für meine Kinder  
   
     
   
   
 
 
 
 
         
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Cornelia Rombach * Diplompsychologin * Weinstr. 33 * D-79336 Herbolzheim

Tel. 07643-6604
Fax 07643-8515


Psychologisches Gutachten



In der Familiensache Alteck, Thomas ./. Alteck, Ute

AZ 18 UF 242/99
AZ 18 UF 108/00

Beim Oberlandesgericht Karlsruhe



Herbolzheim, den 16.02.2001




Inhaltsverzeichnis




Aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. März 2000 (Eingangsdatum 6. April 2000) und des Beschlusses vom 17. August 2000 (Eingangsdatum 2. September 2000) erstatte ich in der Familiensache Alteck, Thomas .1. Alteck, Ute das folgende psychologische



Informationen zu den beteiligten Personen

Die Informationen wurden folgenden Akten entnommen:

AZ 18 UF 108/00, OLG Karlsruhe (elterliche Sorge),

AZ 42 F 217/99 Familiengericht Freiburg

AZ 18 UF 242/99, OLG Karlsruhe (Umgang)

AZ 42 F 18/99, 42 F 106/94,42 F 106/94,42 F 102/93 und 42 F 65/94,

Familiengericht Freiburg

AZ 18 AR 12/94, OLG Karlsruhe

AZ 13 F 281/92, Familiengericht Böblingen

AZ 13 F 67/92, Familiengericht Böblingen (Sorgerecht)

AZ 13 UF 133/93, OLG Stuttgart

AZ 18 UF 149/94, OLG Karlsruhe

AZ 10 Js 4698/00



Kinder:

Anna Alteck, geboren am 01.11.1984

Maria Alteck, geboren am 14.03.1986

Yvonne Alteck, geboren am 12.04.1988

Wohnung: bei der Mutter, Frau Ute Alteck,

Vater: Herrn Thomas Alteck






I. Fragestellung des Oberlandesgerichts

Die Fragestellung des Oberlandesgerichts vom 24.03.2000 lautet:

Zur Frage, ob es im Interesse des Kindeswohls liegt, dass die Kinder Anna, Maria und Yvonne Umgang mit ihrem Vater haben und zur Ausgestaltung eines etwaigen Umgangsrechts, ist ein Sachverständigengutachten einzuholen."

Mit Beschluß vom 17.08.2000 wurde der Gutachtenauftrag ausgeweitet mit folgender Fragestellung:

"In das im Verfahren 1 8 UF 242/99 (Umgang) zu erstattenden Gutachten durch die Sachverständige Dipl.-Psychologin Rombach ist die Frage, ob der Mutter — Frau Ute Alteck — aus Gründen des Kindeswohls die elterliche Sorge für die ehegemeinsamen Kinder zu entziehen und auf den Vater —Herrn Thomas Alteck — zu übertragen ist, mit einzubeziehen."



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II. Psychologische Fragen

Aus den Fragestellungen des Gerichts wurden die nachfolgenden psychologischen Fragen entwickelt:

  1. Welcher Art sind die Gefühlsbeziehungen zwischen Anna / Maria / Yvonne und ihrem Vater, von beiden Seiten aus? Wie haben sich diese Beziehungen bis heute entwickelt?
  2. Welche anderen Personen erleben Anna / Maria / Yvonne als für sich wichtig?
  3. Wie sehen die Vorstellungen von Anna / Maria / Yvonne in bezug auf Kontakte zum Vater aus?
  4. Welche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden von Anna / Maria / Yvonne sind bei Besuchskontakten mit dem Vater kurzfristig und langfristig zu erwarten?
  5. Welche Entwicklung ist bei Anna / Maria / Yvonne kurzfristig und langfristig zu erwarten, wenn kein Kontakt mit dem Vater besteht?

  6. WeIcher Art sind die Gefühlsbeziehungen von Anna / Maria / Yvonne zu ihrer Mutter?
  7. Wie hat die Mutter ihre Erziehungsaufgaben bisher erfüllt?
  8. Wie stellen sich die Mutter / der Vater die weitere Erziehung von Anna, Maria und Yvonne vor?
  9. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sind für Anna / Maria / Yvonne unter den verschiedenen Lebensbedingungen der Mutter bzw. des Vaters zu erwarten?

     

    Die Fragestellungen werden bearbeitet und beurteilt im Hinblick auf die Gefühlsbeziehungen (insbesondere die ~8indungen") von Anna, Maria und Yvonne. Ein weiteres Kriterium sind die Willensäußerungen von Anna / Maria/ Yvonne, wo sie zukünftig leben möchten, ob sie Umgang mit dem Vater haben möchten und welche Vorstellungen sie für eine zukünftige Gestaltung des Umgangs haben. Die Kooperationsbereitschaft und Kommun ikationsfähigkeit der Eltern im Hinblick auf Regelungen, die den Kontakt von Anna, Maria und Yvonne zum Vater betreffen, sollen ebenfalls beurteilt werden. Die Einstellungen und das Verhalten der Mutter in bezug auf Kontakte der Kinder zum Vater sollen untersucht werden. Die Bearbeitung der Fragestellungen soll auch Auskunft geben über die Erziehungsfähigkeit der Mutter bzw. des Vaters. (Teile V und VI des Gutachtens)



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    III. Untersuchungsmethoden

    Den zur Verfügung gestellten Gerichtsakten (s. 8 ) wurden einige wichtige Informationen zur Beantwortung der Fragestellung entnommen. Dazu zählen die Dynamik und die Eckdaten im Trennungsverlauf, Daten zum familiären Beziehungsgefüge und die bisherige Entwicklung der familiären Beziehungen nach der Trennung der Eltern.

    Mit den Beteiligten fanden folgende Kontakte für die erforderlichen psychologischen Untersuchungen statt:

     

    20.06.2000 Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit der Mutter, Frau Alteck, in der Praxis der Sachverständigen

    21.06.2000 Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit dem Vater, Herrn Alteck, in der Praxis der Sachverständigen

    13.07.2000 Exploration von Anna, Maria und Yvonne (jeweils einzeln) in der Wohnung der Familie in Sonstwo

    14.07.2000 Exploration der Kinder in der Praxis der Sachverständigen

    24.07.2000 Gespräch mit Herrn Alteck

    07.09.2000 Gemeinsames Gespräch mit Mutter und Kindern nach Erweiterung der Fragestellung des Gerichts auf die elterliche Sorge, in der Wohnung der Familie in Sonstwo

    11.09.2000 Gemeinsames Gespräch der Kinder mit dem Vater in der Praxis der Sachverständigen

    12.09.2000 Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit dem Vater in der Praxis der Sachverständigen

    20.09.2000 Psychodiagnostische Einzelgespräche mit Frau Alteck, Anna, Maria und Yvonne in Räumen von Pro Familia Freiburg, da die Sachverständige die Exploration in einer neutralen Umgebung durchführen wollte und Mutter und Kinder aus organisatorischen Gründen Freiburg bevorzugten.

     

     

    Folgende psychologische Untersuchungsverfahren wurden eingesetzt, um die oben entwickelten psychologischen Fragen zu beäntworten:

    Mit der Mutter / dem Vater wurden getrennt systematische psychodiagnostische Gespräche geführt. Dabei ging es u.a. um die Themen:

    Wie sehen die Mutter / der Vater die derzeitige psychische Situation von Anna, Maria und Yvonne? Wie beurteilen sie diese im Hinblick auf den jeweils anderen Elternteil? Welches Bild haben sie von ihren Töchtern? Welche Gefühle haben die Mutter / der Vater ihnen gegenüber? Wie schätzen sie ihre früheren Beziehungen ein? Sehen Sie Veränderungen gegenüber früher? Wie beurteilen sie ihr eigenes Verhalten als Elternteil und das des jeweils anderen? Welche Rolle spielen die Mutter / der Vater für die Beziehung von Anna / Maria / Yvonne zum jeweils anderen Elternteil? Welche Vorstellungen haben die Mutter / der Vater über den zukünftigen Umgang der Kinder mit dem jeweils anderen Elternteil sowie mit anderen Bezugspersonen? Wie nehmen die Mutter / der Vater die Bedürfnisse von Anna, Maria und Yvonne wahr? Wie beurteilen sie ihr eigenes Erziehungsverhalten und das des anderen Elternteils?

    Mit Anna, Maria und Yvonne sollten getrennt systematische psychodiagnostische Gespräche geführt werden. Dabei ging es um folgende Themenschwerpunkte: Wie sieht ihr jetziges Leben aus (Schule, Freizeit, Freunde, Interessen, familiäre und soziale Beziehungen), was gefällt ihnen daran und was nicht? Mit welchen Fragen, Problemen und Ängsten beschäftigen sie sich gedanklich? Wodurch fühlen sich Anna / Maria /Yvonne belastet? Weitere Fragen beinhalten die Beziehung der Schwestern untereinander; ihre Beziehung zur Mutter / zum Vater (d.h., Hoffnungen, Wünsche, Befürchtungen und Ängste, die sie mit der Person der Mutter bzw. des Vaters verbinden). Welche Hoffnungen, Wünsche, Befürchtungen und Ängste haben sie für die Zukunft, wenn sie Umgang mit dem Vater haben würden bzw. wenn sie keinen Umgang mit dem Vater haben würden?

    Aufgrund der Erweiterung der Fragestellung auf die elterliche Sorge sollte bei der Mutter und den Töchtern in Einzelgesprächen zum Vorwurf des sexuellen Missbrauchs expioriert werden (Entstehungsbedingungen und konkrete Anschuldigungen).

    -Verhaltensbeobachtungen von Cetine, Maria und Yvonne; lnteraktionsbeobachtungen der Schwestern untereinander sowie in teilfamiliärer Interaktion mit der Mutter / mit dem Vater. Diese sollten Aufschluß geben über die Beziehung zwischen den Schwestern sowie über die Beziehung von Anna / Maria / Yvonne zur Mutter / zum Vater, wie sie sich im lnteraktionsverhalten zeigen.

    -Mit dem Problemfragebogen für 11 - bis 14jährige (PF 11—14 von Westhoff, Geusen-Asenbaum, Leutner und Schmidt, 1981, 1999) sollten Daten über das persönliche Erleben und Verhalten von Anna, Maria und Yvonne gewonnen werden, wie es sich in der Schule, dem Elternhaus und unter Gleichaltrigen zeigt. Der Fragebogen PF 11-14 erfaßt die Sorgen, Nöte und Probleme von Kindern und Jugendlichen, die gerade in der Adoleszenz als einer Übergangsphase in ihrer Entwicklung auftreten können. Der Fragebogen besteht aus 233 Items zu fünf Bereichen: "Über mich", "Meine Familie", "ich und die anderen", "Meine Schule", "Allgemeines". Die Antworten werden mit "Ja" oder "Nein~ angekreuzt. Es sollte die Fassung für Jungen vorgelegt werden. Der Problemfragebogen für 11- bis 1 4jährige ist kein Test in dem Sinne, dass ein einheitliches Konstrukt oder eine Menge von Konstrukten operationalisiert wird, sondern jedes Item ist für sich zu beurteilen. Daher ist es auch zulässig, ihn zur systematischen Exploration von etwas älteren Jugendlichen (im vorliegenden Fall für die 1 Sjährige Anna) anzuwenden.



    Aktenauszug

    Frau Alteck ist 1956 in Holzminden geboren, Herr Alteck 1957 in Velbert. Frau Alteck ist deutsche Staatsangehörige ‚ Herr Alteck niederländischer Staatsangehöriger. Frau Alteck ist von Beruf Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie, hat jedoch nur kurz als Lehrerin gearbeitet; sie ist Hausfrau und bezieht Hilfe zum Lebensunterhalt. Herr Alteck ist Diplomingenieur und arbeitet derzeit als Prokurist in der Firma seiner Lebensgefährtin. Herr und Frau Alteck heirateten im April 1 984 in Holzminden. Aus der Ehe sind drei Töchter hervorgegangen: Anna am 1.11.84, Maria am 14.03.86 und Yvonne am 12.04.88. Im Jahr 1986 zogen die Eltern nach Unbenannt, da Herr Alteck eine Stelle bei IBM annahm. Frau Alteck war nie berufstätig, sondern immer für die Betreuung der Kinder zuständig. Die Ehe wurde am 24.03.93 vor dem Familiengericht Böblingen geschieden und das Sorgerecht für die drei Kinder der Mutter übertragen und dem Vater ein unbetreutes Umgangsrecht eingeräumt. (AZ 13 F 281/92 AS 189-209). Frau Alteck lebt mit den drei Töchtern in Sonstwo (bei Bad Krozingen). Das vierte Kind - der Sohn Joscha wurde 30.04.1994 geboren - lebt ebenfalls im Haushalt von Frau Alteck. Der Vater von Joscha, Herr Ries, war der mehrjährige Lebensgefährte der Mutter, in dessen Haus sie und die Töchter zusammengewohnt hatten. Die Beziehung besteht nicht mehr. Die Mutter lebt mit den Kindern in einer Vier-Zimmer-Wohnung.

    Die Trennung der Eheleute H. erfolgte im November 1991. Frau H. hatte einen Tag nach dem Auszug Herrn H.s zum ersten Mal behauptet, der Vater habe die älteste Tochter Anna sexuell missbraucht. Anna wurde zur Therapie in die Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen KOBRA nach Stuttgart gebracht. In der Folge entwickelte sich ein erbitterter Konflikt zwischen den Eltern, da der Vater den Vorwurf zurückwies und die Mutter jeden Kontakt der Kinder mit dem Vater wegen des Missbrauchsverdachts ablehnte und verhinderte. Der Verdacht wurde nie konkretisiert. Die damals siebenjährige Anna habe die Mutter gebeten, sie nicht alleine beim Vater zu lassen. Sie habe gesagt: "Der Papa hat es getan, wenn du nicht da warst."

    Herr Alteck stellte am 21 .1 .1992 den Antrag auf Ubertragung der elterlichen Sorge (AZ 1 3 F 67/92 AS 1-12), Frau Alteck beantragte dies am 3.2.92 (AZ 13 F 67/92 AS 22-29). Herr Alteck behauptete seit der Äußerung des Missbrauchsverdachts, dass Frau Alteck psychisch krank sei und die Kinder bei ihr gefährdet seien. Es wurden in der Scheidungsauseinandersetzung drei Gutachten von Prof. Lempp erstattet, davon eines zur Behandlungskonzeption von KOBRA. Prof. Lempp sprach sich aufgrund der Bindungen und dem Willen der Kinder für den Verbleib bei der Mutter aus. Ein weiteres Gutachten wurde von Prof. Täschner zur psychischen Gesundheit der Eltern angefertigt, die bei beiden Eltern bejaht wurde. Es kam in der Folgezeit zu keinem Kontakt zwischen Vater und Kindern. Herr Alteck wandte sich gegen die Behandlungsmethoden von KOBRA, da ihm jegliche Auskunft und auch Gespräche verweigert wurden. Am 1 .7.92 entführte Herr Alteck bei Ferienbeginn die Kinder und verbrachte drei Wochen mit ihnen auf Texel. Nach der Rückkehr erhielt Frau Alteck das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit des Getrenntlebens. Herr Alteck wurde wegen Kindesentzug verurteilt. Im Januar 1993 zog Frau Alteck in eine kleine Gemeinde bei Freiburg. Ihre neue Anschrift war dem Gericht zunächst nicht bekannt. Die Mutter bestritt weiterhin die Erziehungseignung des Vaters mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch; der Vater blieb auch nach dem Gutachten von Prof. Täschner bei seiner Meinung, bei Frau Alteck ließen sich Anzeichen einer Schizophrenie, zumindest jedoch einer Borderline-Störung feststellen. Deshalb sei die Mutter erziehungsunfähig. Das Familiengericht Böblingen hielt in seinem Scheidungsurteil vom 24.02.93 beide Eltern für erziehungsfähig und in der Lage, die elterliche Sorge auszuüben. Aufgrund der Bindungen der Kinder wurde der Mutter die Alleinsorge übertragen. Der Vater erhielt ein unbetreutes Umgangsrecht, da das Gericht den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nicht für begründet hielt (AZ 13 F 282/92 AS 13). Herr Alteck legte am 30.03.93 Beschwerde gegen das Scheidungsurteil ein. Er beantragte, die elterliche Sorge auf ihn zu übertragen und im Wege der einstweiligen Anordnung den Umgang zu regeln. Herr Alteck habe die Kinder einmal bei einem betreuten Umgang vom Kinderschutzbund im November 1992 gesehen, danach habe die Mutter alle weiteren Termine abgesagt.

    Am 29.03.93 legte Frau Alteck Beschwerde gegen das Umgangsrecht des Vaters ein (AZ 18 UF 133/93 AS 229). Frau Alteck lehnte jeglichen Umgang der Kinder mit dem Vater ab. Die Begründung war weiterhin sexueller Missbrauch, diesmal auch auf die jüngste Tochter ausgeweitet (AZ 18 UF 133/93 AS 251-254). Am 08.12.93 erstattete Herr Alteck. Strafanzeige gegen Frau Alteck wegen Verleumdung. Es fanden im Jahr 1993 keine Umgangskontakte zwischen Vater und Kindern statt. Gleichzeitig zum Beschwerdeverfahren vor dem OLG Stuttgart lief vor dem Familiengericht Freiburg ein Verfahren zur Regelung des Umgangs. Im November erging ein Zwangsgeldbeschluß gegen die Mutter, weil sie mit den Kindern nie zu Hause war, wenn der Vater seinen Besuch angekündigt hatte.

    Am 31.01 .1994 ging von KOBRA eine Stellungnahme beim OLG Stuttgart ein. Anna habe~keine eindeutigen verbalen Aussagen bezüglich sexuellen Missbrauchs durch den Vater gemacht (AZ 18 UF 133/93 AS 320). Am 28.02.94 berichten die Psychologinnen Überschaar und Krug über die Therapie von Maria und Yvonne. Vorstellungsgrund sei die Entführung durch den Vater im Sommer 92 gewesen und der dringende Verdacht des sexuellen Missbrauchs an der ältesten Tochter. Nicht klären lassen hätte sich, ob Maria und Yvonne sexuelle Übergriffe erlebt oder beobachtet hätten. Es sei während der Therapie zu einer Stabilisierung der Kinder gekommen, auch das familiäre Umfeld sei stabiler geworden. Den neuen Lebensgefährten der Mutter würden die Kinder zunehmend als Vaterfigur annehmen (AZ 18 UF 133/93 AS 320). Am 22.03.94 erging der Beschluß des OLG Stuttgart, den Antrag des Vaters auf Übertragung der elterlichen Sorge abzuweisen (AZ 18 UF 133/93 AS 328-333). Das Gericht sah keine schwerwiegenden Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter. Es wurde zunächst ein betreutes Umgangsrecht beschlossen im Hinblick auf die bestehenden Spannungen und darauf, dass die Kinder durcheinander seien. Im Anschluß an das betreute Umgangsrecht und die Familientherapie sollten die Eltern sich darauf einigen, wie zukünftig der Umgang gestaltet werden könnte. Die Mutter wurde darauf hingewiesen, alles zu unterlassen, was das Verhältnis der Kinder zum Vater beeinträchtige.

    Seit 1994 waren das Familiengericht Freiburg ununterbrochen mit Umgangs- und Sorgerechtsverfahren in der Angelegenheit Alteck beschäftigt. Nahezu alle Vereinbarungen wurden von der Mutter nicht eingehalten. 1995 wurde auf Anregung des OLG Freiburg ein betreutes Umgangsrecht beim Kinderschutzbund initiiert (AZ 18 UF 149/94 AS 99).

