Kindesmissbrauch - der grausame Holocaust der Seele


NACHRICHTENSPIEGEL
MITTWOCH, 21. OKTOBER 2015 09:28 GMT


Wir werden uns heute zuallererst um Begriffe kümmern müssen: es gilt zu belegen, dass der Begriff „Holocaust“ in dem geschilderten Zusammenhang seine Rechtfertigung hat, ebenso werden wir uns um den Begriff Seele kümmern müssen. Zuerst der Holocaust – im engeren Sinne als Vernichtungsfeldzug des deutschen Volkes gegen ihre eigenen Mitglieder amtlicher jüdischer Religionszugehörigkeit begriffen, im weiteren Sinne (z.B. „atomarer Holocaust“) gebraucht als Auftreten jeglicher Form von systematischer Massenvernichtung. Ich weiß, viele stoßen sich an diesem Begriff, weil sie ihn für ein einziges, isoliertes Ereignis in der Geschichte reservieren wollen, eine Ansicht, die ich verstehe, doch nicht teilen kann, weil es ihn jederzeit – in jeder auch nur leicht abgeänderten Form – wiederholbar macht. Ich werde dazu ein andermal weiter ausholen, für heute reicht es, zu erwähnen, dass der altgriechische Begriff holocaustos für „vollständig verbrannt“ – zusammengesetzt aus holos (ganz) und caustos (gebrannt) – zum ersten Mal im Sinne von Völkermord 1895 von britischen Autoren für das Massaker an Armeniern verwendet wurde. Ich verwende ihn hier, um der Größenordnung der laufenden Katastrophe gerecht zu werden, die still, leise und heimlich in deutschen Landen umgeht … hauptsächlich außerhalb von Kirchen, weshalb die Täter wohl deshalb besonders laut schreien, wenn ein Kirchenmann die Taten begeht.

Der nächste Begriff begleitet uns ebenfalls seit Jahrtausenden: Seele. Dem Begriff wird im modernen Denken per Definition kein Platz mehr eingeräumt, der Mensch – so die Lehrmeinung – bestehe lediglich aus einer Reihe chemischer Prozesse, die „Empfindungen“ hervorrufen – eine Theorie, die bis heute durch nichts belegt ist aber dafür umso lieber zitiert wird: kurz – ein Dogma, das in vielerlei Hinsicht sehr bequem ist. Wo es keine Seele gibt, kann diese auch nicht verletzt werden … woraus resultiert, dass die den Vätern des Grundgesetzes so heilige, unantastbare „Menschenwürde“ nur ein sozialromantischer Schatten aus ungebildeten Zeiten ist – mit entsprechenden Folgen für die Sozialgesetzgebung. Es ist eine seltsame Theorie, können doch die meisten Menschen ihre Seele „empfinden“ … vor allem, wenn sie verletzt wird. Liebeskummer ist hier wohl ein weiter verbreitetes Beispiel, das ernsthafte körperliche Erkrankungen nach sich ziehen kann; der „Herzschmerz“ ist deshalb besonders, weil das Herz nicht zu den Organen gehört, die über Schmerzrezeptoren verfügen. Wer dies jedoch mal durchleben musste, weiß, dass es heftige Schmerzen sein können, Schmerzen, die extreme gesundheitliche Schäden verursachen können. Schmerzen, die der Begriff „Seele“ plausibler erklären kann als die Theorie der „chemischen Prozesse“. Es ist hier kein Platz für eine umfangreiche Diskussion des Seelenbegriffes, hierzu wird ein andermal mehr zu erzählen sein. Wir werden hier wohl in vielerlei Hinsicht umdenken müssen, gerade jetzt, wo wir uns mit der Erkenntnis über kommunizierende, zählende, fürsorgende Bäume auseinandersetzen müssen, die – definitiv – kein Gehirn haben aber erstaunliche mentale und emotionale Leistungen erbringen (siehe hierzu: Peter Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume).

Wir brauchen einen Begriff der Seele, weil wir sonst gar nicht verstehen können, was an Kindesmissbrauch so schlimm ist. Hier gilt das Gleiche wie für die „Würde“ des Menschen: wo nichts ist, was verletzt werden kann, wo nichts gedacht werden darf (per Definition und Beschluss der Obrigkeit), was leiden kann, da kann es auch keine ernsthaften Verletzungen geben, deshalb hat ja die materialistisch orientierte Medizin den Begriff „Befindlichkeitsstörung“ entwickelt – was an Gehard Schröder erinnert, der Familie, Frauen, Senioren und Kinder seinerzeit lapidar und spontan als „Gedöns“ deklarierte und in Form von Hartz IV ein seelenloses, entwürdigendes Gedönsgesetz erschuf.

