konkreten Handlungen, welche den Verdacht des sexuellen Missbrauchs begründen, zu offenbaren. Dabei ist allerdings auch das Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes zu beachten.
Die Institution KOBRA versteht sich als ein therapeutisches Angebot für sexuell missbrauchte Mädchen. Sie hat damit von vorneherein eine andere Aufgabe und eine andere Position als ein psychologischer Gutachter mit dem Bemühen, die Frage der Glaubwürdigkeit des Kindes zu beurteilen. Die Institution KOBRA versteht sich als eine parteiliche Hilfestellung, die von vorneherein die Angaben der Kinder und der betroffenen Frauen glaubt. Dies ist zur Herstellung einer therapeutischen Beziehung erforderlich. Die Institution steht damit aber vor einer völlig anderen Aufgabenstellung als ein Gutachter.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die positive Aufnahme betroffener Kinder und Frauen mit der uneingeschränkten Bereitschaft, ihnen Glauben zu schenken, ebenso wie der gruppentherapeutische Ansatz der Mütter der betroffenen Kinder, für diese zwar eine große Hilfe und Stabilisierung bedeutet, die nach anhaltender Verunsicherung und Ängstlichkeit von großer Wichtigkeit ist, aber auch ebenso zu einer etwas eingeengten und fixierten Blickrichtung führen kann, wie zu einer Über- und Falschbewertung tatsächlicher Ereignisse.
Im Falle von Anna ist aber diese Therapie für das Kind eine wichtige Hilfe, die vom Kind auch positiv erlebt wird. Es findet sich von hier aus kein Hinweis, dass diese Therapie nicht für das Kind wünschenswert und in der Art ihrer Durchführung sachgerecht ist.
Zusammenfassung
Zusammenfassend können die Fragen des Gerichts dahin beantwortet werden, dass die emotionale Beziehung und Bindung der jetzt 8 Jahre alten Anna Alteck eindeutig mehr an die Mutter gerichtet ist, und dass sie gegenüber dem Vater zumindest eine gewisse Zwiespältigkeit, aber wohl auch eine Ängstlichkeit zeigt, welche sie vorläufig Kontakte mit dem Vater ablehnen läßt. Solche würde sie nur in Begleitung ihrer Therapeutin Frau Iskenius akzeptieren können. Das sie dies selbst spontan vorgeschlagen hat, spricht dafür, dass sie neben aller Ablehnung auch den Wunsch hat, den Vater wiederzusehen.
Die jetzt 6-jährige Maria Alteck ist in ihrer Beziehung deutlich stärker an den Vater gebunden, den sie offensichtlich sehr vermißt. Sie äußert sich aber nicht dahingehend, dass sie ganz zum Vater wechseln will. Offenbar will sie insoweit die Bindung mit der Mutter nicht gefährden und möglicherweise auch sich nicht von den Geschwistern trennen. Sie besteht aber darauf, den Vater möglichst bald wieder einmal sehen zu dürfen.
Bei der jetzt 4 Jahre alten Yvonne Alteck läßt sich eine sichere Aussage über ihre Tendenzen nicht machen. Sie ist offensichtlich gut mit der Mutter verbunden. Zu ihrer Beziehung zum Vater kann kaum etwas ausgesagt werden, da sprachliche Äußerungen von ihr kaum zu gewinnen sind und auch projektive Spieltestuntersuchungen in dieser Richtung nichts aussagen. Bemerkenswert ist, dass sie im Spiel mit vielen Puppen männliche Puppen vermeidet. Yvonne ist in ihrer Entwicklung, insbesondere der Sprachentwicklung etwas retardiert.
Beide Eltern sind nicht psychisch krank und sind auch prinzipiell beide zur Erziehung ihrer Kinder fähig. Es ergeben sich keine Hinweise, dass für eine Sorgerechtsentscheidung eine psychische Krankheit, psychische Störung oder Erziehungsunfähigkeit beachtet werden müßte.
Zum von der Mutter geäußerten Verdacht eines sexuellen Missbrauchs Annas, eventuell auch Yvonnes durch den Vater kann aufgrund dieser gutachterlichen Untersuchung nichts Sicheres ausgesagt werden. Diese Frage ist auch für die vorläufige Sorgerechtsregelung aus der Sicht des Gutachters nicht relevant. Der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs bei Anna kann als begründet bestätigt werden, aber nicht erhärtet. Für das Verhalten Annas in der gutachterlichen Untersuchung, wie auch in ihren testpsychologischen Untersuchungen finden sich keine stichhaltigen Hinweise für einen sexuellen Missbrauch. Eine Glaubwürdigkeitsuntersuchung wurde jedoch als nicht zum Gutachtenauftrag gehörend und auch mit Rücksicht auf die laufende Therapie des Kindes nicht durchgeführt.
Die Behandlung Annas durch eine Therapeutin des Institutes KOBRA ist im Hinblick auf die offensichtliche psychische Störung und Verängstigung des Kindes angezeigt und hilfreich, und es bestehen keine Hinweise, dass diese nicht sachgerecht durchgeführt würden. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Institution KOBRA sich als ein therapeutisches Angebot mit "parteilicher Hilfestellung" versteht, was sich von der Aufgabe des Gutachters diametral unterscheidet, d.h. sie dient ausschließlich therapeutischer Hilfe und Stabilisation der subjektiv Betroffenen, unabhängig vom objektiven Gehalt dieser Betroffenheit.
Es wird aus kinderpsychiatrischer Sicht dringend empfohlen, dem Kind Maria sobald als möglich die Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit dem Vater zu gestatten. Daß die Mutter eine solche Kontaktaufnahme nicht ohne Betreuung durch eine dritte Person - eventuell dem Kinderschutzbund - wünscht, ist wohl objektiv unbegründet, aber subjektiv verständlich und sollte zunächst Berücksichtigung finden.
gez. Prof. Dr. R. Lempp
19. Mai 1992
|