    Am 17.03.95 fand der erste Kontakt zwischen Vater und Kindern unter der Betreuung von Frau Dipl.-Psych. Storz beim Kinderschutzbund statt (AZ 42 F 106/94 AS 125-1 27), darauf eine Nachbereitung mit beiden Eltern. Im April traf Frau Storz die Kinder zu einem Nachgespräch. Die Kinder hatten Frau Storz mitgeteilt, dass sie sich vom Vater eine schriftliche Entschuldigung für die Entführung wünschten, was dieser machte. Es kam jedoch zu keinem weiteren Kontakt. Frau Alteck berichtete gegenüber dem Jugendamt, die Kinder hätten keinen weiteren Kontakt gewünscht (AZ 42 F 106/94 AS 107-1 09). Der Verhandlungstermin vor dem OLG Karlsruhe am 5.09.95 platzte, weil die Mutter sich zu Verhandlungsbeginn krank gemeldet hatte. Frau Alteck lehnte weiterhin jeden Umgang mit dem Vater ab, da die Kinder ihn nicht sehen wollten.

    Am 1 2.03.96 wurde vom Familiengericht Freiburg ein betreutes Umgangsrecht für die beiden Kinder Maria und Yvonne beschlossen. Anna wurde wegen ihrer Angst vor dem Vater davon ausgenommen. Als Betreuungsperson wurde Frau Haack bestimmt, die der Mutter von den Therapeutinnen der Kinder empfohlen wurde. Die Parteien und das Jugendamt wurden aufgefordert, dem Gericht zu berichten, wie die Kontakte verlaufen seien (AZ 42 F 106/94 AS 205-209, 225, 227). Das erste Treffen fand am 19.04.96 statt. Der Jugendamtsbericht vom 22.08.96 schilderte, dass die Besuchszeiten von 14.30 — 17.30 dauerten, Maria und Sjann ließen bei der Verabschiedung vom Vater auch Körperkontakt zu. Frau Alteck habe berichtet, den Kindern sei es schon auf der Rückfahrt im Auto schlecht geworden, Yvonne habe einige Tage danach verstärkt eingenäßt und eingekotet, während Maria erst zwei Tage nach dem Besuchskontakt durch "rumtoben und aggressives Verhalten" reagierte (AZ 42 F 106/94 AS 2261-263).

    Am 16.01.99 beantragte Herr Alteck vor dem Familiengericht Freiburg einen Termin zur Regelung des Umgangs. Ein Jahr lang hatten die betreuten Kontakte funktioniert, Anna sei bei den Übergabeterminen mehrfach dabei gewesen, sie habe jedoch nicht daran teilgenommen. Seit einem Jahr gebe es wieder Probleme. Die Mutter weigere sich, die Hälfte der Betreuungskosten zu tragen und er selbst könne nicht die ganze Summe aufbringen. Zu einem unbetreuten Umgang sei Frau Alteck nach wie vor nicht bereit, sie hatte sich jedoch dazu bereit erklärt, selbst die Betreuung zu übernehmen (AZ 42 F 18/99 AS 1-3). Seit Mai 1999 ist RA Oesterle als Verfahrenspf leger eingesetzt. Gegenüber dem Jugendamt äußerte Anna im Juli 99, dass sie sich zunehmend an den sexuellen Missbrauch erinnern könne und überlege, ob sie ihren Vater anzeige (AZ 42 F 18/99 AS 5 1-55). Der Verfahrenspf leger gab in seiner Stellungnahme die Empfehlung, ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben, das die Ursache für den Kontaktabbruch abklären sollte. Das Gutachten sollte der Frage nachgehen, ob es sich bei der Umgangsverweigerung möglicherweise um PAS handle. Der Verfahrenspf leger regte zusätzlich an, ein Glaubhaftigkeitsgutachten über Annas Aussage einzuholen. Er schrieb, Anna, Maria und Yvonne wollten den Vater nur im Beisein einer vertrauten Person sehen, wenn überhaupt. Anna wollte beim Umgang der Schwestern mit dem Vater dabei sein, um ihre Schwestern zu schützen (AZ 42 F 18/99 AS 63-97). Am 6.10.99 fand die Anhörung der Kinder, der Eltern sowie von Frau Haack vor dem Familiengericht statt. Frau Alteck brach vor dem Gericht in Tränen aus und schilderte detailgetreu, wie der Missbrauch von Anna in einer Scheune stattgefunden habe, vom Geruch des Heus habe sie Asthma bekommen. Auf Anraten der Therapeuten von Anna habe sie das jedoch nie geäußert. Anna sei jetzt entschlossen, eine Anzeige gegen den Vater zu machen.

    Niemand könne sie zu einem unbetreuten Umgang zwingen (AZ 42 F 18/99 AS 113-127). Am 4.11.99 ergeht folgender Beschluss: der Vater erhält ein Umgangsrecht mit seinen Töchtern, an jedem zweiten Samstag des Monats, die ersten beiden Kontakte werden von Frau Haack begleitet. Die Kosten dafür tragen die Parteien zu Hälfte. Der Vater bekommt ein Auskunftsrecht über Erkrankungen und Therapien der Kinder und über die schulische Entwicklung unter Vorlage der zu unterschreibenden Klassenarbeiten und Zeugnisse (AZ 42 F 18/99 AS 135-145). Gegen den Beschluß legten die Beteiligten Beschwerde ein. Anna erstattete Strafanzeige gegen ihren Vater (zwischenzeitlich eingestellt), Herr Alteck gegen Frau Alteck wegen falscher Verdächtigung (ebenfalls eingestellt). Ein Glau bhaftig keitsgutachten von Anna wurde von der beauftragten Sachverständigen Frau Dr. PohleHauß als nicht mehr durchführbar bezeichnet (AZ 10 Js 4698/00 AS 7-1 1). Sie begründete es zum einen damit, dass nach so langer Zeit aus gedächtnispsychologischen Gründen die Einflüsse auf die Aussagen schwer bestimmbar seien. Da Anna erst als 1 Sjährige detailliert über angebliche Erlebnisse, die sie in der Kindheit gehabt haben will berichtete, verfüge sie über so viel sexuelles Wissen, dass sie kompetent genug wäre, die spezifischen Details der Aussage auch ohne Erlebnishintergrund einbauen zu können. Die Sachverständige verweist bezüglich der motivationalen Bedingungen auf die familiengerichtlichen Auseinandersetzungen und den Erwartungsdruck des familiären Umfelds gegenüber Anna.

    Der Vater führte im Februar 2000 an, er habe im November 1999 deshalb das Familiengericht angerufen, um erneut über die elterliche Sorge zu entscheiden, dass Frau Alteck jede Umgangsregelung unterlaufe( AZ 1 8 UF 242/99 AS 71-73). Mit Beschluß vom 25 .04.00 wurde der Antrag des Vaters auf Sorgerechtsübertragung zurückgewiesen. (AZ 42 F 117/99 AS 69-71). Aufgrund der Bindungen und des Kindeswillens sehe sich das Gericht nicht in der Lage, die Sorge auf den Vater zu übertragen. Es bleibe zu hoffen, dass die Kinder irgendwann stark genug seien, sich von ihrer völligen psychischen Abhängigkeit von der Mutter zu lösen und die durchaus vorhandene Beziehung zum Vater aufzunehmen. Herr Alteck legte am 18.05.00 Beschwerde gegen das Urteil ein (AZ 18 UF 108/00 AS 1-9). Für den Realitätsverlust von Frau Alteck führte er an, sie behaupte mittlerweile auch, ihr ehemaliger Lebensgefährte habe Anna sexuell missbraucht, während sie zur Entbindung im Krankenhaus war. Es gebe auch in diesem Fall gerichtliche Auseinandersetzungen um den Umgang. Er begründete seinen Antrag mit § 1 666, Gefährdung des Kindeswohls bei der Mutter infolge psychischer Erkrankung.






    IV. Ergebnisse




    Exploration der Mutter

    Psychodiagnostische Einzelgespräche mit Frau Alteck, der Mutter von Anna, Maria und Yvonne

    Mit Einverständnis von Frau Alteck wurde die Exploration auf Tonband aufgezeichnet.

    Zur Frage des Umgangs der Kinder Anna, Maria und Yvonne mit dem Vater berichtete Frau Alteck, dass die Kinder den Vater nicht sehen wollten. Das hätten die Kinder auch schon vor dem Familiengericht geäußert und daran habe sich nichts geändert. Sie erlebe die Kinder so, dass ein Kontakt mit dem Vater für diese undenkbar seien. Sie selbst könne sich einen Umgang, egal in welcher Form, deshalb auch überhaupt nicht vorstellen. Dazu sage sie ganz klar nein.

    Bislang sei betreuter Umgang für sie "das Ende der Fahnenstange" gewesen. Aber nach dem Beschluß des Familiengerichts Freiburg, in dem ihr soviel Negatives unterstellt wurde, könne sie sich gar nichts mehr vorstellen. Sie glaube auch nicht, dass es gut für die Kinder sei, den Vater zu sehen. Die Kinder äußerten ihr gegenüber immer wieder, dass sie das nicht wollten. Herr Alteck habe sie im Frühjahr 2000 zweimal unangekündigt und ungebeten in Sonstwo aufgesucht.

    Beim ersten Mal sei Herr Alteck gleich vor der Wohnungstür gestanden, er habe nicht einmal unten an der Haustür geklingelt. Maria sei zuerst an der Tür gewesen und habe zu ihr gesagt, der Papa sei da. Sie wollte es zuerst gar nicht glauben. Sie selbst habe dann die Tür geöffnet und ihn gefragt, was das solle. Dabei habe er sofort die Fußmatte zwischen die Tür geschoben und einen Fuß in den Spalt gesteckt. Sie habe sich gedacht, er komme bestimmt nicht in einer friedlichen Absicht, wenn er gleich einen Fuß in die Tür stelle und habe die Tür zugedrückt. Herr Alteck habe dagegen gedrückt und dabei sei die Tür gesplittert. Sie habe dann sofort die Polizei angerufen und sehr laut gesprochen, damit Herr Alteck vor der Tür das auch mitbekomme. Er sei dann aus dem Haus gegangen und ins Auto eingestiegen. Sie habe zwar noch versucht, ihn so lange aufzuhalten, bis die Polizei komme, da er noch einmal ausgestiegen sei. Sie habe sich gedacht, am besten könne sie das, indem sie ihn "energisch bitte" zu gehen. Aber da habe sie wohl ihre Autorität unterschätzt, denn er sei sofort gefahren. Zuvor habe er sie noch beschimpft und dabei sei sie zum ersten Mal so weit gegangen, zu ihm zu sagen, in ihren Augen sei er nur noch der "Erzeuger" der Kinder, der Vater sei er schon längst nicht mehr.

    Auf die Frage, ob Herr Alteck den Anlaß seines Besuchs genannt habe, meinte Frau Alteck, er habe gesagt, er wolle die Kinder sprechen. Sie habe aber sofort gemerkt, dass das nicht stimme. Jemand, der gleich den Fuß zwischen die Tür stelle, komme nicht in einer friedlichen Absicht. Wer zum Reden komme, der klingle höflich an der Haustür und stehe nicht plötzlich vor der Wohnungstür. Sie habe ihn gleich als aggressiv empfunden. Sie merke ganz genau, ob jemand reden oder nur seinen Ärger loswerden wolle. Sie habe seine Wut gespürt und die "Gewaltbereitschaft", die sie von früher kenne. Auf Nachfragen erläuterte Frau Alteck, die Gewaltbereitschaft äußere sich darin, dass er Fuß und Fußmatte zwischen die Tür "donnere" und mit der Faust gegen die Tür schlage, dabei aber mit Worten sage, er wolle die Kinder sprechen. Herr Alteck habe sein "Gewaltpotentia!" auch gegenüber den Kindern gezeigt, indem er sie vor ihren Augen entführt habe. Er sei ihr gegenüber jedoch niemals tätlich geworden. Beim zweiten Besuch kurz vor Pfingsten sei noch eine Freundin bei ihr gewesen und als sie nach Hause kamen, sei Herr Alteck vor der Tür gestanden. Sie habe dann sofort die Polizei angerufen, es sei jedoch niemand gekommen, da Herr Alteck die Polizei vorher informiert habe, wie die Rechtslage sei und dass sie sowieso verrückt sei. Herr Alteck sei dann wieder gefahren und sie habe sich ein Auto geliehen und sei nachts um 23 Uhr auf die Polizeistation nach Müllheim gefahren, um Anzeige zu erstatten. Sie habe Herrn Alteck auch beim ersten Mal angezeigt.

    Die beiden Besuche hätten sehr viel Unruhe in das Familienleben gebracht. Die schlimmste Reaktion habe Anna gezeigt. Sie sei beim ersten Besuch schreiend in ihr Zimmer gelaufen und habe dann so geweint, dass sie fast einen Asthmaanfall bekommen habe. Sie habe Anna kaum beruhigen können. Letztendlich müsse sie, die Mutter, immer die Folgen tragen. Auf der einen Seite habe sie sich um das heulende Kind kümmern müssen und vor der Tür habe der Vater "Randale gemacht". Frau Alteck sagte, sie sehe nicht mehr ein, dass sie und die Kinder als "kleine Familie" weiter darunter leiden sollten. Deshalb lehne sie es strikt ab, noch irgendeinen Umgang zuzulassen. Sie habe auf diese Situationen keine Lust mehr. Anna sei es nach dem Urteil des Familiengerichts sehr schlecht gegangen und sie habe "dann auch Anzeige erstattet auf den Druck hin letztes Jahr, dass sie zum Vater sollten".

    Zu den bisherigen Umgangskontakten meinte Frau Alteck, sie sei viel zu großzügig und offen gewesen, indem sie sich in der Vergangenheit auf einen betreuten Umgang eingelassen habe. Sie wäre wahrscheinlich viel ernster genommen worden, wenn sie von Anfang strikt jeden Kontakt zwischen Vater und Kindern im Interesse der Sicherheit der Kinder abgelehnt hätte. Zuerst habe sie es auch so gehandhabt. Nachdem Anna ihr erzählt habe, dass der Vater sie sexuell missbraucht habe, habe sie jeden Kontakt zwischen Vater und Kindern verhindert. Einmal habe Herr Alteck es geschafft, Maria und Anna zu sehen, als sie mit Yvonne im Krankenhaus war. Die beiden Mädchen waren bei einer Freundin von ihr untergebracht und diese habe Herrn Alteck ins Haus gelassen, obwohl sie ihr eingeschärft hatte, es nicht zu tun. Diese Freundin habe wohl deshalb gegen ihren Auftrag gehandelt, weil sie selbst Missbrauchsopfer sei und sich nicht habe abgrenzen können. Nach der Entführung habe es dann ein betreutes Umgangsrecht beim Kinderschutzbund in Böblingen gegeben und sie habe dem zugestimmt, obwohl sie es für unklug hielt. Aber sie sei vom Jugendamt und anderen Fachleuten dazu überredet worden und so habe sie gedacht, sie versuche es. Sie hätten ganz klare Vereinbarungen getroffen, wie es ablaufen sollte, aber Herr Alteck habe sich nicht daran gehalten. Er sei plötzlich an ihrem Auto hinter ihnen gestanden. Da habe sie sofort ihre Anwältin angerufen und mitgeteilt, dass Herr Alteck sich nicht an die Spielregeln halten würde und sie deshalb jeden weiteren Umgang ablehne. Die Kinder seien nach der Entführung auch so verängstigt gewesen, dass sie sich schließlich zu einem Umzug in eine andere Gegend entschlossen habe, um sich und die Kinder zu schützen. Im ersten halben Jahr habe sie auch die Adresse geheim halten können und Herr Alteck habe sie nicht ausfindig gemacht. Als die Adresse in Sonstwo dann bekannt wurde, sei Herr Alteck wieder gekommen und habe "Klingelterror" gemacht. Zum Abbruch der betreuten Kontakte mit Frau Haak sei es gekommen, weil Herr Alteck ihr den Unterhalt gekürzt habe und sie ihren Anteil nicht mehr aufbringen konnte. Sie habe zu Herrn Alteck gesagt, wenn er die Kinder unbedingt sehen wolle, dann müsse er es unter diesen Umständen selbst finanzieren. Aber unbetreute Kontakte kämen für sie nicht in Frage. Sie habe sogar vorgeschlagen, dass sie selbst den Umgang betreue, dann koste es nichts. Sie hätte das schön gefunden, wenn einmal im Monat ein Kontakt von Vater und Kindern stattgefunden hätte, bei dem sie dabeigewesen wäre. Man hätte das Zusammensein auch auf einen ganzen Tag ausdehnen können, so wie sie das beim Skifahren einmal gehandhabt hätten. Dabei habe sie in sich hineingespürt, wie sich das für sie anfühle und ob es stimmig sei. Sie habe auch die Kinder beobachtet, wie es ihnen dabei ging. Sie habe Herrn Alteck damals sogar zum Kaffee trinken ins Haus gebeten, einfach zum Entspannen. Herr Alteck habe damit nichts anfangen können, denn er sei nach kurzer Zeit gegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Daraufhin habe es eine Zeitlang Ruhe gegeben und sie habe gedacht, vielleicht gebe es mal eine Pause und dann sei doch so etwas wie ein Neubeginn möglich. Als Herr Alteck dann wieder vor Gericht gegangen sei, habe er in ihren Augen bewiesen, dass er sich nicht geändert habe. Sie habe gehofft, dass sie das auf der privaten Ebene als Eltern regeln könnten, aber Herr Alteck stelle immer die gleichen Forderungen. Das mache sie jetzt nicht mehr mit. Auf der Basis könne es gar keinen Umgang geben.

    Sie habe lange Zeit die Hoffnung gehabt, durch betreute Kontakte der Kinder mit dem Vater gebe es eine Möglichkeit, dass alles "heilen" könne, zusammen mit dem Vater. Wenn die Dinge, die vorgefallen seien, einmal ausgesprochen seien, dann könnten sich Kinder und Vater vielleicht wieder begegnen. Aber diese Meinung habe sie nicht mehr. Herr Alteck habe 9 Jahre lang Zeit gehabt, sich zu ändern, seine Probleme aufzuarbeiten und in Therapie zu gehen. Er könne jedoch bis heute das "Sicherheitsbedürfnis" von Anna, Maria und Yvonne nicht respektieren. Die Kinder würden spüren, dass der Vater sie nicht zur Ruhe kommen lasse und lehnten ihn daher völlig ab.

    Frau Alteck war der Ansicht, dass es Herrn Alteck nicht um die Kinder gehe, auch nicht um eine Auseinandersetzung mit ihr, sondern dass Herr Alteck seine eigene schwierige Kindheit auf sie und die Kinder "projiziere". Es könne schon sein, dass er die Kinder auch gern habe. Sie glaube jedoch, er brauche sie, um seine eigenen Probleme an ihnen auszulassen. Sie habe aber keine Lust mehr, weiter unter den "Projektionen" von Herrn Alteck zu leiden. Auch die Kinder würden sich so äußern.



    Zu den Reaktionen von Anna, Maria und Yvonne auf Kontakte und Kontaktversuche des Vaters erzählte Frau Alteck, dass Anna am stärksten von den dreien reagiert habe. Wenn der Vater gekommen sei und sie sehen wollte, habe Anna manchmal einen Asthmaanfall bekommen, sie habe einfach keine Luft mehr gekriegt. Sie habe sich ins Bett legen müssen und zwei, drei Tage nicht in die Schule gehen können. Anna habe dann einfach Ruhe und viel Zuwendung von ihr, der Mutter, gebraucht, um sich davon zu erholen.

    Als Kleinkind habe Anna Neurodermitis gehabt. Inzwischen leide sie an Asthma bronchiale. Frau Alteck meinte, Maria reagiere derzeit wenig auffällig, sie "packe es am besten weg". Yvonne nässe wieder ein. Sie bespreche mit den Kindern die gerichtlichen Auseinandersetzungen, wenn die Kinder davon betroffen seien. lm Rahmen des Umgangsverfahrens seien die Kinder auch vom Verfahrenspfleger persönlich angeschrieben worden und konnten s&bst lesen, um was es gehe. Sie habe den Eindruck, dass Yvonne es gar nicht richtig lese, Maria zeige nichts und Anna weine manchmal oder reagiere mit Gefühlsausbrüchen. Sie vermittle den Kindern schon, dass sie sich vor Gericht vor sie hinstelle, mache ihnen aber auch klar, dass sie selbst vertreten müßten, was sie wollen.