Warum der Begriff „Holocaust“? Nun – wie gesagt: es geht um das Ausmaß. Die Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (also: das Gedönsamt) Hamburg hat hierzu eine Studie veröffentlicht, die den modernen Schönsprechstudien elementar widerspricht (siehe Prävention Bildung). Die Studie stammt von Dirk Bange, befasst sich mit sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen und bezieht sich auf Fragebögen, die von Erwachsenen ausgefüllt werden – und nicht, wie üblich – auf Hochrechnungen zu einem Tabuthema. Die Zahlen an Missbrauch von Frauen reichen von 18 – 31 Prozent, die selbst einen Missbrauch erfahren mussten; die höchste Zahl stammt von Mitarbeitern der Beratungsstellen, die niedrigste Zahl aus einer repräsentativen Umfrage für Deutschland.

18 Prozent … das sind 7 Millionen Frauen, die in Deutschland sexuell missbraucht wurden – zuzüglich knapp drei Millionen Männer, die in jungen Jahren missbraucht wurden, kommt man auf knapp zehn Millionen – eine unglaubliche Menge. Das Land müsste starr sein vor Entsetzen … doch das Thema ist tabu. Niemand schreit auf wegen zehn Millionen grausam zerstörter Seelen – aber das Thema kann man halt auch nur erfassen, wenn man einen Begriff von Seele hat und sie nicht als Gedöns abtut.

Man könnte noch lange Zahlen, Daten und Fakten heranschleppen – das Internet ist voll davon. Daraus … zieht jedoch niemand Gewinn. Darum habe ich das Angebot eines missbrauchten Menschen wahrgenommen, habe ausnahmesweise eine anstrengende Reise auf mich genommen und lange Gespräche über einen Missbrauch geführt, der im Alter von 12 Jahren geschah (der erste war mutmaßlich im Alter von vier Jahren, doch hier streikte die Erinnerung). Die Person wird bald dreißig Jahre alt. Da Philosophen dereinst – als es noch Seelen gab – als Ärzte der Seele (heute also Gedönskurpfuscher sind) galten, interessierten mich besonders die seelischen Folgen des Missbrauchs. Während des Gespräches kam mir der Titel in den Sinn: es ist Mord, was hier geschieht. Eiskalter, grausamer Mord an der Seele – und er verheilt nie. Ich muss und möchte die Anonymität der Person waren – und wenn ich ihre Geschichte erzähle, wird man auch verstehen, warum.

Ich möchte Voyeuren keinen Aufführung bieten, weshalb Details zum Missbrauch geheim bleiben. Was dort geschah, enspricht den herkömmlichen Handlungen in billigen Pornofilmen – soviel sei gesagt. Das Opfer war 12 Jahre alt und leidet bis heute, wo es auf die Dreissig zugeht.



Wie reagiert die Seele nach der Tat?


Man fühlt sich „schmutzig, zerstört, leer„. Hat man einen Begriff von „Seele“, spürt man, dass es hier um Vernichtung geht – Vernichtung durch Sexualität (unsere heiligen Kuh, die auf einmal sehr dämonisch daherkommt). Die Seele empfindet ihre eigene Vernichtung, ihre Leere – und die Tatsache der Entwürdigung. „Sexueller Missbrauch“ ist – angesichts dieser Empfindungen, die er auslöst, ein ziemlich verniedlichender Begriff. Holocaust, das totale Verbranntsein, trifft es eher – erst recht, wenn man die quantitativen Ausmaße dieser Verheerungen in unserer Gesellschaft sieht.

Doch bleibt es nicht dabei: der Missbrauch ist nur der Auftakt eines lebenslangen Leidens, einer für immer und ewig zerstörten Existenz … in seiner Unwiderruflichkeit und Unheilbarkeit dem Morde sehr ähnlich – nur dauert das Leiden der Seele bis zur Erlösung viel länger, lebenslänglich – was meiner Meinung nach eine Gleichsetzung mit Mord rechtfertigt.