    Die frühere Beziehung zwischen Vater und Kindern schätzte Frau Alteck als nicht besonders intensiv ein. Der Vater habe während der Ehe schon einiges mit den Kindern unternommen, aber sie selbst habe das eigentlich initiieren müssen. Sie sei der Meinung, Herr Alteck habe "zwei Gesichter" gehabt: in Anwesenheit von Freunden und Bekannten habe er sehr viel mit den Kindern gemacht; sobald sie alleine waren, sei sie wieder zuständig gewesen. Die jüngeren Kinder hätten auch wenig Erinnerung an den Vater. Yvonne wisse kaum noch etwas. Aus der Zeit der Entführung erzähle Yvonne manchmal etwas. Maria erinnere sich z.B. an ihre ersten Inliner, an Ostern und Ostereier, "was für Kinder halt wichtig ist". Annas Erinnerungen seien sehr konkret. Herr Alteck habe während der Entführung auf Texel ein Video gemacht, das würden sie sich ab und zu anschauen. Das seien die einzigen Bilder, die sie von früher besitzen würden, da alle Fotos Herr Alteck habe. Obwohl es Entführungszeit war, würden sie "auch die schönen Sachen da, wie sie gespielt haben" sehen.

    Frau Alteck erklärte, dass der sexuelle Missbrauch für sie der einzige Grund sei, keinen - bzw. früher nur betreuten - Umgang zu gewähren. Sie wolle die Kinder vor "weiteren Übergriffen" schützen. Sie sei überzeugt davon, dass der Missbrauch stattgefunden habe, denn wenn Kinder so etwas erzählen, den Mut aufbrächten, sich der Mutter anzuvertrauen, dann sei es wirklich passiert. Selbstverständlich würden Kinder es nur dann tun, wenn sie spürten, dass die Mutter auch bereit sei, es zu glauben. Dieses Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Tochter müsse vorhanden sein. Zur Entstehung des Verdachts berichtete Frau Alteck, zwei Tage nachdem sie und Herr Alteck beschlossen hatten, sich zu trennen, habe Anna ihr von dem Missbrauch berichtet. Die Kinder hätten von der Trennung noch nichts gewußt. Es sei an einem Dienstagabend gewesen, sie wollte nach Tübingen zur Feldenkrais-Therapie fahren; wie immer einmal pro Woche. Anna habe sie gebeten, nicht zu fahren. Sie habe versucht, Anna zu beruhigen, sie wisse doch, dass sie jedesmal zurückkomme. Da habe Anna zu ihr gesagt, sie wolle nicht allein mit dem Papa bleiben, denn "der Papa kommt dann immer zu mir". Sie sei dann zu Hause geblieben und Anna habe die "ersten Sachen" erzählt. Es sei nichts Genaues gewesen, aber sie habe es beunruhigend gefunden. Von ihrer Ehetherapeutin habe sie dann die Adresse von KOBRA in Stuttgart bekommen. Sie habe sich gleich dorthin gewandt und geschildert, was sie von Anna hörte. Man habe ihr gesagt, das sei "typisch für solche Geschichten" und habe ihr und allen Beteiligten sofort Hilfe angeboten. Die Mitarbeiter von KOBRA hätten ihr auch eine Erklärung für Annas Verhalten gegeben, die sie überzeugend finde: Kinder würden die Verantwortung für die Paarbeziehung der Eltern übernehmen, deshalb habe Anna nicht schon früher über den Missbrauch gesprochen. Sie habe mit ihrem Schweigen die Beziehung der Eltern retten wollen. Als Anna nun spürte, dass die Eltern sich trennen würden, habe sie sich der Mutter anvertrauen können. Frau Alteck berichtete, dass Anna sehr schnell einen Platz zur Einzeltherapie bei KOBRA bekommen habe. Maria und Yvonne seien zur Gruppentherapie bei KOBRA gegangen und sie selbst habe dort sowohl Einzel- als auch Gruppentherapie gehabt. Während die Kinder in der Gruppentherapie waren, hätten die Mütter parallel an einer Gruppe teilgenommen. Herr Alteck hätte ebenfalls Unterstützung bekommen können. Er habe jedoch nur ein Gespräch mit einem männlichen Therapeuten und ihr wahrgenommen und sei dann massiv dagegen vorgegangen, dass Anna dort in Therapie gehe.

    Maria und Yvonne seien beim Kinderschutzbund in Böblingen in Therapie gewesen. Es sei bei den beiden zunächst um eine Entlastung in der schwierigen Scheidungssituation gegangen. Nach einiger Zeit habe ihr die Therapeutin mitgeteilt, dass sie aufgrund von Bildern von Maria und Yvonne auch bei diesen beiden Kindern davon ausgehe, dass sie missbraucht worden seien. Frau Alteck äußerte, sie habe die Bilder, die die Kinder gemalt harten, damals beim OLG Stuttgart eingereicht, aber die Bilder seien seither verschwunden. Bei Maria und Yvonne müsse sie von Verdacht auf sexuellen Missbrauch sprechen, da die beiden sich ihr nie anvertraut hätten. Bei Anna wisse sie hingegen, dass der Missbrauch stattgefunden habe, weil Anna sich immer klar dazu geäußert habe. Frau Alteck meinte, für sie habe es nie einen Zweifel an Annas Äußerungen gegeben. Die Mitarbeiter der Beratungsstellen hätten auch ihr gegenüber ganz klar und eindeutig Position bezogen, dass bei allen drei Kindern von einem sexuellen Missbrauch auszu9ehen sei. Sie habe es von daher nicht verstehen können, dass die Beratungsstellen in ihren Stellungnahmen vor Gericht die klaren Aussagen wieder zurückgenommen hätten.



    Nachdem sie in Sonstwo wohnten, seien Maria und Yvonne zu Wendepunkt in Freiburg gegangen. Da es dort nur für zwei Kinder Therapieplätze gab, ging Anna zu einer Therapeutin bei der Caritas, die ihr als Spezialistin für Missbrauch empfohlen wurde. Insgesamt seien alle drei Mädchen ca. 2 ‘/2 Jahre in Therapie gewesen. Im Jahr 1995 seien die Therapien beendet worden. Es habe sich um Spieltherapien gehandelt zur Entwicklung der Ich-Stärke und des Selbstbewußtseins. Sie selbst habe bei Wendepunkt Gruppen geleitet für betroffene Mütter.

    Frau Alteck schilderte Auffälligkeiten und Probleme der Kinder, die sie als Folgen eines sexuellen Missbrauchs ansah und die durch Kontakte mit dem Vater wieder ausgelöst würden. Dazu zählte sie das Asthma von Anna. Sobald der Vater erscheine, bekomme Anna Atemnot. Als Kleinkind habe Anna Neurodermitis gehabt, die sofort verschwunden sei, als der Vater ausgezogen sei. Zum Einnässen machte Frau Alteck unterschiedliche Angaben. Im ersten Gespräch sagte sie, alle drei Kinder hätten nach der Trennung eingenäßt, Anna schon ein halbes Jahr davor, als die Mutter im Frühjahr 1991 aus der Kur kam. Im Gespräch im September berichtete Frau Alteck, dass Anna nie ganz trocken gewesen sei, sie habe nachts eingenäßt und sei erst im Alter von 1 2, 1 3 Jahren wirklich trocken geworden. Yvonne habe wieder angefangen einzunässen, bevor sie in die Müttergenesungskur ging und Maria habe im Sommer 91 begonnen einzukoten, kurze Zeit nach ihrer Rückkehr aus der Kur.

    Nach der Entführung sei das Einnässen bei allen drei ganz schlimm gewesen, Maria und Yvonne hätten auch eingekotet. Yvonne sei eigentlich schon mit 2 Jahren ganz unproblematisch trocken gewesen. Als die Familie nach Sonstwo gezogen sei, habe bei Yvonne und Maria das Einnässen und Einkoten nach drei Wochen aufgehört. Frau Alteck erklärte das damit, dass Herr Alteck ihre Adresse nicht kannte und sich die Kinder in Sicherheit gefühlt hätten. Als Herr Alteck erfahren habe, wo sie wohnen und sie aufgesucht habe, habe Yvonne wieder angefangen einzunässen. Anna habe einen Asthmaanfall bekommen. Anna sei 1997 nach der Trennung von Herrn Ries endgültig trocken geworden. Maria habe lange Zeit Probleme mit dem Hören gehabt, schon als kleines Kind. Sie habe jedoch ein ganz normales Hörvermögen, das habe sie untersuchen lassen. Maria mache "einfach ein Stück dicht". Maria habe bis zur 5. Klasse auch in der Schule schlecht gehört und vieles vom Unterricht nicht mitbekommen. Damals habe sie auch noch Kontakt mit dem Vater gehabt. Als es dann ein Jahr Pause gegeben habe, seien die Hörprobleme von Maria verschwunden. Sobald der Vater wieder in Erscheinung trete, fingen die Schwierigkeiten mit dem Hören bei ihr an. 1999 habe Yvonne wieder angefangen mit Einnässen und manchmal auch mit Einkoten. Es habe angefangen, als die Kinder vom Jugendamt befragt wurden und wieder mit der ganzen Problematik konfrontiert worden seien. Sie habe Yvonne darauf angesprochen, was sie denn damit ausdrücken wolle. Aber Yvonne habe keine Antwort gegeben und sie habe nicht weiter in sie eindringen wollen. Das Einnässen sei nachts, das Einkoten manchmal tagsüber. Sie habe mit Yvonne dann besprochen, dass Yvonne das Bett abzieht, wenn es naß ist und der Mutter gibt. Dann würden sie es zusammen waschen. Anna habe sie dabei unterstützt, indem sie sagte, so habe sie sich das Einnässen auch abgewöhnt, weil ihr der Aufwand so lästig gewesen sei. Auf die Frage, ob Yvonne heute noch manchmal Schwierigkeiten mit dem Sprechen habe, antwortete Frau Alteck, Yvonne verweigere manchmal das Sprechen, wenn man etwas von ihr wolle. Sie mache dann "dicht". Es seien meist Situationen, in denen Yvonne Angst habe. Yvonne würde dann weinen und sie nehme sie dann in den Arm und frage, was los sei. Inzwischen würde Yvonne auch antworten, früher habe sie gar nichts gesagt. Yvonne fange schnell an zu weinen und sage nichts mehr, wenn sie sich unter Druck fühle. Das könne auch bei ganz alltäglichen Dingen passieren, z.B. wenn sie von Yvonne in bestimmtem Ton verlange, dass sie aufräume oder dergleichen. Dann sitze Yvonne da und weine und sage nichts mehr. Frau Alteck meinte, dieses Verhalten von Yvonne zeige sich nicht nur, wenn etwas mit dem Vater anstehe, aber da sei es besonders stark. In der Schule oder in ihrer Klasse trete es jedoch nicht auf, da sei Yvonne ganz frei. Bemerkenswert sei gewesen, dass alle drei Mädchen in der Kur in den Sommerferien keinerlei Beschwerden gehabt hätten. Bei Yvonne habe es kurze Zeit danach wieder angefangen, aber nicht so schlimm wie davor. Frau Alteck wertete das als Ausdruck dafür, dass die psychosomatischen Reaktionen der Kinder nur von außen ausgelöst würden. Die Symptome würden nur dann auftreten, wenn die Kinder Kontakt mit dem Vater befürchten müßten, wenn sie sich nicht vor ihm sicher fühlen würden. Sobald der Vater und dessen Forderungen in irgendeiner Form auf der Tagesordnung stünden, sei es durch Besuche, Briefe, Gerichtstermine oder Befragungen durch Jugendamtsmitarbeiter oder Gutachter, würde Yvonne einnässen und einkoten, Anna bekomme Asthmaanfälle und würde zu Hause herumtoben. Anna würde sehr direkt ihren Unmut in der Familie äußern und das sei für alle manchmal ziemlich belastend. Anna und Yvonne seien auch in der Schule plötzlich schlechter geworden. Bei Yvonne habe sich das jetzt wieder gegeben. Nach Meinung von Frau Alteck komme als weitere Ursache für Annas Verschlechterung in der Schule in Betracht, dass Anna in der Pubertät sei und erste Beziehungen mit Jungs aufgenommen habe, die sehr problematisch verlaufen seien.

    Frau Alteck antwortete auf Nachfragen, dass derzeit nicht an weitere Therapien der Kinder gedacht sei. Sie habe in der Vergangenheit ab und zu "am Symptom" gearbeitet: die Kinder seien bei einer Feldenkraistherapeutin gewesen wegen Einnässen und Atembeschwerden. Die Kinder wollten auch keine Therapie im Moment. Sie hätten zu ihr gesagt, wenn "etwas hochkommt", wollten sie es mit ihr besprechen. Anna habe das auch so gemacht. Sie selbst würde es eigentlich gerne sehen, wenn Anna noch einmal in Therapie gehe. Andererseits hole sich Anna "die Therapie im Leben: "sie hatte einen Freund, der wirklich ähnliche Muster hatte wie die beiden Täter". Anna habe ihr erzählt, dass sie Schwierigkeiten habe, sich gegenüber dem Freund abzugrenzen, das alte Muster zu durchbrechen. Dann habe Anna es doch geschafft und die Trennung vollzogen und sich für einen Freund entschieden, der besser auf ihre Bedürfnisse eingehen konnte und sie nicht nur hintergehe. Annas Bruch mit dem alten Muster und die Hinwendung zu etwas Neuem habe auch der Familie eine turbulente Zeit beschert. Anna habe sogar einmal angefangen, sich die Pulsadern aufzuritzen. Frau Alteck meinte, sie würde nicht sagen, dass Anna "geheilt" sei. Aber Anna gehe ihren eigenen Weg und lerne durch die Gespräche mit ihr, sich selbst und ihre Gefühle einzuschätzen. Sie könne als Mutter Anna ihr eigenen Erfahrungen machen lassen. Durch die offenen Gespräche zwischen ihnen fühle Anna sich gut aufgehoben. Es sei ihr wichtig, Anna zu begleiten und ihr Rückhalt zu geben. Denn viele Mädchen ihres Alters könnten mit ihren Müttern nicht so offen reden. Das höre sie von Annas Freundinnen immer wieder. Als Anna ihren ersten Freund hatte, habe sie Anna darauf angesprochen, welche sexuellen Kontakte zwischen ihr und dem Freund bestünden. Anna habe ihr dann auch offen erzählt, dass sie mit ihrem Freund geschlafen habe. Sie habe Anna gefragt, wie oft das vorkomme, wie es ihr dabei gehe und habe auch von ihren eigenen Erfahrungen erzählt. Dann habe sie beschlossen, dass Anna die Pille nehmen solle und nach Rücksprache mit ihrer Hausärztin habe sie Anna zum Frauenarzt begleitet. Sie sei stolz darauf, dass es zwischen ihr und Anna so offen laufe. Anna sei vorgeworfen worden, dass sie so früh sexuelle Kontakte habe. Im Freundeskreis von Anna und in der Schule sei es üblich, dass die Mädchen schon mit 14 Jahren sexuelle Erfahrungen haben. Ihr sei es wichtig, dass Anna ihre Erfahrungen machen könne und sich mit ihr darüber austausche.



    Frau Alteck äußerte, dass Anna sehr stark darunter leide, dass ihr niemand glaube. Früher habe es immer geheißen, das Kind würde nicht detailliert genug erzählen, deshalb sei es nicht glaubwürdig. Jetzt sei das Strafverfahren gegen Herrn Alteck eingestellt worden mit der Begründung, die Aussagen von Anna seien zu detailliert. Es sei schwierig für Anna gewesen, sie habe viel Mut dazu gebraucht, die Anzeige bei der Kripo in Müllheim zu machen und über den Missbrauch zu sprechen. Als Anna die Einstellungsgründe gelesen habe, sei sie weinend und verzweifelt auf dem Bett gelegen. Auch aus der Anhörung von Frau Merk, Richterin am Familiengericht Freiburg, sei Anna "heulend und schreiend" herausgekommen. Anna laufe überall gegen eine Mauer und sie als Mutter müsse das immer wieder auffangen. Darunter leide die ganze Familie. Frau Alteck meinte, sie erkläre sich die Reaktionen der Institutionen damit, dass sexueller Missbrauch nach wie vor ein "Tabuthema" sei, zumindest wenn es um Missbrauch in der Familie gehe. Sie sehe auch nicht "Herrn Alteck als Problem, sondern diese Gesellschaft mit ihrer Struktur", d.h. wie diese Gesellschaft mit der Problematik sexueller Missbrauch umgehe. Frau Alteck sagte, sie habe sich lange mit dieser Frage auseinandergesetzt und sei zu dem Schluß gekommen, es sei ein "kollektives Tabuthema". Sie habe das Gefühl, sie mache "eine kleine Revolution", indem sie bei jedem einzelnen an etwas rühre, das schmerzhaft sei. Die Menschen würden ihr bzw. den Kindern dann nicht mehr folgen, wenn ihr eigener Schmerz beginne. Wenn die Leute ihr glauben würden, dann wären sie unweigerlich mit ihrem eigenen Schmerz konfrontiert und das könnten sie nicht zulassen. Anstelle von Bewußtheit über die eigenen Missbrauchserfahrungen gebe es bei einem Großteil der Menschen nur Schmerz. Deshalb sei es eigentlich keine Auseinandersetzung mit Herrn Alteck, sondern mit den Institutionen, die aufgrund der eigenen Blindheit die Vorfälle nicht sehen könnten bzw. um jeden Preis eine Aufdeckung verhindern müßten. So habe z.B. Frau Richterin Merk einen unbetreuten Umgang beschlossen, weil sie ebenfalls Missbrauchsopfer sei. Anna habe ganz offen über alles berichtet, denn sie, die Mutter, habe Anna vor der Anhörung noch ermutigt, soviel Einzelheiten wie möglich zu schildern. Trotzdem wurde ihr nicht geglaubt. So lange es in den Institutionen, die mit der Problematik zu tun hätten, wie Jugendämter, Gerichte, Gutachter etc. nicht in Betracht gezogen werde, dass Missbrauch in der Familie sehr häufig vorkomme, gebe es auch keine Bereitschaft, den Betroffenen zu glauben. Sie werde jedoch nicht vor diesem "kollektiven Schiß" kapitulieren, sondern offen darüber reden, was sie von Anna erfahren habe und was sie selbst wahrnehme. Anna äußere in ihrer Verzweiflung über die Mauern, gegen die sie ständig laufe, manchmal Phantasien, wie sie zu einem handfesten Beweis kommen könnte. Anna habe die Idee gehabt, mit einem Tonband oder Videogerät zum Vater zu gehen und ihn so "kirre" zu machen, dass "es noch mal passieren" würde.

    Auf die Frage nach den Beziehungen der Kinder zu anderen Bezugspersonen, Verwandten und Freunden antwortete Frau Alteck, es gebe derzeit zu beiden Großeltern keinen Kontakt, auch nicht zu anderen Verwandten. Sie selbst sei Einzelkind, sie habe eigentlich keine Verwandte. Gemeinsame Freunde aus der Ehezeit hätten sich auf die Seite von Herrn Alteck gestellt. Die Paten der Kinder hätten sich "gegen die Kinder" entschieden und Herrn Alteck auch bei der Entführung unterstützt. Kontakt zu den Großeltern väterlicherseits habe es schon während der Ehe nicht gegeben. Zu ihren eigenen Eltern bestehe derzeit auch kein Kontakt. Es habe nach der Trennung sporadische Kontakte zwischen Kindern und Großeltern mütterlicherseits gegeben. Die Großeltern hätten sie sehr selten besucht. Es habe immer das Problem bestanden, dass die Großeltern ihre Grenzen nicht respektierten. Das habe sich schon in kleinen und alltäglichen Dingen gezeigt, dass die Großeltern sich bei Besuchen nicht an ihre Spielregeln hielten. Vor einiger Zeit habe sie die Großeltern mit ihrem eigenen sexuellen Missbrauch konfrontiert. Ihr Vater habe sie im Alter von 5 Jahren vergewaltigt. Sie habe das mit ihnen besprechen wollen und habe auch darauf bestanden, dass sie die Kinder deswegen nicht mit den Großeltern alleine lasse. Seit sie sich an ihren eigenen sexuellen Missbrauch erinnere, habe sie die Kinder nicht mit den Großeltern allein gelassen, habe aber vor der Konfrontation den Grund nicht genannt. Das Gespräch mit ihren Eltern sei schlimm gewesen, sie hätten alles geleugnet. Seither bestehe kein Kontakt mehr zu den Großeltern. Es habe davor immer wieder Situationen gegeben, dass die Großeltern vor allen Dingen Maria überreden wollten, allein zu ihnen in das Auto zu steigen. Auch Anna und Yvonne hätten sie gerne jeweils einzeln im Auto mitfahren lassen wollen. Dabei hätten sie ihr auch nicht gesagt, in welchem Hotel sie wohnen würden und wo sie hinfahren würden. Frau Alteck sagte, das habe bei ihr Alarm ausgelöst. Das Motiv sei doch zu klar gewesen und deshalb habe sie jeden Kontakt zwischen Großeltern und Kindern unterbunden. Sie vermute schon, dass es auch zu sexuellen Übergriffen des Großvaters auf die Kinder kam, als diese dort zu Besuch waren. Die Kinder seien dort allein gewesen. Anna habe auch Andeutungen gemacht, dass sie sich erinnere, dabei gewesen zu sein, als mit Maria etwas passiert sei. Es gebe jedoch nichts Konkretes. Aber da sie selbst von ihrem Vater missbraucht worden sei, gehe sie davon aus, dass er auch die Enkelkinder missbraucht habe. Sie schließe das auch daraus, dass Anna von den Großeltern bei Geschenken immer benachteiligt worden sei und Maria besonders hervorgehoben wurde. Da habe es früher auch unter den Kindern viel Ärger gegeben, weil sich Anna zurückgesetzt fühlte. Selbst die Kinder hätten es so empfunden, dass bei den Geschenken der Großeltern "ein Geschmäckle" dabei war. Heute gebe es nur noch brieflichen Kontakt zwischen Kindern und Großeltern. Ab und zu würden sie den Kindern auch Geschenke schicken. Die Kinder dürften selbst entscheiden, ob sie sie annehmen wollen. Dazu seien sie alt genug. Die Geschenke würden sie annehmen, aber es käme keines der Mädchen auf die Idee, die Großeltern besuchen zu wollen oder die Oma einzuladen. Eigentlich habe ihr Vater die Sache einmal auf den Punkt gebracht, als er zu ihr sagte, sie wolle "diesen Faden sexueller Missbrauch, der durch die Familie geht, durchschneiden". Diese Äußerung habe ihr viel Kraft gegeben. Das sehe sie als ihre Aufgabe und die habe sie geschafft.

    Frau Alteck berichtete, zu ihrem früheren Lebensgefährten, Herrn Ries, dem Vater von Joscha, hätten die Mädchen eine Zeitlang einen guten Kontakt gehabt. Nach ihrer Einschätzung sei die Beziehung besser gewesen als zum Vater. Herr Ries habe sich den Mädchen gegenüber in der Anfangszeit sehr herzlich verhalten. Er habe Vorschläge für Unternehmungen gemacht und auch einiges mit ihnen unternommen. Es habe jedoch nach der Geburt von Joscha ständige Konflikte zwischen ihm und Anna gegeben. Herr Ries habe Anna regelrecht bekämpft und sie habe dabei den kürzeren gezogen. Der eigentliche Grund zur Trennung sei gewesen, dass die Streitigkeiten zwischen Anna und Herrn Riess nicht mehr erträglich gewesen seien. Er habe Anna oft übel beschimpft. Bei Spielen sei Herr Ries "in die Kindrolle" geschlüpft und habe mit Anna rivalisiert. Sie habe dann ein Paargespräch bei Frau Holtmann-Blust initiiert, danach sei es eine kurze Zeit besser gewesen. Im Grunde habe sie sich jedoch immer schützend vor Anna stellen müssen. 1997 sei es dann zur Trennung gekommen. Die Mädchen hätten danach noch Umgang mit Herrn Ries gehabt, wenn Joscha bei ihm war. Sie habe es ihnen freigestellt, ob sie zu ihm gehen wollten. Nur Anna habe sich geweigert. Sie habe nie mehr zu Herrn Ries gewollt und da habe sie, die Mutter sich schon gefragt, was denn los sei. Herr Ries habe auch merkwürdige Forderungen gestellt, z.B. er hole seinen Sohn nur ab, wenn auch die Mädchen zu ihm kommen würden. Immer habe er darauf bestanden, auch die Mädchen zu sehen. Die Trennung sei zunächst friedlich verlaufen. Eines Nachts habe er das Auto weggeholt und sei auch in das Haus gekommen. Das habe bei den Mädchen sehr viel Angst ausgelöst. Herr Ries habe sich an keine Vereinbarung gehalten, die sie mit ihm bezüglich der Trennung getroffen hatte. Er habe ihr sogar mit einer Räumungsklage gedroht. Daraufhin habe sie den Umgang mit Joscha unterbunden. Die Mädchen seien selbstverständlich auch nicht mehr hin gegangen. Herr Ries habe sich eine Zeitlang nicht mehr gemeldet. Vor kurzem habe er das Umgangsrecht mit Joscha gerichtlich durchgesetzt. Als der "Umgangsrechtsbeschluß kam, dass Joscha alleine dahin" solle, habe Anna sich der Hausärztin Frau Dr. Lukas anvertraut: Herr Ries habe sie vergewaltigt, als die Mutter zur Entbindung in der Klinik war. Er habe sie mit in seine Firma genommen und dort sei es passiert. Frau Dr. Lukas habe sich dann mit Frau Achhammer von der Kripo in Müllheim in Verbindung gesetzt und Anna habe auch gegen Herrn Ries Anzeige erstattet. Zu Frau Dr. Lukas habe sie gesagt, sie habe es der Mutter nicht mitteilen wollen, weil diese schon genug Ärger habe. Frau Alteck erzählte, die Ärztin habe sie dann einbestellt und Anna habe sie dann auch informiert. Im Nachhinein sei ihr jetzt natürlich klar, warum es so viel Streit zwischen Anna und Herrn Ries gab: das sei "Ausdruck der Vergewaltigung von Anna" gewesen. Auf Nachfrage antwortete Frau Alteck, sie habe Anna gefragt, warum sie ihr nicht schon früher davon berichtete habe. Anna habe geantwortet, sie habe ihr das nicht zumuten wollen, die Mutter sei so verliebt gewesen. Seit der Trennung von Herrn Riess habe Anna aufgehört mit Einnässen. Sie sei damals 1 2, 1 3 Jahre alt gewesen. Auf die Frage, wie die Mädchen auf die Trennung reagierten, erwiderte Frau Alteck, alle hätten es positiv empfunden. Maria und Yvonne hätten miterlebt, wie schlecht Anna von Herrn Riess behandelt worden sei und deshalb sei es ihnen auch nicht mehr gut gegangen. Die Beziehung dauerte ca. 4 Jahre, im ersten Jahr sei es für alle recht entspannt gewesen, auch die Kinder hätten viel gelacht. Nach Joschas Geburt sei die Stimmung angespannt und konfliktreich gewesen. Auf die Frage, ob eines der Kinder traurig über die Trennung gewesen sei, meinte Frau Alteck, einerseits nein, weil alle eher erleichtert waren. Andererseits doch, weil sich da schon wieder herausgestellt habe, dass ein Mann bzw. Vater sich um nichts kümmere und nur gegen die Familie klage.

    Anna, Maria und Yvonne würden viele Freunde mit nach Hause bringen, erzählte Frau Alteck. Sie unterstütze das. Die Familie Alteck sei eine Anlaufstelle für viele Sonstwoer Kinder geworden. Als sie sich 1999 keine Ferienreise leisten konnten, hatten sie zwei Pflegeponies übernommen. Sie selbst sei früher viel geritten und bringe jetzt ihren Kindern das Reiten bei. Anna und Maria hätten das gut gelernt und Yvonne sei noch dabei. Es seien zeitweise bis zu 12 Kinder bei den Ponies dabeigewesen und anschließend hätten sie oft noch zusammen gegrillt. Sie selbst habe sowohl Männer als auch Frauen in ihrem Freundeskreis. Angesprochen auf ihre Umzugspläne, erklärte Frau Alteck im Gespräch am 20. September 2000, es sei im Moment nicht akut, da Anna so gute Lehrer habe und in der Schule jetzt sehr zufrieden sei. Da Anna in diesem Schuljahr Prüfungen habe, würden sie vorher nicht mehr umziehen. Sie würden jedoch nach wie vor eine Wohnung in einer anderen Gegend suchen. Frau Alteck äußerte, "schwieriger als in Sonstwo" könne es nirgends werden. Alle Familien, mit denen sie über die Kinder Kontakt hatte, hätten sich von ihr distanziert. Das ganze Dorf habe mitbekommen, dass sie jetzt auch Herrn Ries des Missbrauchs bezichtige. Es wisse auch jeder im Dorf, was mit ihren Kindern passiert sei. Damit könne keiner was anfangen, damit wolle man nichts zu tun haben. Das sei sicher nicht böse gemeint, aber die Leute könnten nicht anders.

    Über ihre Zukunftsvorstellungen berichtete Frau Alteck, sie habe nicht vor, wieder in den Schuldienst zu gehen. Sie sei Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie, aber nicht verbeamtet. Sie habe zu Hause mit den drei Kindern genügend Druck von der Schule auszugleichen. Sie könne sich nicht vorstellen, als Lehrerin selbst diesen Druck auszuüben. Sie sei Elternvertreterin gewesen und habe in dieser Funktion in der Schule auch klar gemacht, dass sie sich vor ihre Töchter stelle, wenn Lehrer den Druck an die Kinder weitergeben würden. Die Konrektorin würde sie gern als Lehrerin an der Schule haben, aber sie wolle nicht mehr in ihre Fächer zurück. Sie habe der Schule ihr Konzept mitgeteilt, wie sie sich eine Mitarbeit vorstellen könne. Sie habe einige therapeutische Fortbildungen gemacht u.a. in systemischer Familientherapie, Familienaufstellungen nach Hellinger, und kenne auch Leute, die das in der Schule anwenden. Sie stelle sich vor, in der Schule "Wohlfühlstunden" zu geben; bei den Schülern den Grundstein dafür zu legen, dass sie später eigenverantwortlich leben können. Es gehe ihr darum, den Kindern zu zeigen, wie sie sich in diesem System wohlfühlen können und was sie selbst tun können, um damit zu leben. Sie gebe jetzt schon ab und zu Seminare zusammen mit einer Freundin, die Therapeutin sei. Sie wendeten verschiedene Methoden an, z.B. Familienaufstellungen und Meditation. Frau Alteck äußerte, dass sie sich in dieser Richtung eine berufliche Zukunft vorstelle. Wie das genau aussehe, aus welchem Topf sie in der Schule bezahlt werden könne, wisse sie derzeit noch nicht. In etwas fernerer Zukunft liege noch eine andere Idee, die jedoch immerhin als Konzept schon bestehe. Sie habe weiterhin Kontakte zu anderen, von sexuellem Missbrauch betroffenen Frauen. Sie seien derzeit eine Gruppe von vier Alleinerziehenden, die sich zusammen selbständig machen wollten. Das Konzept sehe vor, eine Gastronomie zu betreiben, die Treffpunkt und Veranstaltungsort für betroffene Frauen, Kinder und Jugendliche sei. Gerade aus der eigenen Erfahrung heraus wisse jede von ihnen, wie schwer es sei, Hilfe zu bekommen und wie es sich anfühle, wenn man alleine sei. Sie stellten sich vor, eine Anlauf stelle und einen Begleitdienst für sexuell missbrauchte Frauen, Kinder und Jugendliche einzurichten. So sollten z.B. auch ganz praktische Aufgaben wie die Begleitung zu Ämtern dazugehören, um das Gefühl zu vermitteln, die Betroffene ist nicht allein. Im Grunde gehe es darum, die Hilfe anzubieten, die sie selbst nie hatten. Es sei auch die Möglichkeit diskutiert worden, eventuell ein Frauenhaus daran anzuschließen. Es gebe jedoch noch keine finanziellen Planungen, sondern sie seien noch dabei, Ideen zu entwickeln. Im Gespräch im September berichtete Frau Alteck, dass sie sich selbständig machen möchte im therapeutischen Bereich. Sie habe eine gute Intuition und möchte das auch gerne beruflich einsetzen. Sie denke an Seminare und Meditationsgruppen, Familienaufstellungen, Wohlfühlkurse. Sie habe darüber mit der für Alleinerziehende zuständigen Sozialarbeiterin vom Sozialamt gesprochen, die bei der Wiedereingliederung in den Beruf behilflich sei. Es sei besprochen, sobald Joscha in die Schule gehe (im Herbst 2001) und dort bis 13 Uhr betreut werde, könne sie für 3 Tage in der Woche, insgesamt 15 Wochenstunden, im Landratsamt eine Stelle bekommen. Dies sei lediglich als Sprungbrett gedacht, um den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu schaffen. Das, was sie verdiene, werde mit der Sozialhilfe verrechnet. Sie stelle sich vor, Familienaufstellungen für die Mitarbeiter oder für betreute Familien anzubieten. Auf die Frage, ob sie davon ausgehe, dass sie mit dieser Arbeit genug verdiene, um davon leben zu können, antwortet Frau Alteck, wenn es ihre Aufgabe hier auf Erden sei, das zu tun, dann könne sie auch locker davon leben. Um das herauszufinden, müsse sie es einfach tun.



    Exploration zur Entstehung des Verdachts auf sexuellen Missbrauch

    Durch die Erweiterung der Fragestellung des Oberlandesgerichts auf die elterliche Sorge wurde von der Sachverständigen eine Exploration zur Entstehung des Missbrauchsverdachts bei Frau Alteck für notwendig erachtet. Dabei wurden mit einer aussagepsychologischen Vorgehensweise die motivationalen Bedingungen und der situative Kontext des allerersten Verdachts eruiert und die Entwicklung bis zu den konkreten Anschuldigungen von Anna erfragt. Da Frau Alteck im ersten Gespräch von sich aus ausführlich ihre Sicht des sexuellen Missbrauchs an den Kindern darstellte, sind im Folgenden Wiederholungen unvermeidlich. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde jedoch vorgezogen, die Ergebnisse der Exploration zum Thema sexueller Missbrauch an dieser Stelle zusammenhängend darzustellen.

    Auf die Frage, wann Frau Alteck der allererste Verdacht kam, dass Anna vom Vater sexuell missbraucht worden sei, antwortete Frau Alteck, das sei im Frühjahr 1991 gewesen, als sie in der Müttergenesungskur war. Sie habe 2 Tage vor Ende der Kur einen Traum gehabt, dass Anna um Hilfe rief. Dabei sei sie sich jedoch nicht sicher gewesen, ob der Traum ein Hinweis auf etwas mit ihr, oder etwas mit Anna gewesen sei. Sie sei dann zur dortigen Psychologin gegangen und die habe ihr geraten, aufmerksam zu sein, es könne gut sein, dass sie eine so gute Verbindung mit den Kindern habe, dass sie spüre, wenn es ihnen nicht gut gehe. Als sie dann zurückgekommen sei, habe Anna drei Tage später einen "Selbstmordversuch" gemacht. Man habe ihr erst hinterher, bei der Beratungsstelle KOBRA, erklärt, dass das ein Selbstmordversuch gewesen sei. Anna habe ganz viele homöopathische Kügelchen geschluckt, vor allen Dingen Thuja und Belladonna, aber auch noch einige andere, an die sie sich nicht mehr erinnere. Sie habe die ganzen Gläschen geleert. Die Kügelchen seien in niedrigen Potenzen gewesen, von D 6 bis D 12. Es seien damals nur homöopathische Arzneimittel im Haus gewesen. Anna habe "Vergiftungserscheinungen" gehabt, offene Stellen an der Haut, denn sie neige zu Neurodermitis. Sie sei dann mit Anna zum Arzt. Anna habe ein Gegenmittel bekommen und es sei verheilt. Der Arzt habe gemeint, die offenen Stellen seien typisch für Thuja. Nach Annas Vergiftung habe sie sich gefragt, was denn da los sei und habe dem Thema Missbrauch mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Eine weitere Begebenheit sei anläßlich eines Termins bei ihrer Frauenärztin vorgefallen. Sie habe die Kinder immer dorthin mitgenommen, da sie niemand für die Betreuung hatte und die Kinder seien das gewohnt gewesen. Bei diesem Termin hätten sich die Kinder jedoch sehr merkwürdig verhalten. Während der Untersuchung habe Anna sich in den Vorhang eingerollt und Maria und Yvonne hätten sich versteckt. Anna habe es plötzlich nicht ertragen können, die Mutter so zu sehen. Die Frauenärztin habe sie gefragt, was denn mit den Kindern los sei, sie finde sie sehr merkwürdig. Ob da nicht "etwas" gewesen sei, als sie in Kur war. Sie habe ihr von Annas Vergiftung erzählt und die Ärztin habe ihr geraten, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Sie habe das zu dem Zeitpunkt jedoch nicht gemacht, da sie noch mit Herrn Alteck in einer Ehetherapie war. Sie habe sich gedacht, eins nach dem anderen. Die Ehekrise habe Priorität gehabt, d.h. die Frage, ob die Ehe bestehen bleibe oder ob es zur Trennung komme. Im November seien sie und Herr Alteck dann überein gekommen, sich zu trennen. Zwei Tage später habe Anna ihr vom Missbrauch berichtet. Anna habe nicht gewollt, dass sie an dem Abend wie gewohnt wegfahre. Anna habe zu ihr gesagt, "immer wenn du gehst und ich liege im Bett, dann kommt der Papa und tut mir weh". Anna habe auch erzählt, dass sie Angst habe und die Mama sie beschützen solle. Sie habe dann weiter nachgefragt, aber Anna habe dann nichts mehr geantwortet. Wahrscheinlich habe sie zu sehr gebohrt. Sie selbst sei in dem Moment entsetzt gewesen. Es sei für sie "wie ein Puzzle" gewesen: der Traum, Annas Vergiftung, das merkwürdige Verhalten bei der Frauenärztin. Sie habe dann von ihrer Ehetherapeutin die Adresse von KOBRA erhalten. Anna habe bei KOBRA gleich einen Therapieplatz bekommen, da sie in einem sehr schlechten Zustand gewesen sei. Bei KOBRA sei man davon ausgegangen, dass der sexuelle Missbrauch stattgefunden habe. Anna habe auch bei KOBRA wenig Konkretes erzählt. Sie habe aber Bilder gemalt von einem Gespenst mit einem Penis, aus dem etwas Gelbes vorne heraus spritze. Das habe man als eindeutigen Beweis genommen. Auf Anraten von KOBRA seien Maria und Yvonne zu Frau Bareiss beim Kinderschutzbund in Sindelfingen in Therapie gegangen, da nur für Anna ein Therapieplatz zur Verfügung stand. KOBRA habe Frau Bareiss als Spezialistin für Missbrauch empfohlen. Frau Bareiss habe sowohl bei Yvonne als auch bei Maria eindeutig sexueller Missbrauch diagnostiziert. Sie habe das aus dem Spiel und aus Bildern geschlossen. Leider seien die Bilder inzwischen verschwunden. Alle Versuche, sie wiederzubekommen, seien ergebnislos gewesen. Da Maria und Yvonne nie etwas geäußert hätten, habe niemand sagen können, was vorgefallen sei. Frau Bareiss habe erzählt, dass Yvonne beim Spiel mit dem Puppenhaus die Männer ‚ausgesperrt" habe; wenn sie Männer in ihr Spiel einbezogen habe, dann sei es sehr gewalttätig zugegangen. Das habe die Therapeutin ganz eindeutig als Indiz für Missbrauch angesehen. Bei Maria seien es überwiegend Bilder gewesen, die ihr die Erzieherin aus dem Kindergarten mitgegeben habe. Frau Alteck sagte, bei Maria sei sie zuerst davon ausgegangen, dass nichts passiert sei. Frau Bareiss sei sich aber sicher gewesen, dass auch Maria davon betroffen sei. Frau Alteck berichtete, sie habe dann auch an vielen Einzelheiten, die die Kinder "bruchstückhaft" gezeigt hätten, erkennen können, dass bei allen ein Missbrauch stattgefunden habe. Sie wisse nicht mehr alles, da es schon lange her sei. Z.B. seien von Maria und Anna Äußerungen gekommen, sie dürften nicht darüber sprechen, was der Papa mit ihnen gemacht habe, sonst würde die Mama umgebracht. Anna habe ihr das einmal in einer Therapiestunde mitgeteilt, bei Maria sei es manchmal spontan beim Spielen gekommen, einmal auf der Rückfahrt nach der Therapie. Yvonne habe einmal beim Essen, als es Camembert Käse gegeben habe, gesagt, "den esse ich nicht, der schmeckt nach Pimmel". Bei solchen Vorkommnissen würden bei ihr schon dementsprechende Bilder entstehen und sie gehe von realen Missbrauchserfahrungen aus. Für sie sei es eine Bestätigung des Verdachts, dass die Mädchen während ihres Kuraufenthalts vom Vater missbraucht worden seien, dass alle drei nach der Kur wieder eingenäßt haben und Maria und Yvonne sogar eingekotet.