Diese zerstörte Seele ist in ihrem tiefsten Inneren zerrüttet – doch existiert sie weiter … in diesem Fall in einer Umwelt, die das kleine Kind (wie allgemein üblich) zusätzlich bestraft: man trifft im Freundeskreis auf Unglauben, in der Familie auf offene Ablehnung, die soweit führte, dass die Mutter das „unreine“ Kind aus der Familie verstieß – wir sehen, dass unser Kulturkreis zu den gleichen Methoden fähig ist wie die von uns häufig kritisierte muslimische Kultur, die schon mal Vergewaltigungsopfer ermorden läßt, weil sie „unrein“ sind. Das Kind trifft mit seiner verletzten Seele auf eine Umwelt, die ihm sofort feindlich gesinnt ist: es will sich wichtig tun, wird ihm vorgeworfen, es wird belächelt, seine Geschichte als „Wunsch nach Aufmerksamkeit“ abgetan, letztlich – der Todesstoß – wendet sich die eigene Mutter zugunsten des Täters (ein Stiefvater) von dem Kind ab, entsorgt es zu anderen Familienangehörigen, fälscht Briefe, um das Kind zu belasten und den Täter zu schützen.

Was folgt, kennt die Wissenschaft zur Genüge: das Opfer flüchtet sich in die Krankheit, um so schnell wie möglich dem Täter zu entkommen. Das Krankenhaus ist eine sichere Alternative zum eigenen Zuhause, da Flüchtlinge dieser Art kaum Zuwendung in unserer Gesellschaft finden, die einzige Art, Sicherheit zu finden. Es verletzt sich selbst mit Messern – was zu massivem Mobbing in der Schule führt. Opfer sind nicht gern gesehen im Land der Sieger, jenem Land, dem es per Beschluss der Kanzlerin gut geht. Auf eine Seele, die verletzt am Boden liegt, tritt man gerne drauf: Alltagsfaschismus der genehmen Art. Das Kind bricht sich selbst seinen Arm, um zu entkommen, fügt sich Verbrennungen zu – es ist sogar in der Lage, sich selbst eine Blinddarmentzündung zuzufügen (ja – da war ich selbst überrascht, aber es scheint zu gehen).

Hören wir das Kind selbst dazu, es existieren Einträge aus dem Tagebuch:

Ich hasse mein Leben. Ich will einfach nur weg. Es wäre eh allen egal und ich hätte meine Ruhe!

Manchmal fühle ich mich als wäre ich ein Stern im einsamen, kalten Universum.


Das war mit 12. Ein Jahr später:


Mein Leben ist mir egal, am Liebsten wäre ich tot!

Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr! Bitte, bitte gute Fee und helf mir! Bitte!

Urvertrauen – nach eigenen Worten – war nicht mehr vorhanden.

Die Leere im Leben weicht nicht. Schlimm für eine Seele, wenn sie leer ist, leer bleibt, so schlimm, dass mit 14 alles unternommen wird, der Leere zu entkommen: Drogen, Sex, Alkohol, Tabletten – und fortdauernde Selbstverletzung: über die Reaktionen der Umwelt auf diese Signale brauchen wir glaube ich nicht näher eingehen – sie waren so grausam die die Tat selbst. Die Gefühle, die diese Zeit begleiten?

„Sehnsucht nach Liebe, Freiheit, Verständnis. Alleine gelassen. Verlassen, ausgenutzt, dreckig.“

„Seele“ – hat ein Gefühl von „heil sein“ – und kann beschmutzt werden, endgültig, irreparabel, durch einen einzigen, kurzen kranken Akt. Wie weit wären wir doch, wenn wir dies wieder erkennen würden – stattdessen fallen wir sozial zurück in Anschauungen, die vor über dreitausend Jahren in barbarischen Zeitaltern Norm waren.

Das Kind – fügt sich selber Schmerzen zu, um überhaupt noch etwas von sich selbst zu spüren, ständig begleitet von der Verzweiflung über sich selbst, „dass man wieder Scheiße gebaut hat„, lebt „in einem Labyrinth ohne Ausgang„. Geplant … war das Leben anders. Ein Studium war angedacht, Chemie wäre schön gewesen. Dieser Lebenstraum jedoch – vernichtet in einem einzigen Akt.


Strafanzeige?


Fehlanzeige. Hören wir das Kind selbst: „Oft war der Gedanke da eine Anzeige zu machen und doch konnte ich es nicht. Ich wollte nicht alles wieder durchleben müssen, ich wollte nicht das alles in mir wieder ausgewühlt wird. Ich wollte nicht vor verschiedenen Gutachtern sitzen und jedes Detail erzählen müssen. Ich habe mich mit Frauen unterhalten die es getan haben, sie wurden mehrfach einem Gutachter vorgesetzt weil Kleinigkeiten in der Aussage unterschiedlich waren und wenn es nur die Farbe der Bettwäsche war. Nein! Anzeige erspare ich mir selber und hoffe das das Leben seine Rache für mich nimmt an dem Täter.“

Ja – erinnert man sich nicht an die Farbe der Bettwäsche, ist man schnell ein böser Täter, der üble Verleumdungen ausstößt. Der Täter – infolge des Alters immer überlegen, erst recht argumentativ. Die Gutachter – verdienen sich dumm und dämlich.