     

     

    Auf die Frage, ob sie gleich nach der Kur gedacht habe, Anna sei sexuell missbraucht worden, antwortete Frau Alteck, als Möglichkeit habe sie es schon in Betracht gezogen. Sie sei jedoch nicht davon ausgegangen, dass real etwas stattgefunden habe. Aber eigentlich habe sie damals die Einstellung gehabt, sie seien eine normale Familie und Missbrauch geschehe anderswo.

    Frau Alteck betonte, damals habe man den Missbrauch "von außen" an sie herangetragen. Sie sei von verschiedenen kompetenten Fachleuten, die therapeutisch geschult gewesen seien und Erfahrung auf dem Gebiet hatten, zu der Überzeugung gebracht worden, dass bei allen drei Mädchen ein sexueller Missbrauch stattgefunden habe. Bei KOBRA habe man es ganz "typisch" gefunden, wie Anna sich verhalten habe. Selbst das Verhalten von Herrn Alteck, der alles geleugnet habe und massiv gegen KOBRA vorgegangen sei, habe man ~dort als "typisches Täterverhalten" bezeichnet.

    Frau Alteck berichtete, sie selbst habe bei KOBRA ebenfalls eine Einzeltherapie gemacht und an einer Müttergruppe für Betroffene teilgenommen. In der Einzeltherapie seien dann immer mehr Erinnerungen an ihren eigenen Missbrauch durch ihren Vater hochgekommen, der anfing, als sie 5 Jahre alt war. Manchmal sei das Wiedererinnern auch durch äußere Eindrücke hervorgerufen worden, z.B. durch eine Filmszene. Es habe bei KOBRA Gruppentermine gegeben, an denen z.B. über die "Täterstruktur" gesprochen worden sei oder wo es um die Frage ging, ob die Mütter selbst Missbrauchsopfer seien. Es sei thematisiert worden, dass sexueller Missbrauch sich wie ein roter Faden durch die Familien ziehe, dass Mütter von betroffenen Kindern selbst missbraucht worden seien und sich entsprechende Partner aussuchen würden. Die Opfer würden sich Täter suchen und da sie sich des Problems nicht bewußt seien, würde sich das Muster immer wiederholen. Frau Alteck erzählte, die Mütter seien von KOBRA aufgefordert worden, bei sich selbst nachzuforschen, ob in der eigenen Kindheit etwas gewesen sein kann, eventuell eine Therapie zu machen, um den blinden Fleck zu überwinden und das Muster zu durchbrechen. Ihr sei in der Kur zum ersten Mal der Gedanke gekommen, selbst Missbrauchsopfer zu sein, als sie den Traum hatte und nicht sicher war, ob Anna oder sie selbst damit gemeint sein könnte. Noch während ihrer Ehe habe ihrer eigene Mutter ihr mitgeteilt, dass sie ebenfalls in der Kindheit missbraucht worden sei. Sie habe sich damals noch gewundert, warum ihre Mutter das auf einmal erzählt habe. Es habe sie jedoch nicht überrascht, dass sich der rote Faden sexueller Missbrauch von ihrer Mutter über sie selbst bis zu ihren Kindern durchziehe. Sie selbst habe inzwischen mit dem Thema abgeschlossen. Sie wolle nicht mehr ständig daran denken, er spiele in ihrem Leben keine Rolle mehr.

     

     

    Anna habe ihr später von zwei Vorfällen erzählt, bei denen der Vater sie sexuell missbraucht habe: einmal, während des Kuraufenthalts der Mutter im Keller ihres Wohnhauses in Unbenannt; das zweite Mal während der Entführung auf Texel. Anna habe ihr zwar gesagt, es sei viel mehr passiert, aber sie habe nur die beiden Vorkommnisse erwähnt. Als Anna noch jünger gewesen sei, habe sie ihr auch erzählt, der Vater würde nachts an ihr Bett kommen "wie so ein Gespenst". In der Therapie bei KOBRA seien die Kinder aufgefordert worden, dem Gespenst den Umhang wegzunehmen, damit sie sehen könnten, wer sich darunter verstecke. Anna habe das Gespenst eindeutig als "Papa" benannt.

    Konkrete Einzelheiten des Missbrauchsgeschehens habe Anna erst berichtet, als sie die ersten sexuellen Erfahrungen mit ihrem Freund machte. Die Erinnerungen seien aufgetaucht, wenn sie mit ihrem Freund zusammen war und mit ihm schlafen wollte. Anna habe dann manchmal "2 Stunden nur geheult", weil sie von den Bildern überwältigt gewesen sei. Frau Alteck schilderte, was sie von Anna erfahren hatte: In Unbenannt habe Anna den Vater in der Waschküche im Keller "oral befriedigen" müssen. Anna habe so geweint, dass sie fast erstickt sei. Anna habe ihr erzählt, dass Maria und Yvonne im Haus waren und gespielt hätten. Auf die Frage, ob Maria und Yvonne nicht hätten hören müssen, wenn Anna so laut weine, antwortete Frau Alteck, die Kinderzimmer hätten sich im ersten Stock befunden. Auf Grund der vielen Türen dazwischen sei es nicht möglich gewesen, dort Geräusche aus dem Keller zu hören. Beim zweiten Mal, auf Texel, seien ebenfalls die jüngeren Schwestern und noch andere Erwachsene in der Nähe gewesen. Niemand habe etwas gehört oder mitbekommen. An Anna habe niemand eine Veränderung bemerkt. Anna habe ihr erzählt, es sei in der Scheune passiert, die zum Ferienhaus gehörte. Sie habe sich noch genau an die "kratzige Decke, das Heu und den Staub dort" erinnert. Damals habe sie schon Asthma gehabt. Anna sei zuerst auf dem Rücken gelegen und der Vater habe sie berührt. Dann habe sie sich umdrehen müssen und der Vater sei "anal in sie eingedrungen".

    Bezüglich des Missbrauchs an Anna durch Herrn Riess berichtete Frau Alteck, sie wisse nicht, ob Anna sich die ganze Zeit daran erinnert habe oder ob sie zeitweise nichts mehr davon gewußt habe. Anna habe ihr nur erzählt, dass die konkreten Erinnerungen dann auftauchten, als sie die ersten sexuellen Kontakte mit ihrem damaligen Freund hatte, zeitgleich mit den Erinnerungen an den Missbrauch durch den Vater. Während sie zur Entbindung in der Klinik war, habe Herr Ries die zehnjährige Anna nachts in seine Firma mitgenommen. Er habe es ganz geschickt gemacht, indem er sie damit köderte, dass sie doch schon so groß sei und länger auf bleiben dürfe; sie dürfe sich neben ihn auf das Sofa setzen und dann würden sie zusammen einen Fernsehfilm anschauen. Anna habe schon ein bißchen Angst gehabt, aber "sich groß nichts dabei gedacht". Herr Ries habe sie dann vergewaltigt. Auf Frage: Anna habe sich anfangs schon gewehrt, aber sie habe keine Chance gehabt, weil er so groß gewesen sei und habe dann aufgehört. Frau Alteck fügte auf Nachfragen hinzu, sie selbst habe bei Anna keine Veränderungen bemerkt, nachdem sie von der Entbindung wieder zu Hause war. Sie habe sich jedoch gefragt, warum es zwischen Herrn Ries und Anna plötzlich so große Spannungen gegeben habe.



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    Exploration des Vaters

    Psychodiagnostische Einzelgespräche mit Herrn Alteck, dem Vater von Anna, Maria und Yvonne

    Mit Einverständnis von Herrn Alteck wurde die Exploration auf Tonband aufgezeichnet.

    Zu den Umgangskontakten mit seinen drei Töchtern berichtete Herr Alteck, dass er sie seit November 1999 weder gesehen noch gesprochen habe. Kurz nach der Urteilsverkündung des Familiengerichts Freiburg habe er mit Anna noch telefoniert. In diesem Gespräch hätten er und Anna zum ersten Mal über das Thema sexueller Missbrauch gesprochen. Er habe ihr gesagt, dass sie diese Vorstellung von der Mutter übernommen habe, aber sie habe ihm nicht geglaubt. Anna habe angekündigt, sie werde eine Strafanzeige gegen ihn stellen und er habe sie in diesem Vorhaben unterstützt, da es ihm bisher nie gelungen sei, diesbezüglich ein Ermittlungsverfahren in Gang zu bringen. Es sei das erste Mal seit 8 Jahren gewesen, dass zu dem Vorwurf konkrete Angaben gemacht worden seien. Danach sei jeglicher Kontakt abgebrochen, da Frau Alteck das Telefon abgemeldet habe und sich eine Geheimnummer geben lassen habe. Herr Alteck vermutete, dass der Grund für das Unterbinden jeglicher Kontakte seitens Frau Alteck der Beschluß des Familiengerichts gewesen sei, in dem ihm ein unbetreutes Umgangsrecht eingeräumt wurde. Davor habe es ab und zu telefonische Kontakte gegeben. Er habe den Kindern dann zu Weihnachten ein Handy geschenkt, um in Verbindung zu bleiben. Das Handy habe aber immer Anna und sie habe jedesmal sofort aufgelegt, wenn er angerufen habe. Er habe es nicht allzu häufig probiert, vielleicht alle 5 Wochen einmal, zum einen weil es ihn immer wieder viel Kraft koste und zum anderen, weil er nicht erreichen wollte, dass sie das Handy nicht mehr benutzen würde. Er sei dann im Frühjahr 2000 zweimal nach Sonstwo gefahren, weil er mit den Kindern sprechen wollte, aber beide Male ohne Erfolg. Maria habe er beim ersten Mal zwar gesehen, habe jedoch keinen Kontakt mit ihr aufnehmen können. Beim ersten Besuch habe er geklingelt, die Haustür sei ihm geöffnet worden, die gegenüberliegende Wohnungstür sei jedoch sofort geschlossen worden. Frau Alteck sei dann an die Wohnungstür gekommen und habe ihn beschimpft, er habe bei ihnen nichts zu suchen, er solle verschwinden. Es stehe ihm kein Umgangsrecht zu und sie werde ihm verbieten lassen, dass er sich den Kindern nähere. Er habe dann versucht, durch die geöffnete Tür in die Wohnung zu schauen, da er mitbekommen habe, dass sich zumindest eines der Kinder in der Wohnung befand. Frau Alteck habe dann die Tür so zugeschlagen, dass das Holz der Tür gesplittert sei. Er sei dann gegangen und als er bereits in seinem Auto saß, habe er Maria auf der Terrasse gesehen. Er sei dann noch einmal ausgestiegen, um mit ihr zu sprechen, aber da sei sofort Frau Alteck gekommen und habe Maria ins Haus geschickt. Kurze Zeit später habe er von der Polizei in Bad Krozingen einen Anhörungsbogen wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung bekommen. Dabei habe er noch nicht einmal jemand berührt. Solche Handlungen und Reaktionen von Frau Alteck sei er inzwischen gewöhnt. Als er ungefähr einen Monat später noch einmal nach Sonstwo gefahren sei, habe er vorher bei der Polizei in

     

     

    Müllheim angerufen und um Begleitung gegeben. Das sei jedoch abgelehnt worden. Er habe dann seine Handynummer auf der Polizeistation hinterlassen. In Sonstwo sei er vor der verschlossenen Tür gestanden, nach einiger Zeit sei Frau Alteck mit einer Freundin gekommen und habe ihn wieder beschimpft, er solle verschwinden. Bevor die Haustür zufiel, sei er noch ins Haus gekommen, jedoch nicht in die Wohnung. Er habe keines der Kinder gesehen oder gesprochen. Frau Alteck habe sofort die Polizei angerufen, das habe er durch die geschlossene Wohnungstür gehört, aber nicht, was sie gesagt habe. Die Polizei habe ihn dann zurückgerufen und er habe berichtet, dass er jetzt wieder wegfahre, da er die Kinder nicht zu sehen bekomme; da die Schuhe der Kinder vor der Tür stünden, schreibe er ein kleines Brief chen für sie und stecke es hinein. Er sei danach wieder gefahren und habe auch keinen weiteren Versuch gemacht, die Kinder zu sehen.

    Herr Alteck äußerte, dass es ihn sehr belaste, dass Anna mittlerweile überzeugt davon sei, dass er sie sexuell missbraucht habe. Seit September 1999, als Frau Alteck vor dem Familiengericht konkretisiert habe, was er getan haben solle — sie habe detailgetreu geschildert, dass er auf Texel Anna anal vergewaltigt habe — und er erlebt habe, dass Anna sich der Meinung der Mutter anschloß, sei er wieder vollständig von dieser Sache überwältigt. Er hätte nicht gedacht, dass es ihn wieder so einholen würde. Acht Jahre lang sei nie etwas Konkretes geäußert worden, was er denn getan haben solle; es sei immer ein nebulöser Verdacht im Raum gestanden. Er habe sich in der ersten Zeit nach der Trennung vergebens bemüht, von der Mutter konkrete Vorwürfe oder Verdachtsmomente in Erfahrung zu bringen. Als nun Frau Alteck die angebliche anale Vergewaltigung von Anna so erlebnisnah schilderte, als habe sie es selbst erlebt und Anna ihm die Tat ebenfalls vorwarf, habe er sich dazu entschlossen, neuerlich einen Sorgerechtsantrag zu stellen. Er halte es für absolut schädlich, dass Anna in diesem Glauben bzw. in dieser Überzeugung aufwachse. Er sei der Meinung, dass Anna zwei Jahre zuvor diese Überzeugung noch nicht hatte, sondern dass es lediglich die Vorstellung der Mutter gewesen sei. In dem längeren Telefongespräch, das er mit Anna darüber im November 1999 führte, habe Anna ihm gesagt, dass sie sich inzwischen an Einzelheiten eines sexuellen Missbrauchs erinnere. Sie habe ihn jedoch nicht beschimpft oder angegriffen. Sie habe auch angekündigt, eine Strafanzeige gegen ihn zu erstatten, was sie dann ja auch getan habe. Es sei für ihn unbeschreiblich, zu erleben, dass Anna von einem Missbrauch überzeugt sei, der nie stattgefunden habe. Er sei der Meinung, dass ein Aufwachsen in dem Glauben, sexuell missbraucht worden zu sein, die gleichen Folgen habe, wie ein tatsächlicher Missbrauch. Mit seinem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge wolle er verhindern, dass mit Maria und Yvonne das gleiche geschehe wie mit Anna. Anna sei von der Mutter jahrelang "indoktriniert" worden, sie sei Missbrauchsopfer. Deshalb wisse sie heute nicht mehr, was wahr und was falsch sei. Auch die beiden jüngeren Schwestern seien in diesem Klima aufgewachsen, in dem sexueller Missbrauch tägliches Thema sei und er befürchte, dass auch Maria und Yvonne eines Tages davon überzeugt seien, er habe sie sexuell missbraucht.

     

     

    Zur Frage des Umgangs mit seinen Töchtern meinte Herr Alteck, die Kindesmutter würde niemals einen unbetreuten Umgang zulassen. Sie habe in der Vergangenheit alles getan, um jeglichen Umgang zu verhindern. Sie habe sich immer wieder über entsprechende Gerichtsurteile hinweggesetzt. Frau Alteck habe jahrelang sogar betreuten Umgang systematisch unterlaufen, indem vereinbarte Termine ohne Angabe von Gründen nicht wahrgenommen wurden, manchmal kurzfristig abgesagt wurden, oder zukünftige Kontakte ganz abgelehnt wurden mit der Begründung, die Kinder wollten es nicht. Es habe in der Vergangenheit einmal einen betreuten Umgang beim Kinderschutzbund in Böblingen gegeben; das habe jedoch nur vier- oder fünfmal funktioniert, dann habe die Mutter die Kinder nicht mehr geschickt. Sie behaupte auch jetzt, ihm stehe kein Umgang zu. Auch Anna habe ihm gegenüber im letzten Telefongespräch vehement verneint, dass er ein Umgangsrecht habe. Er sei der Meinung, dass der völlige Kontaktabbruch durch Frau Alteck eine Reaktion auf den Gerichtsbeschluß sei, dass ihm ein unbetreuter Umgang zustehe. Frau Alteck wolle mit allen Mitteln jeden Umgang verhindern. Sie gebe ihm ja auch überhaupt keine Informationen über das Wohlergehen der Kinder und deren schulische Entwicklung. Er wundere sich noch heute darüber, dass der betreute Umgang mit Frau Haak zustande gekommen sei. Er habe damals dem betreuten Kontakt nur deshalb zugestimmt, weil es die einzige Chance gewesen sei, seine Kinder zu sehen und vor allen Dingen für die Kinder die einzige Chance, ihn zu sehen. Die Nachmittage mit den Kindern — nur mit Maria und Yvonne, da Anna ihn nicht treffen wollte — seien sehr schön gewesen. Er habe das Zusammensein mit den beiden sehr genossen, sie hätten immer gemeinsam etwas unternommen. Es habe eine stillschweigende Übereinkunft gegeben, dass über die Familiensituation nicht gesprochen werde. Er habe den Kindern keine Fragen gestellt und diese hätten ihn nichts über seine Lebensumstände gefragt. Die Situation sei in gewisser Weise auch künstlich und unwirklich gewesen. Dazu sei ja noch die Anwesenheit von Frau Haak gekommen. Auf der Hinfahrt habe er sich auf das Zusammensein gefreut und auf der Rückfahrt habe ihm die Situation jedesmal sehr zu schaffen gemacht und ihn nachhaltig berührt. Er habe immer das darauffolgende Wochenende gebraucht, um die Eindrücke zu verarbeiten und die Situation zu bewältigen. Er habe sich einfach nicht daran gewöhnen können, die Kinder nur unter Aufsicht zu sehen. Die betreuten Kontakte hätten so lange funktioniert, bis er nicht mehr bereit gewesen sei, die Kosten zu übernehmen. Frau Alteck habe ihren Anteil an den Kosten, die Hälfte von 180.- DM, nicht mehr bezahlen wollen und er habe nicht eingesehen, warum er den ganzen Betrag hätte übernehmen sollen, da ja die Mutter auf den betreuten Kontakten bestand. Aber Frau Alteck habe es kategorisch abgelehnt, Umgangskontakte ohne Betreuung zuzulassen. So sei ein Termin geplatzt und dann habe er sich den Knöchel gebrochen und habe ein Vierteljahr lang nicht mehr Auto fahren können. Damit sei das Problem erst einmal vertagt gewesen. Als er wieder gesund war, habe er dann auf unbetreuten Kontakten bestanden und da die Mutter das ablehnte, sei ihm nur der neuerliche Gang zum Familiengericht übrig geblieben. Er lehne den betreuten Umgang aus zwei Gründen ab: Zum einen finde er es ungeheuer deprimierend, dass er die eigenen Kinder nur unter Aufsicht sehen könne. Zum anderen sei der betreute Umgang ausdrücklich "mit Rücksicht auf die Ängste der Mutter" beschlossen worden. Er sei der Meinung, dass der betreute Umgang Tatsachen schaffe nach dem Motto, "wenn der Vater seine Kinder nur betreut sehen darf, muß an dem Vorwurf etwas dran sein". Gerade im Hinblick auf die Kinder befürchte er fatale Folgen, denn sie hätten sicher auch Kontakt mit anderen Kindern aus Trennungsfamilien und würden mitbekommen, dass diese ihre Väter ohne Aufsicht sehen würden. Das würde dann auch bei seinen Kindern letztendlich zu der Vorstellung führen, es sei gefährlich, mit ihm zusammenzusein, bzw. er habe ihnen tatsächlich früher etwas angetan. Er gehe davon aus, dass die Mutter die Kinder sowieso täglich dahingehend beeinflusse, er habe die Kinder — oder zumindest Anna — sexuell missbraucht. Er habe in der langjährigen Auseinandersetzung mit Frau Alteck mehrfach erlebt, dass sie irgendetwas behaupte, ohne dass je ein Beweis angetreten werde und daraus entstünden dann Situationen, die aus der Behauptung eine Tatsache machten. Annas heutiges Verhalten zeige das deutlich. Deshalb sei er unter gar keinen Umständen mehr bereit, einen betreuten Umgang zu akzeptieren. Zur Ausgestaltung des Umgangs bezog sich Herr Alteck auf seinen Antrag, den er beim Familiengericht Freiburg stellte. Angesichts der Entfernung schlage er eine 1 4tägige Regelung von Freitag bis Sonntag vor, dann drei Wochen in den Sommerferien und einen Teil der Weihnachtsferien. Wie das eben "üblicherweise" geregelt werde. Herr Alteck brachte sein Bedauern zum Ausdruck, dass diesbezüglich keine Absprachen mit Frau Alteck möglich seien und keine flexiblen Regelungen getroffen werden könnten. Herr Alteck äußerte jedoch mehrfach und mit Nachdruck, dass jede Umgangsregelung "das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht", weil sie von der Mutter unterlaufen werde, wenn nicht auch das Sorgerecht geändert werde. Er sei sich sicher, dass er seine Kinder nie mehr sehen würde, wenn sie bei der Mutter blieben.

    Bevor der konkrete Missbrauchsvorwurf in dem Verfahren vor dem Familiengericht im Herbst 1999 zum ersten Mal geschildert worden sei - zu einem Zeitpunkt, als der unbetreute Umgang im Raum stand - habe es schon merkwürdige Reaktionen von Mutter und Kindern gegeben, berichtete Herr Alteck. So habe er schon gleich nach seinem Umgangsantrag "ominöse Briefe" von den Kindern erhalten, einer handgeschrieben, einer mit Maschine. Der Wortlaut der beiden Briefe sei nahezu identisch gewesen, mit den jeweiligen Unterschriften der Kinder. Er frage sich jedoch, ob diese Briefe, die zum gleichen Sachverhalt Stellung bezogen, wirklich von unterschiedlichen Personen geschrieben worden seien. In einem der Briefe habe Anna geschrieben, sie meine, sich nun an den sexuellen Missbrauch erinnern zu können. Ein halbes Jahr später sei sie sich dessen sicher gewesen und habe Strafantrag gegen ihn gestellt. Von Anna sei dann ein oder zweimal auch noch ein handschriftlicher Brief gekommen. Sehr befremdlich finde er auch, dass ihm vom Jugendamt mitgeteilt worden sei, dass die Briefe dort auch bekannt seien, die Mutter habe sie dem Jugendamt vorgelegt. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass dem Jugendamt Briefe vorlagen, die er gar nicht kannte und deren Inhalt er bis heute nicht erfahren habe. Er wisse auch nicht, ob die Briefe, die er bekommen habe, die gleichen seien, die auch das Jugendamt habe. Er habe jedoch keine Gelegenheit mehr gehabt, mit den Kindern darüber zu sprechen, da der Kontakt abgebrochen worden sei. Er habe zwar nie einen Brief von ihnen unbeantwortet gelassen, wisse aber nicht, ob seine Briefe die Kinder tatsächlich erreichten. Als er sich den Knöchel gebrochen hatte, habe es zumindest noch telefonische Kontakte gegeben; wenn er anrief, konnte er mit einem oder mit mehreren Mädchen sprechen, wer gerade anwesend war. Seit dem Umgangsantrag vor dem Familiengericht sei jedesmal sofort aufgelegt worden, wenn er sich gemeldet habe. Er glaube nicht, dass die Mutter jedesmal neben dem Telefon gestanden sei und es den Mädchen verboten habe, mit ihm zu sprechen, sondern er glaube, dass sie von ihr so massiv eingeschüchtert und beeinflußt worden seien, dass sie es von sich aus ablehnen würden. Sonst hätten sie ihn ja auch anrufen können, wenn die Mutter nicht anwesend gewesen wäre, dazu seien sie alt genug. Er denke sich, dass die Kinder ein Bild von ihm hätten, das sich nicht mit den Erfahrungen decken würde, die sie mit ihm gemacht hätten, sondern das sich aus dem zusammensetze, was die Mutter ihnen vermittle. Wenn wieder ein Gerichtstermin anstehe, dann werde sicher jeden Tag thematisiert, dass es keinen Kontakt zu ihm geben dürfe. Er könne von daher verstehen, dass die Kinder dem Konflikt aus dem Weg gehen wollten und von sich aus den Kontakt zu ihm ablehnten. Wer der Mutter widerspreche oder eine eigene Meinung vertrete, werde mit Liebesverlust bestraft. Da den Mädchen keine anderen Bezugspersonen außer der Mutter zur Verfügung stünden, weil die Mutter alle Kontakte zu Freunden und Verwandten abgebrochen habe, sei das eine sehr wirksame Disziplinierungsmaßnahme. Die Kinder seien existentiell auf die Mutter angewiesen, keines von ihnen könne es sich leisten, aus der Familie ausgegrenzt zu werden, indem es z.B. den Wunsch nach Kontakt zu ihm äußere. Dies sei ihm ganz besonders an Maria aufgefallen. Maria habe den Wunsch jahrelang geäußert, sie habe ihn sogar von sich aus zur Theateraufführung eingeladen, aber damit habe sie sich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt. Er glaube, dass sie dem Druck in der Familie nicht habe standhalten können, denn heute sei sie ihm gegenüber genauso ablehnend wie die anderen.

     

     

    Über seine Beziehung zu den Kindern berichtete Herr Alteck, sie sei "ungewöhnlich gut" gewesen, als die Familie noch zusammenlebte. Die Kinder seien alle erwünscht gewesen. Da er selbst Einzelkind gewesen sei, habe er viele Kinder gewollt. Er habe sich in erster Linie als Familienvater begriffen, seine Berufstätigkeit habe keinen so hohen Stellenwert gehabt. Er habe bei der IBM keine Uberstunden gemacht, sondern darauf geachtet, dass er um 18 Uhr zu Hause gewesen sei, damit er etwas mit den Kindern unternehmen konnte und sie auch ins Bett bringen konnte. Er habe seine freie Zeit mit der Familie verbracht. Er habe sich für alle Bereiche zuständig gefühlt, es habe keine geschlechtstypische Rollenverteilung gegeben, dass er z.B. für technische Dinge wie Rollschuhfahren etc. zuständig gewesen wäre und die Mutter für alles, was den Haushalt betraf, sondern er habe mit den Kindern auch Kuchen gebacken. Wenn eines der Kinder ein Problem hatte oder sich verletzt hatte, dann habe es sich an denjenigen gewandt, der gerade zur Verfügung stand. Es habe auch von den Kindern keine Bevorzugung eines Elternteils für einen bestimmten Bereich gegeben. Herr Alteck meinte, diese positive Beziehung zu den Kindern habe es ihm wahrscheinlich auch so schwer gemacht, auf sie zu verzichten. Obwohl er die Kinder so selten gesehen habe, sei jedesmal wieder sehr schnell eine schöne und entspannte Atmosphäre entstanden, wenn es zu einem Treffen kam. Er könne nicht bestätigen, dass die Kinder bei den Zusammenkünften erschreckt oder panisch reagiert hätten, wie die Mutter immer behaupte. Bei den Kontakten mit Frau Haak sei es am Anfang zwar etwas angespannt gewesen, besonders wenn die Mutter bei der Übergabe dabei war. Nach ca. einer Viertelstunde sei es jedoch zu einem gelösten und herzlichen Umgang gekommen. Er habe auch im weiteren Verlauf kein ängstliches Verhalten bei den Kindern beobachten können. Sie hätten ihn bei der Begrüßung auch immer umarmt. Herr Alteck erzählte, er sei "schockiert" darüber gewesen, dass ihn die Kinder anläßlich des Gesprächs mit der Sachverständigen nicht umarmt hätten. Das habe es vorher noch nie gegeben und er wertete es als Ausdruck der inzwischen stattgefundenen Entfremdung. Bei Maria habe er immer den Eindruck gehabt, sie sei neugierig auf die Begegnung und das habe er als sehr positiv empfunden. Maria sei schon als Kleinkind am meisten auf ihn bezogen gewesen. Er habe sich so gefreut, als ihn Maria zur Theateraufführung eingeladen habe, aber er sei auch überrascht gewesen, dass es überhaupt möglich war. Er habe damit gerechnet, dass das nicht wieder vorkomme, denn er habe auch mit Marias Lehrerin sprechen können und das würde Frau Alteck nicht zulassen können. Er sei jedoch "entsetzt" gewesen über Marias Entwicklung in den letzten 1 Y2 Jahren. Er habe sie in dem Gespräch so erlebt, dass sie ihre eigene Position aufgegeben habe und sich der Familienmeinung angepaßt habe. Das sei für ihn neu und unerwartet gewesen.

    Bei Yvonne habe er einmal erlebt, dass sie möglicherweise erschreckt reagierte, als er vor ungefähr zwei Jahren anläßlich eines Kindergeburtstages nach Sonstwo kam. Er habe Mutter und Kinder auf der Straße angetroffen und das Geschenk abgegeben und da habe er eine Versteifung bei Yvonne beobachtet. Er könne jedoch nicht beurteilen, ob Yvonnes Reaktion Angst vor ihm war oder Ausdruck einer Unsicherheit, weil die Mutter daneben stand.

    Nach dem gemeinsamen Gespräch mit den Kindern meinte Herr Alteck, es sei bei den Kindern sicher eine große Unsicherheit ihm gegenüber da. Er sei sich sicher, dass es keine Angst vor ihm sei, denn die Diskussion sei ja ganz angeregt verlaufen. Auch Yvonne habe sich nach einiger Zeit von sich aus daran beteiligt, nachdem sie anfangs noch geweint habe. Er gehe davon aus, dass die Kinder von der Mutter massiv gegen ihn beeinflußt werden und auch zu Hause Sanktionen zu erwarten hätten, wenn sie sich nicht ablehnend ihm gegenüber verhalten würden. Da das Verhalten der Kinder in dem gerichtlichen Verfahren bewertet werden würde und die Kinder das wüßten, habe er auch nicht damit gerechnet, dass es bei diesem Zusammentreffen zu positiven emotionalen Äußerungen ihm gegenüber kommen würde. Er wisse jedoch aus früheren Erfahrungen, dass die Kinder sehr schnell mit ihm einen offenen und entspannten Umgang haben würden, wenn daraus keine negativen Konsequenzen entstünden. Er habe es auch so erlebt, als er die Kinder nach Texel mitgenommen hatte. Deshalb sehe er auch kein allzu großes Problem darin, dass die Kinder ihn ablehnen würden, falls er das Sorgerecht bekomme. Sie seien in Wirklichkeit ja gar nicht so ablehnend und würden sich sicher schnell in die neue Situation fügen, wenn sie keine Alternative hätten.

    Angesprochen auf die Angst der Kinder vor einer möglichen Entführung durch ihn, antwortete Herr Alteck, dass diese Angst deshalb noch vorhanden sei, weil die Mutter den Kindesentzug, der vor 7 Jahren stattfand, ständig thematisiere. Die Angst und die Erinnerung daran würden über die Jahre hinweg aufrechterhalten. Im gemeinsamen Gespräch mit den Kindern habe er sich gewundert, wie präsent bei allen drei die Erinnerung an den Kindesentzug ist. Die Kinder würden davon sprechen, als ob es gestern geschehen sei. Dies bestärke ihn in der Einschätzung, dass die Mutter die Erinnerung wach halte, um den Kindern mit einer Gefahr zu drohen, die von ihm ausgehe. Als er die Kinder damals mit List der Mutter weggenommen habe und mit ihnen 3 Wochen nach Texel gefahren sei, habe er das Sorgerecht noch gehabt und es sei Kindesentzug gewesen. Heute handle es sich um den Straftatbestand der Kindesentführung und er denke nicht im Traum daran, etwas derartiges zu unternehmen. Es sei aberwitzig, wenn die Mutter entsprechende Ängste schüre.

     

     

    Herr Alteck äußerte, dass ihm durch den Verlust der Kinder in den letzten 8 Jahren sehr viel Lebensfreude abhanden gekommen sei. Es habe kaum einen Tag gegeben, an dem er nicht an seine Töchter gedacht habe. Wenn er mit seiner Partnerin und deren zwei Söhne etwas unternommen habe, sei er auch immer wieder traurig geworden, weil er seine Kinder vermißt habe. Zum einen sei er traurig über den Verlust. Er verbinde mit dem Elternsein, dass er Menschen heranwachsen sehe und diesen Weg habe er bewußt gewählt. Hinzu komme aber auch die Sorge, wie es den Kindern gehe bzw. die Befürchtung, dass sie in einem für sie schädlichen Umfeld aufwachsen würden. Er sei in der ständigen Sorge, welche Konsequenzen es für das Leben der Mädchen habe, wenn sie in dem Glauben erzogen werden, er habe sie sexuell missbraucht und sexueller Missbrauch sowie die Opferrolle tägliches Thema seien. Er halte es außerdem für schädlich, dass die Mutter den Kontakt zu allen abgebrochen habe, die auch nur den leisesten Zweifel an ihrer Missbrauchsversion geäußert hätten. Die Kinder hätten keine Kontakte mehr zu Verwandten, zu seinem Vater schon seit der Trennung nicht mehr und zu den Verwandten mütterlicherseits, z. B. den Großeltern, inzwischen auch nicht mehr. Die Großmutter mütterlicherseits sei einmal die 700 km nach Sonstwo gefahren, um die Kinder zu besuchen und da habe Frau Alteck die Kinder ins Haus geschickt und ihre Mutter auf der Straße stehen lassen. Danach habe es seines Wissens keine Besuche mehr gegeben. Zu Herrn Riess, dem früheren Lebensgefährten von Frau Alteck, hätten die Kinder eine sehr gute Beziehung gehabt. Auch da habe die Mutter wenig auf die Bedürfnisse der Kinder geachtet und nach der Trennung sei der Kontakt von einem Tag auf den anderen abgebrochen worden. Heute würde Frau Alteck auch Herrn Riess sexuellen Mi&szig;brauch vorwerfen, nachdem dieser ein Verfahren wegen Umgang mit dem gemeinsamen Sohn Joscha angestrengt habe. Er frage sich, mit welchem Männerbild seine Töchter heranwachsen würden, wenn jeder Mann, zu dem sie eine gefühlsmäßige Beziehung aufgebaut hätten, als Missbraucher und Täter hingestellt werde. Was nicht den Vorstellungen der Mutter entspreche, werde aus dem Leben der Kinder entfernt. Dadurch seien die Mädchen völlig von der Mutter abhängig, es gebe keine anderen Bezugspersonen, die einen Ausgleich schaffen könnten und wo die Mädchen bei Auseinandersetzungen mit der Mutter emotionale Unterstützung finden könnten.

    Zu seiner Motivation, das Sorgerecht zu beantragen, bemerkte Herr Alteck, er habe erst im Herbst 1999 wieder darüber nachgedacht, als die Mutter im Gerichtssaal die angebliche Vergewaltigung von Anna schilderte. Als er dann erlebte, dass Anna von dem Missbrauch überzeugt war und Anzeige bei der Kripo erstattete, habe er sich zum Antrag auf elterliche Sorge entschlossen. Aufgrund seiner Beschäftigung mit dem Thema sexueller Missbrauch halte er es für genau so schädlich, in dem Glauben aufzuwachsen, sexuell missbraucht worden zu sein wie ein realer Missbrauch. Von daher stand die Sorge, dass die Kinder bei der Mutter Schaden nehmen an erster Stelle, so wie auch bei seinen früheren Anträgen. Durch die konkreten Vorwürfe, die er widerlegen könne und gegen die er etwas unternehmen könne, sei noch eine persönliche Seite hinzugekommen: die Rehabilitation seiner Person. In der Vergangenheit habe er darüber gar nicht nachgedacht, da sei es nur aus Angst um die Kinder gewesen. Heute sehe er auch seinen persönlichen Anteil, aber er halte ihn für nachrangig. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt, das Glaubhaftigkeitsgutachten über Annas Aussage habe von der damit beauftragten Sachverständigen nicht erstellt werden können. Dies habe zum einen daran gele9en, dass der zeitliche Abstand zwischen angeblicher Tat und der wiedergefundenen Erinnerung daran zu groß war, zum anderen sei explizit auf den familienrechtlichen Kontext als motivationalen Hintergrund verwiesen worden (AZ 10 Js 4698/00). Die Anschuldigungen gegen ihn hätten ihn so fassungslos und betroffen gemacht, dass er vorhabe, eine strafrechtliche Privatklage gegen Frau Alteck durchzuführen. Es sei ihm mit der neuerlichen Konfrontation mit den Anschuldigungen noch einmal deutlich geworden, wie gefährdet die Kinder bei der Mutter seien.