Therapie?


Wie soll eine Gesellschaft Wunden an einer Seele heilen, die gar keine Vorstellung von Seele hat?

„4 Therapeuten, 4 verschiedene Meinungen über solche. Für mich gibt es drei Arten von Therapeuten.

Die Therapeuten die ihren Job ernst nehmen, verständnisvoll, rücksichtsvoll und ehrlich mit einem umgehen. diese Art, die wirklich Interesse an einem und seinem Schicksal zeigen.

dann die Art die den Job nur machen weil es gut Geld gibt. die jenigen die einem null helfen und mit einem small talk halten und einem dann noch irgendwas unterstellen,

dann Art Nummer 3. die Therapeuten die behaupten das sie Ahnung haben, man aber die wirkliche Thematik nicht ansprechen darf. die jenigen die einem genauso wenig helfen wie Nummer 2. sie setzen einen dann lieber auf Tabletten und damit ist die Sache erledigt,

dann haben wir da noch Nummer 4. Nummer 4 sind die Therapeuten die sehr oberflächlich sind, die eine hohe theoretische Bildung haben, die einen mit Fachbegriffen vollpumpen und diese auch gut und sachlich erklären können. sie haben aber in Wirklichkeit kein Verständnis und kein Interesse am eigentlichen Schicksal. die machen sich falsche Notizen und so passiert es dann auch das einem kreativen Menschen, der eh schon auf diesem Gebiet viel macht, eine ergo therapie verschrieben wird.“

Hauptsache, der Rubel rollt. Therapeuten wirken „oberflächlich“, sachlich nüchtern und kalt. Geht ja auch nur um Gedöns.



Das Kind?


Wird größer, ist bald dreissig Jahre alt. Was bleibt, sind die Albträume. Jede Nacht. JEDE NACHT. Der Akt wiederholt sich noch und noch, der Missbrauch reicht in die Ewigkeit. Ebenso die Bilder, Worte, Botschaften, die sich beständig wiederholen, täglich, zu jeder Gelegenheit:

„DU BIST NICHTS“

„DU DARFST KEINEM WAS SAGEN!“

„WENN DU EINEM WAS SAGST, PASSIERT WAS!“


Mit der letzten Drohung war in diesem besonderen Zusammenhang die pflegebedürftige, von dem Kind sehr geliebte Oma gemeint, die eine Aussage des Kindes nicht überlebt hätte. Auf die Darstellung der konkreten sexuellen Handlungsanweisungen möchte ich nicht eingehen … nur auf den Tatbestand, dass sie auch heute noch – zum Beispiel beim Joggen, wenn man einfach abschalten möchte – plötzlich und mit großer Macht über die Seele herfallen.

Das Kind ist dreissig Jahre alt, als Folge des Missbrauches haben sich seit einigen Jahren dissoziative Störungen eingestellt, aktuell begleitet von Momenten fehlender Alltagserinnerung, sogenannten Blackouts, eine – für diese Fälle typische – Borderlinestörung wurde erst Jahre später festgestellt, eine dissoziative Störung erst 2015, nach den ersten Therapieerfahrungen mit 19 wurde die damalige Diagnose nicht mitgeteilt – so geht man halt mit Gedöns um. Das Kind kämpft beständig, täglich … ums Überleben – gegen „das Ritzen“, gegen die Träume, gegen die imperativen Botschaften. Beruflich fühlt es sich nicht eingeschränkt … allerdings sind Berufe, die einen mit persönlichen Schicksalen konfrontieren, undenkbar – ebenso das Ertragen der Schilderung persönlicher Lebensgeschichten im Freundeskreis.

In Gesellschaft jedoch … wird eine Fassade aufgesetzt, eine dicke Mauer gebaut … „und wehe, es guckt einer dahinter„. Das Kind – ist ängstlich, immer noch. Auf ewig. Empfindet immer noch einen mangelnden Wert, ist durch Komplimente kaum erreichbar.

Der Rat des Kindes an andere Kinder: DAS SCHWEIGEN BRECHEN … was es hiermit getan hat, stellvertretend für viele, die immer noch schweigen – schweigen müssen.