    Herr Alteck betonte, es sei ihm wichtig, dass die Kinder aus dem Umfeld der Mutter heraus kommen. Er hoffe, ihnen noch etwas anderes mit auf den Weg geben zu können als das, was sie bisher von der Mutter erfahren hätten. Er hoffe auch, dass es dazu noch nicht zu spät sei. Er frage sich, mit welchem Männerbild seine Töchter heranwachsen würden, wenn jeder Mann, zu dem sie eine gefühlsmäßige Beziehung aufgebaut hätten, als Missbraucher und Täter hingestellt werde. Daher wolle er ihnen ein anderes Männerbild vermitteln und dass es Schönes gebe zwischen Männern und Frauen und an einer Partnerschaft. Er mache sich große Sorgen darüber, wie die Kinder von der Mutter an das Thema Sexualität herangeführt werden und befürchte, dass das negative Auswirkungen auf das spätere Leben haben werde. Er könne jedoch keine konkreten Folgen vorhersagen, aber wenn er lese, dass Anna mit 14 Jahren schon eine sexuelle Beziehung zu einem 1 7jährigen habe, dann finde er das nicht in Ordnung. Anna habe in dem gemeinsamen Gespräch über ihre Beziehung zu Männern gesagt, dass diese sie ausnutzen und benutzen würden, das habe ihn nachdenklich und traurig gemacht. Er habe immer befürchtet, dass es die Mädchen mit ihrem Bild von Sexualität und Männern in Beziehungen schwer haben werden. Falls eines Tages alle drei Mädchen davon überzeugt seien, er habe sie sexuell missbraucht, dann könne niemand mehr dieses Bild zurechtrücken. Er nehme an, dass dann alle Probleme und Schwierigkeiten im Leben, die ja unvermeidliche seien, darauf zurückgeführt werden würden. Es sei ihm daher besonders wichtig, dass die Kinder lernen, sich auf ihre eigene Wahrnehmung zu verlassen; dass sie Vertrauen in ihr eigenes Urteil bekommen; dass sie die Erfahrung machen, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen und berücksichtigt werden; dass sie ihre eigenen Gefühle haben dürfen. Seine größte Kritik an der Mutter sei, dass sie andere gefühlsmäßig bevormunde, dass sie anderen vorschreibe, was sie zu empfinden haben.

    Über seine Zukunftsvorstellungen mit den Kindern berichtete Herr Alteck, im Falle einer Sorgerechtsübertragung habe er vor, Anna, Maria und Yvonne zu sich nach Kaltenengers zu nehmen. Er wohne zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren zwei Söhne in einem großen Haus, das sich im Besitz seiner Partnerin befinde. Sie betreibe ein Unternehmen für Wohnwagen und Campingzubehör und er sei in ihrer Firma angestellt. Bei dem Haus handle es sich um das Firmengebäude, in der unteren Etage befänden sich die Räume der Firma und der Wohnbereich liege in den beiden oberen Etagen. Es sei so großzügig gebaut, dass für jedes der Kinder ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehe. Die Partnerschaft bestehe seit über vier Jahren und seine Lebensgefährtin kenne seine Familiengeschichte und habe in den vergangenen Jahren die Situation miterlebt. Sie sei damit einverstanden, dass die Kinder bei ihnen leben können. Sie hätten beide ausführlich darüber gesprochen und seien sich der Problematik durchaus bewußt. Die Entscheidung sei ein klares Ja für das Zusammenleben mit den Kindern. Beruflich sehe es zukünftig so aus, dass das Geschäft seiner Partnerin in der jetzigen Form wohl aufgegeben werde und stattdessen als lnternetfirma betrieben werde. Wieviel Zeit er in die neue Firma investiere, hänge davon ab, ob die Kinder bei ihm leben. Er könne das flexibel gestalten.

    Die Gemeinde Kaltenengers liege direkt am Stadtrand von Anderswo, er betrachte es als zu Anderswo gehörend. Schulen (Realschule und Gymnasium) gebe es in Anderswo und in Andernach, wobei die Schulen in Andernach schneller erreichbar seien. Es gebe das übliche Freizeitangebot von mittelgroßen Städten, er habe sich jedoch noch nicht im einzelnen kundig gemacht. Anderswo sei ein Zentrum in der Region und biete von daher fast alles, die nächste Großstadt sei Köln und ca. eine Autostunde entfernt. Die Kinder würden auf jeden Fall in einer Umgebung wohnen, von der aus sie Freunde und Veranstaltungen ohne elterlichen Fahrdienst besuchen könnten. Es gebe gute Busverbindungen. Seine eigenen Freunde lebten über das gesamte Bundesgebiet verstreut, so dass Besuche eher selten, vielleicht ein- bis zweimal pro Jahr stattfänden, telefonische Kontakte gebe es häufiger. Die früheren Freunde hätten ihm - bis auf eine einzige Ausnahme — die Freundschaft gehalten. Diese Unterstützung habe ihm immer sehr geholfen. Er habe in den vergangenen Jahren — auch bedingt durch den Missbrauchsvorwurf — ein eher zurückgezogenes Leben geführt. Oberflächliche Kontakte seien nicht seine Sache und beim näheren Kennenlernen sei irgendwann unweigerlich der Missbrauch zur Sprache gekommen, was dann oft zu Mißtrauen ihm gegenüber geführt habe. Er sei früher sozial mehr eingebunden gewesen und wünsche sich das auch wieder. Er hoffe, dass durch die Anwesenheit der Kinder sich diesbezüglich einiges ändere. Er freue sich auf "Turbulenzen", die das Zusammenleben von Kindern mit sich bringe.

    Den Wechsel von der Mutter zum Vater stellte Herr Alteck sich in der Form vor, dass er mit einer Ausnahmesituation beginnen sollte. Er meinte, dass siäh dazu ein Urlaub am besten eignen würde. Das sei eine Situation, die für alle Beteiligten neu sei. Er sei sich darüber im klaren, dass man nicht gleich seinen Alltag schaffen" könne. Er sei jedoch sicher, dass die Kinder im Kontakt mit ihm auch wieder Vertrauen zu ihm bekommen könnten. Es würde wahrscheinlich Monate dauern - nach seiner bisherigen Erfahrung mit den Kindern aber auch nicht länger — bis sie zu einem unproblematischen Miteinander gefunden hätten. Herr Alteck sagte, er erwarte durch den Wechsel keine unlösbaren Schwierigkeiten, aber er gehe auch nicht davon aus, dass er das, was in acht Jahren passiert sei, in Monaten ausräumen könne. Vor allen Dingen bei Anna stelle sich die Frage, ob sich eine Basis finden lasse, auf der man miteinander leben könne. Er sei auf jeden Fall dafür offen, bei auftauchenden Problemen therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er könne sich bei Bedarf eine therapeutische Begleitung der Kinder vorstellen. Er halte psychotherapeutische Interventionen durchaus für sinnvoll, wenn sie von qualifizierten Fachkräften durchgeführt werde. Seine Kritik an den früheren Therapien, die die Mutter mit den Kindern durchführen ließ, richtete sich gegen die "selbsternannten Experten" von "Kobra" oder ~Wendepunkt", die in jedem Fall sexuellen Missbrauch unterstellen würden. Er nehme an, dass die Kinder auch viele Fragen über die Vergangenheit an ihn stellen werden und dafür wolle er zur Verfügung stehen. Er selbst wolle das nicht an die Kinder herantragen, er habe diesbezüglich kein "Programm". Er wolle jedoch im richtigen Moment zur Verfügung stehen, wenn eine Antwort gewünscht werde.



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    Exploration von Anna

    Mit Einverständnis von Anna wurden die Gespräche auf Tonband aufgenommen.

    Anna berichtete, dass sie in die 9. Klasse der Realschule in Heitersheim gehe und nach den Sommerferien in die 10., die Abschlußklasse. Es gebe Fächer, in denen sei sie gut, auch wenn sie nicht viel lerne. Das seien Mensch und Umwelt, Religion, Deutsch, Sport und Bildende Kunst. In diesen Fächern komme sie auch mit den Lehrern gut klar. In Englisch habe sie eine furchtbare Lehrerin und den Lehrer in Mathematik finde sie auch nicht so besonders. Deshalb schreibe sie in diesen Fächern schon eher Vierer in den Arbeiten. Sie schätze sich als gute Schülerin ein. Die Versetzung sei nie gefährdet gewesen. Früher sei sie gerne in die Schule gegangen. Da sei sie sogar an den Wochenenden traurig gewesen, weil ihr die Schule gefehlt habe. Aber inzwischen gebe es viel Stress mit den Lehrern, ihre Klasse habe an der Schule keinen guten Ruf. Deshalb finde sie die Schule im Moment nicht so toll. Es gebe Lehrer, mit denen habe sie Probleme und dann mache sie einfach dicht. Das Resultat sehe man dann in den Noten. Manche Lehrer würden sie nicht leiden können, weil sie mehrfach Klassensprecherin gewesen sei und offen ihre Meinung gesagt habe. Damit kämen viele Lehrer nicht klar. Die meisten Schüler seien brav und angepaßt. Sie sei eine der wenigen, die sich trauten, den Mund aufzumachen und das bekomme sie dann zu spüren. Sie vertrete ihre Position höflich und bestimmt, nicht aggressiv. Früher habe sie sich über die schlechteren Noten aufgeregt, weil ja ihre Zukunft davon abhänge. Inzwischen mache es ihr weniger aus, weil sie überzeugt sie, dass sie eine gute Schülerin sei. Sie sei sicher, dass sie ihren Abschluß locker schaffen werde. Wenn sie etwas wolle, dann schaffe sie das auch. Sie habe vor, anschließend in Freiburg das Wirtschaftsabitur zu machen. Zu ihren beruflichen Plänen meinte Anna, sie träume von verschiedenen Dingen. Ihr ganz großer Traum sei Grafikdesignerin oder Modedesignerin. Am liebsten würde sei gleich damit anfangen, ohne vorher eine Ausbildung zu machen. Sie sei ein bißchen ungeduldig. Manchmal träume sie auch davon, Model oder Schauspielerin zu werden. Sie sei sicher, dass sie das Richtige finden werde.

     

     

    Anna berichtete, sie habe viele Interessen und Hobbys. Sie spiele seit einem Jahr Fußball in Marias Mannschaft. Mit ihrer besten Freundin spiele sie seit zwei Jahren Tischtennis. In der Spielsaison sei dreimal in der Woche Training. Sie reite auch sehr gerne. Leider könne sie auf dem Pflegepony nicht mehr reiten, weil sie dafür zu schwer geworden sei. Das arme Pony täte ihr richtig leid, wenn es so durchhänge, weil sie darauf sitze. In Malen und Entwerfen sei sie gut. Dazu habe sie großes Talent. Dann fahre sie im Winter noch gerne Ski. Im letzten Jahr sei das jedoch nicht häufig gewesen. Von den Sportarten könne sie Tischtennis am besten. Sie unternehme viel mit Freunden. Im Moment sei sie jedes Wochenende abends weg. Mit Freunden zusammen sein und Spaß haben, das möge sie sehr.

    Sie habe einen sehr großen Freundeskreis. Es gehöre auch zu ihren Stärken, mit Freunden zu reden, ihnen zuzuhören und Ratschläge zu geben. Sie verstehe immer ziemlich schnell, wo das Problem liege, wenn ihr jemand etwas erzähle. Sie sei meistens diejenige, die den Durchblicke habe und versuche es, dem oder der anderen beizubringen. Darin sei sie sehr hartnäckig. Sie werde sogar manchmal Psychiaterin genannt. Aber sie habe keine Lust, beruflich in diese Richtung zu gehen.

    Anna meinte, sie habe einen großen Freundeskreis und fühle sich darin sehr wohl. Sie würden sich gegenseitig akzeptieren. In ihrer Clique seien ungefähr 20 Leute, davon kämen etwa 10 aus Sonstwo und die anderen aus umliegenden Gemeinden. Früher sei sie mit Leuten befreundet gewesen, die sehr viel Druck gemacht hätten. Sie sei z.B. immer die hübscheste von allen gewesen und das habe zu Eifersüchteleien geführt. Die anderen hätten sie dann aufgezogen und gesagt, sie sei so häßlich. Das habe sie dann ernst genommen und ziemlich darunter gelitten. Inzwischen sei sie mit Leuten befreundet, die sie auch ernst nehmen würden. Anna betonte im Gespräch im Juli, dass sie sich in Sonstwo so wohl fühle, dass sie sich auf keinen Fall vorstellen könne, dort wegzuziehen. Sie dürfe so lange wegbleiben, wie sie wolle. Ihre Mutter würde das erlauben, weil sie genau wisse, mit wem sie zusammen sei. Sie erzähle ihrer Mutter alles. Deshalb könne ihre Mutter ihre Freunde auch einschätzen und überlasse es ihr, wie lange sie abends wegbleibe. Sie habe das immer selbst entscheiden dürfen, wie lange sie weggehe, auch schon mit 14 Jahren, da ihre Mutter ihre Freunde kannte und wußte, dass sie in Ordnung seien. Ihre Freunde seien auch alle ein bißchen älter als sie und hätten z.T. schon ein Auto. Sie würde ihrer Mutter auch mitteilen, wenn sie Alkohol getrunken habe, auch wenn es mal zu viel war. Weil sie immer so offen gewesen sei und ihre Mutter wirklich über alles Bescheid wüßte, habe sie nie Probleme gehabt, das zu tun, was sie wollte. Maria habe diese Freizügigkeit nie gehabt, da sie nicht den richtigen Freundeskreis habe. Deshalb müsse Maria schon um 22.30 Uhr, spätestens um 23 Uhr zu Hause sein.

    Anna berichtete, sie habe bisher zwei Freunde gehabt, mit denen sie auch eine sexuelle Beziehung gehabt habe. Vom ersten habe sie sich getrennt, der zweite habe mit ihr Schluß gemacht. Sie sei mit ihm ein Jahr lang zusammengewesen. Beim ersten Gespräch lag die Trennung gerade eine Woche zurück. Anna war darüber sehr traurig. Anna erzählte, sie vermisse es, dass sie sich nicht mehr jeden Tag sehen würden und nicht mehr miteinander telefonierten. Andererseits gehe es ihr auch besser, weil sie nicht ständig daran denke, was er jetzt gerade mache. Vertrauen in Beziehungen sei nicht gerade ihre Stärke. Ihr Freund sei schon 1 8 gewesen, habe Geld verdient und ein eigenes Auto gehabt. Er habe ständig Angst gehabt, er könne etwas verpassen, wenn er eine feste Freundin habe. Das finde sie schon blöde. Sie sei aber sicher, dass sie wieder zusammenkommen würden, da sie sich noch liebten. Es habe schon einmal eine Trennung gegeben und dann hätten sie sich wieder versöhnt. Anna machte für das Ende der Beziehung ihre Vergangenheit verantwortlich. Sowohl ihr Freund als auch sie hätten unter ihrer Vergangenheit gelitten, weil sie einfach kein Vertrauen zu ihm habe aufbauen können. Sie sei es gewohnt, dass Männer schlecht mit ihr umgehen würden, weil sich ihr Vater ihr gegenüber so verhalten habe. Darunter leide sie und das trage sie in die Beziehungen hinein. Das verursache dann ziemliche Probleme mit dem Partner. Letztendlich führe ihr Verhalten zum Scheitern der Beziehungen, obwohl beide sich noch lieben würden. Das löse bei ihr eine große Wut auf ihren Vater aus.

    Zu ihren Gefühlen erzählte Anna, sie zeige auch nach außen, wie es ihr gehe. Wenn sie sich aufrege, dann könne sie auch "explodieren" und laut schreien. Sie könne richtig sauer oder wütend werden. Es hänge jedoch von

    der Situation ab, wie sie reagiere. Manchmal würde sie auch ganz traurig und ruhig werden, wenn sie wütend sei. Dann ziehe sie sich zurück und rede mit niemand mehr, bis die Stimmung wieder vorbei sei. Sie weine auch, wenn sie traurig sei. Es mache ihr nichts aus, wenn andere das sehen würden. Sie habe auch schon öfter vor der ganzen Klasse geweint. Das sei ihr nicht peinlich. Wenn sie etwas los werden wolle, dann mache sie es. Es sei ihr egal, was die anderen denken. Sie könne auch wegen Kleinigkeiten weinen, z.B. einem Streit mit ihrer Freundin oder wenn etwas dumm gelaufen sei. Nach dem Weinen gehe es ihr einfach besser. Traurig werde sie, wenn sie jemand anlüge. Bei ihrem Freund habe sie traurig gemacht, dass sie ihn eigentlich durchschaut habe und er das nicht mochte. Sie habe sofort gemerkt, dass er sich von ihr trennte, weil er Angst hatte, etwas zu verpassen. Es sei nicht wegen fehlender Zuneigung gewesen. Das habe er aber nicht zugeben können. Sie kenne auch das Gefühl der Angst. Das habe sie jedoch meistens nur in festen Beziehungen zu männlichen Freunden. Anna benannte es als Angst, enttäuscht und verlassen zu werden. Ganz selten habe sie dieses Gefühl auch bei ihrer besten Freundin. Ansonsten habe sie mit Vertrauen gegenüber Freundinnen überhaupt kein Problem. Sie vertraue Freundinnen schnell und rückhaltlos. Das Gefühl der Angst habe sie während der ganzen Beziehung zu ihrem letzten Freund gehabt. Glücklich und zufrieden mache sie, wenn sie sich mit ihrer Freundin gut verstehe; wenn sie an einem Wochenende einen gelungenen Abend erlebe, bei dem sich alle gut verstehen würden. Sie erlebe Glück oder Zufriedenheit eher in alltäglichen Dingen. Sie brauche dazu kein besonderes Erlebnis. Über sich selbst meinte Anna, es gebe Situationen, in denen sie an sich selbst zweifle. Dann stelle sie sich selbst in Frage. Z.B. fühle sie sich manchmal zu dick. Sie habe zugenommen in der letzten Zeit. Eigentlich wisse sie, dass sie eine gute Figur habe und doch gebe es Momente, in denen sie unzufrieden mit sich sei. Das passiere meist dann, wenn alles schief gehe. Sie sei zwar auch größer geworden, aber im Vergleich zu anderen, fühle sie sich manchmal zu dick. Sie versuche, sich so zu akzeptieren, wie sie sei und sich ein Selbstbewußtsein aufzubauen. Wenn Freunde oder Freundinnen ihr gegenüber nicht ehrlich seien, sie anlügen würden oder versuchten, sie abzuwerten, dann leide sie schon darunter. Sie entwickle durch solche Situationen aber auch immer wieder Selbstbewußtsein, indem sie sich durchkämpfe. Wenn sie sich etwas vorgenommen habe, dann könne sie es auch erreichen. Sie sei ausgesprochen dickköpfig. Anna berichtete, sie sei selten krank. Früher habe sie oft Atemprobleme und Neurodermitis gehabt. Wenn es ihr schlecht gehe oder sie genervt sei, dann bekomme sie eine trockene Haut und kratze sich dann. Sie habe festgestellt, dass sie auch von Alkohol oder falscher Ernährung manchmal noch fleckige und trockene Hautstellen bekomme. Es sei aber kein Vergleich zu den Ausschlägen, die sie als kleines Kind bekommen habe. Sie könne sich noch daran erinnern, dass sie damals viele offene Stellen gehabt habe. Das Asthma sei zwar auch nicht ganz weg, aber inzwischen erträglich. Durch Alkohol würde auch das Asthma schlimmer werden. Sie nehme keine Medikamente.

     

     

    Zu Verwandten und Bekannten der Familie äußerte Anna, dass sie ab und zu mit ihrer Oma brieflichen Kontakt habe. Die Oma schicke auch mal ein Geschenk. Sie wolle aber nicht mehr mit ihr zu tun haben, da sie sie nicht besonders möge. Andere Verwandte hätte sie keine. Sie vermisse das auch nicht. Ihre Mutter habe noch die Freunde aus Stuttgart und einige in Sonstwo, mit denen komme sie gut aus.

    Zu Maria und Yvonne meinte Anna, sie habe immer das Gefühl, sie müsse ihre jüngeren Schwestern beschützen. Sie finde das aber ganz normal für eine große Schwester. Wenn Maria und Yvonne ein Problem hätten und sich nicht trauen würden, mit anderen darüber zu sprechen, würden sie zu ihr kommen. Sie würde die beiden dann darauf ansprechen und versuchen, bei einer Lösung behilflich zu sein. Sie finde es weder gut noch schlecht, dass sie die Beschützerinnenrolle gegenüber ihren Schwestern habe. Sie sei es nicht anders gewohnt. Sie glaube nicht, dass sie eine privilegierte Stellung in der Familie habe oder deswegen beliebter sei.

    Anna erzählte, zwischen ihr und ihrer Mutter bestehe ein vollkommenes Vertrauensverhältnis. Viele Freundinnen würden sie darum beneiden. Sie könne mit ihrer Mutter über alles reden und würde das auch tun. Sie sei sehr zufrieden damit, wie ihre Mutter mit ihr umgehe und was sei von ihr verlange. Es gebe selten Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Streit würde sie das nicht nennen. Auseinandersetzungen kämen in der Regel daher, dass sie, Anna, immer ihren Kopf durchsetzen wolle. Im Nachhinein wisse sie dann immer, dass sie schuld sei. Sie habe schon oft "Scheiße gebaut" und sich dann so richtig mit ihrer Mutter "gefetzt". Das sei aber in ein paar Stunden jedesmal vorbei und dann würden sie sich wieder in den Armen liegen. Die Auseinandersetzungen dauerten vielleicht eine halbe Stunde, in der sie ihrer Mutter vehement ihre Sicht der Dinge darstelle und die Mutter halte mit ihrer Meinung dagegen. Sie könne da schon auch mal ihre Mutter anschreien. Dann ziehe sie sich für ein paar Stunden in ihr Zimmer zurück und denke darüber nach. Irgendwann sehe sie ein, dass der Fehler bei ihr liege und dann gehe sie zur Mutter und entschuldige sich. Ihre Mutter habe ihr noch nie einen unberechtigten Vorwurf gemacht. Sie, Anna, sei immer diejenige, die etwas falsch mache und einen Dickkopf habe. Ein konkretes Beispiel falle ihr nicht ein. Es habe einmal eine Situation mit einem Freund gegeben, die dazu führte, dass sie sich von der Familie distanzierte und kaum noch zu Hause war. Der Freund habe sie schlecht behandelt und da sei "die Sache mit meinem Vater" bei ihr "hochgekommen" und sie habe "alles noch einmal durchgemacht". Deswegen sei sie zu Hause gereizt und schlecht gelaunt gewesen (total pampig") und kaum noch zum Essen erschienen. Ihre Mutter habe sie darauf angesprochen und es hätte Streit gegeben. Sie wisse aber nicht mehr, um was es tatsächlich gegangen sei. Die Meinungsverschiedenheiten seien aber nichts Schlimmes. Ihre Mutter sei immer für sie da.

     

     

    Anna konnte sich nicht erinnern, wann sie ihren Vater zum letzten Mal gesehen hatte. Sie meinte, sie wolle nichts Falsches sagen, vielleicht sei es vor einem Monat oder vor zwei Monaten gewesen. Sie habe in solchen Dingen ein sehr schlechtes Gedächtnis und wolle es gleich wieder vergessen. Sie habe ihn gesehen, als er das letzte Mal nach Sonstwo gekommen sei. Sie habe nicht mit ihm gesprochen, weil sie das nicht wolle. In der Regel vermeide sie das. Sie habe vor dem Beschluß des Familiengerichts zweimal mit dem Vater telefoniert. Er habe angerufen und da habe sie "gerade so Lust" gehabt, ihm ihre Meinung zu sagen. Wenn sie keine Lust dazu habe, lege sie immer gleich den Hörer wieder auf. In dem Telefongespräch habe sie ihrem Vater erzählt, dass sie sich "an viele Sachen erinnern" könne. Der Vater sei irgendwann verlegen geworden, er habe Angst bekommen und dann sei das Gespräch zu Ende gewesen. Sie glaube, das sei das letzte Gespräch mit dem Vater gewesen. Sie sei sich aber nicht ganz sicher, weil sie sich an Gespräche und Termine nicht gut erinnern könne.

    Zu Umgangskontakten äußerte Anna, sie könne sich nicht vorstellen, den Vater zu sehen. Vielleicht ändere sich das einmal, wenn sie älter werde, aber das wisse sie jetzt nicht. Das werde sie dann ja sehen. Im Moment jedenfalls habe sie "null Bedarf", den Vater zu sehen. Wenn sie ihn sehe, dann komme eine Wut in ihr hoch. Sie bekomme ein schlechtes Gefühl und rege sich auf. Sie rege sich darüber auf, ihn als Vater zu haben und "was er halt gemacht hat". Anna erzählte ausführlich über die Wut und den Haß, die sie verspüre, wenn sie den Vater sehe. Dabei war jedoch keine emotionale Reaktion spürbar, die in irgendeiner Art und Weise auf das Vorhandensein dieser Gefühle schließen ließ. Sie erzählte davon wie über eine alltägliche Begebenheit. Sie blieb beim Reden freundlich und fröhlich, lachte ab und zu. Die Wut versuchte sie mit drastischen Ausdrücken deutlich zu machen, z.B. dass sie "ihn am liebsten zusammenschlagen würde". Es blieb jedoch bei den verbalen Angriffen, ohne innere Beteiligung. Anna behauptete, sie betrachte den Vater "nicht mehr so richtig als Vater". Auf Fragen, was sie dem Vater konkret vorwerfe, antwortete Anna sehr unbestimmt und ausweichend, mit stereotypen Formeln. Der Vater solle "sich mal als Vater verhalten", "keine Kinder missbrauchen", "die ganze Scheiße nicht machen", "vielleicht nur ein bißchen Liebe zeigen". Anna betonte dann mehrfach, der Vater habe "nur Scheiße gebaut", er hätte sein ganzes Leben ändern müssen. Sie wiederholte die Vorwürfe, ohne konkreter zu werden. Der Vater hätte sich den Kindern gegenüber einfach ganz anders verhalten müssen. Wie, das konnte sie nicht angeben. Anna wirkte verunsichert, wenn ihre Behauptungen hinterfragt wurden. Sie wiederholte dann das Gleiche noch einmal, z.B. "Ich mein, ich kann ja meinen Vater nicht als richtigen Vater ansehen, wenn er mich sexuell missbraucht hat, oder?" Sie glaube schon, dass sie und ihre Schwestern dem Vater ein Stück weit wichtig seien. Aber es interessiere sie nicht. Es sei ihr völlig egal. Sie sei der Meinung, dass der Vater nur der Mutter eins auswischen wolle, deshalb lasse er sie nicht in Ruhe. Sie glaube, dass dies der Hauptgrund für das Interesse des Vaters an der Familie sei. Hinzu komme, dass sie denke, dass der Vater im Moment einen großen Haß ihr gegenüber habe, weil sie die Anzeige gemacht habe. Schon aus diesem Grund könne sie sich nicht vorstellen, dass er sie sehen wolle. Sie glaube auch, dass der Vater deswegen bei ihnen vorbeigekommen sei, weil er irgendwie von der Anzeige erfahren habe und vielleicht auch etwas gegen sie unternehmen wollte. Sie habe in dem Telefongespräch mit ihm schon gemerkt, dass er Angst bekommen habe. Dazu kenne sie ihn viel zu gut. Sie spüre das einfach. Zuerst habe er versucht, ihr auszureden, dass ein Missbrauch stattgefunden habe. Er habe gemeint, das würde ihre yerrückte Mutter ihr nur einreden. Als sie aber weiter darauf bestanden habe, dass es ihre Erinnerungen seien, sei der Vater immer ruhiger geworden. Auf Nachfragen: Der Vater bezeichne die Mutter nicht in Gegenwart von ihr und ihren Schwestern als geisteskrank. Ihnen gegenüber behaupte er, die Mutter würde ihnen alles mögliche einreden. Sie wisse aber aus den Akten, dass er es dort immer wieder vorbringe. Anna äußerte, dass sie ihrem Vater alles Schlechte zutraue und sie befürchte, dass er ihr etwas antun könnte, weil sie die Anzeige gemacht habe. Sie befürchte, dass er eine Waffe bei sich haben könnte und gewalttätig werden könnte. Deshalb würde sie ihn unter gar keinen Umständen ohne Aufsicht sehen wollen. Es sei zwar schon lange Thema, dass er sie sexuell missbraucht habe, aber bislang habe sie sich nicht konkret erinnern können. Jetzt, wo sie die Anzeige gemacht habe, werde der Vater ihr sicher etwas antun wollen. Denn er habe ihr damals angedroht, wenn sie etwas verrate, werde er sie bestrafen. Sie habe am Telefon keine Details genannt, sondern nur gesagt, dass sie sich jetzt erinnere.

    Anna berichtete, dass sie erst durch ihren ersten Freund Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch erlangt habe. Davor habe sie es die ganze Zeit "richtig verdrängt". Sie habe nichts davon wissen wollen. Als sie mit ihrem früheren Freund zum ersten Mal geschlafen habe, seien ihr viele Einzelheiten "hoch gekommen". Sie habe auch ihren Vater vor sich gesehen. Es sei dann ihre Entscheidung gewesen, damit zur Polizei zu gehen. Nachdem sie alles aufgeschrieben habe, habe sie sich dazu entschlossen.

    Zukünftige Umgangskontakte lehnte Anna kategorisch ab. Es sei für sie auch nicht akzeptabel, wenn ihre Schwestern mit dem Vater Kontakt hätten. Sie wisse, dass Maria und Yvonne auch keinen Umgang wollten. Zum anderen müsse sie als große Schwester die beiden auch beschützen. Sie wisse noch ganz genau, dass es den beiden "verdammt schlecht" in der Zeit ging, als sie betreute Kontakte mit dem Vater hatten. Nie und nimmer würde sie zulassen, dass Maria und Yvonne alleine zum Vater gingen. Da würde sie genau so kämpfen, wie wenn es um ihre eigene Person gehe. Die Schwestern seien noch jung und könnten sich an nichts erinnern. Da wisse sie mehr über ihre Schwestern als diese über sich selbst. Früher habe sicher die eine oder andere mal gesagt, sie würde den Vater vielleicht gerne mal sehen. Sie als große Schwester wisse aber ganz genau, dass Maria und Yvonne in Wirklichkeit das überhaupt nicht wollten und deshalb würde sie es nicht zulassen. Auf die Frage, ob sie die Entscheidung nicht ihren Schwester überlassen wolle, meinte Anna, natürlich überlasse sie es ihnen. Wenn die eine den Vater sehen wolle, dann sage sie: "Gut, wenn du es unbedingt brauchst oder so, dann mache, was du für richtig hältst, du wirst es dann schon sehen, was dabei raus kommt." Wenn es um die Frage des Kontakts mit dem Vater ging, sprach Anna immer von "wir", damit meinte sie sich und ihre Schwestern. Sie betonte, es gehe nicht nur darum, dass sie keinen Kontakt wolle, sondern dass alle drei dies nicht wollten. Gefragt nach ihren drei größten Wünschen, antwortete Anna: "Mein allergrößter Wunsch ist, dass mein Freund sich ändert und ich mich zum Teil auch und dass wir wieder zusammenkommen. Und sonst, dass das eben alles aufhört, dass es endlich Ruhe gibt und dass wir gar keinen Kontakt mehr haben. Ja, und dass ich halt noch ein schönes und erfolgreiches Leben habe."

     

     

    Anna erklärte sich zu einem Gespräch mit dem Vater bereit, um ihre Sicht der Dinge darzustellen. Sie machte jedoch deutlich, dass es ihr gleichgültig sei, wie der Vater darauf reagiere. Es sei ihr egal, was er über sie denke und für sie empfinde. Sie glaube auch nicht, dass so ein Gespräch irgendeinen Sinn habe, da sie ihre Einstellung nicht ändern werde. Ob der Vater das Sorgerecht bekomme oder nicht, sie werde nicht zu ihm gehen.

    Anna redete im ersten Gespräch über sexuellen Missbrauch wie über eine alltägliche und selbstverständliche Sache, vergleichbar der Beschreibung ihres Asthmas. Hinweise, dass sie eine traumatische Erfahrung gemacht habe, waren nicht zu erkennen. Mimik und Gestik waren die gleichen wie bei anderen Themen, die besprochen wurden. Eine wirklich echte emotionale Reaktion zeigte Anna, als sie über ihren Freund sprach, der gerade mit ihr Schluß gemacht hatte. Dabei kämpfte sie mit ihren Tränen. Auch als sie ihre beste Freundin beschrieb, war die Begeisterung zu spüren. Bei familiären Themen wirkte Anna oft großspurig und besserwisserisch. Sie inszenierte sich als diejenige, die genau Bescheid weiß. Wenn sie über ihren Vater sprach — den sie als einzige als "Vater" bezeichnete — wirkten ihre Aussagen auswendig gelernt und aufgesetzt, wie eine oft wiederholte Darbietung. Anna war es nicht gewohnt, dass ihre Äußerungen hinterf ragt wurden. Das machte sie für kurze Zeit sprachlos und dann wurde sie ärgerlich.

    Auf die Frage, wann es das erste Mal zu einer Missbrauchshandlung durch den Vater gekommen sei, antwortete Anna lachend, daran könne sie sich nicht mehr genau erinnern. Sie könne sich an einige Male erinnern, darunter ein Mal in Holland. Sie sei aber sicher, dass davor etwas gewesen sei. Sie erinnere sich nicht, wie alt sie gewesen sei, auch nicht daran, was gewesen sei. Sie habe nur ihrer Mutter erzählt, dass sie Angst habe, wenn sie alleine mit dem Vater gelassen werde. Sie erinnere sich noch daran, dass einmal in der Waschküche in Unbenannt etwas gewesen sei. Da habe sie den Vater "anfassen und befriedigen" sollen. Genaueres könne sie dazu nicht sagen. Sie habe bis vor kurzem keine detaillierten Erinnerungen gehabt, aber trotzdem immer gewußt, dass ein Missbrauch stattgefunden habe. Anna war es sehr peinlich, konkret zu erzählen, was in Holland zwischen ihr und ihrem Vater vorgefallen sein sollte. Sie setzte an mit reden und lachte dann verlegen. Sie meinte, es falle ihr schwer, dazu etwas zu sagen. Es sei "eben mehr oder weniger sexueller Missbrauch" vorgefallen. Es sei zu Analverkehr gekommen, aber es sei nicht so weit gegangen, "dass er gekommen ist". Dabei lachte sie. Auf weiteres Nachfragen, erzählte Anna mühsam, mit viel Unterbrechungen, an welche konkreten Handlungen sie sich noch erinnere. Sie habe wegen eines Asthmaanfalles auf der kratzigen Decke in der Scheune gelegen. Der Vater sei gekommen, habe ihre Hose herunter gezogen und sie zwischen den Beinen angefaßt. Dann habe er seine Hose herunter gezogen und sie habe ihn "befriedigen" sollen. Er habe es ihr mit der Hand gezeigt, er habe nicht viel gesagt. Mit fester Stimme fuhr Anna fort, der Vater habe ihr verboten, darüber zu sprechen, sonst würde sie "verdammt viel Ärger" bekommen. Sie habe es danach sofort "verdrängt". Sie wisse nicht, ob es auf Texel noch weitere Male zu einem Missbrauch gekommen sei. Sie könne sich jedoch nicht vorstellen, dass es nur bei dem einen Mal geblieben sei.

    Sie habe sich erst wieder erinnert, als sie erste sexuelle Kontakte mit ihrem Freund hatte. Als es Probleme mit ihrem ersten Freund gab, habe sie mit ihrer Mutter öfter darüber gesprochen. Ihre Mutter habe ihre Meinung dazu gesagt und sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen. Dann seien die ersten Erinnerungen gekommen. Sie habe dann herausgefunden, dass ihre Beziehungsprobleme durch den sexuellen Missbrauch verursacht werden würden.

    Anna erzählte, dass sie die Anzeige gegen den Vater gemacht habe, um sich zu rächen. Sie habe ihre Wut dort raus lassen wollen, wo sie hingehöre.

    Anna war auch überzeugt davon, dass der Vater Maria und Yvonne missbraucht habe. Sie mache das an ihrem "Wissensgefühl" fest. Das wisse sie einfach. Zum anderen würden sich ihre beiden jüngeren Schwestern genau so verhalten wie sie selbst, sie hätten in vielen Situationen die gleichen Probleme. Und da sie wisse, dass das bei ihr durch den Missbrauch verursacht sei, könne es auch bei ihren Schwestern nicht anders sein. Sie merke auch bei ihren Freunden sofort, wer missbraucht worden sei und wer nicht.

    Anna führte bestimmte Verhaltensweisen wie Bettnässen, Ohrenschmerzen Asthma und Neurodermitis auf Missbrauch zurück. Sie habe schon als Baby Neurodermitis gehabt, deshalb nehme sie an, dass schon damals ein Missbrauch stattgefunden habe. Anna beteuerte, wie groß ihre Angst um ihre beiden jüngeren Schwestern sei. Sie habe immer Angst, es könne ihnen etwas passieren. Sie mache jetzt, nach dem Unfalltod ihrer Freundin, auch ihren Rollerführerschein nicht, weil sie zu große Angst habe, dass ihr etwas passieren können.

    Angesprochen auf ihre Beziehung zu Herrn Ries meinte Anna, die sei nie gut gewesen. In den ersten 6 Monaten habe er versucht, sich bei ihnen einzuschmeicheln, aber dann sei er nur noch grob zu ihr gewesen. Er habe sie einmal vergewaltigt, das habe sie nie ganz verdrängt. Sie glaube aber, dass es das einzige Mal gewesen sei. Es habe jedoch schon Zeiten gegeben, in denen sie nicht daran gedacht habe. Sie habe die Vergewaltigung ihrer Mutter deshalb nicht mitgeteilt, weil sie die Beziehung nicht zerstören wollte. Ihre Mutter habe ihr leid getan. Dann sei ja auch noch der kleine Bruder da gewesen. Deshalb habe sie es nicht über sich gebracht, ihrer Mutter etwas zu erzählen. Sie habe versucht, ihrer Mutter gegenüber ganz normal zu wirken. Da sei es ihr sehr schlecht gegangen. Herr Ries habe sie auch sonst mißhandelt. Sie erinnere sich, dass sie die Spülmaschine ausräumen sollte und es nicht gleich gemacht habe. Da habe er sie am Arm gepackt und ihr eine Ohrfeige gegeben. Solche Sachen habe er öfter gemacht. Sie glaube nicht, dass ihre Schwestern von Herrn Riess auch missbraucht worden seien. Sie habe nichts mitbekommen. Über die Trennung der Mutter von Herr Ries habe sie sich gefreut. Er sei niemals ein Vaterersatz für sie gewesen.



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    Exploration von Maria

    Mit Einverständnis von Maria wurden die Gespräche auf Tonband aufgezeichnet.

    Maria berichtete, dass sie in die 9. Klasse der Gymnasiums in Bad Krozingen gehe. Sie sei eine ganz gute Schülerin, die Versetzung sei nie gefährdet gewesen. Sie sei sehr zufrieden mit ihren schulischen Leistungen. Sie gehe meistens gerne in die Schule, es komme auf die Lehrer und die jeweiligen Fächer an. Sie mache Biologie gerne, Musik, Sport und Bildende Kunst. Seit der 9. Klasse habe sie noch Spanisch als dritte Fremdsprache nach Englisch und Französisch. Sie sei auch noch in zwei AGs, in der Fußball-AG und im Chor. Im Sommer fahre sie mit dem Fahrrad in die Schule, im Winter habe sie eine Regiokarte und fahre mit dem Bus.

    Maria erzählte, sie habe viele Hobbies. Am liebsten spiele sie Fußball. Sie spiele sowohl im Verein Fußball als auch in der Schulmannschaft, die derzeit eine der vier besten in Baden-Württemberg sei. Ihre Freundinnen und Anna spielten ebenfalls Fußball. Mit ihrer Freundin zusammen habe sie vor, eine kleine Mannschaft zu trainieren, dann könne Yvonne auch mitspielen. Sie hätten jedoch noch nicht damit angefangen. Am zweitliebsten sei ihr das Reiten. Die Familie habe ein Pflegepony, das mache ihr viel Spaß. Sie sollte das Pferd mindestens viermal in der Woche ausreiten, aber das schaffe sie nicht immer, weil sie noch viele andere Dinge mache. Im Musikverein spiele sie Klarinette, da müsse sie auch üben. Das gefalle ihr nicht so gut. Im Sommer fahre sie öfter mit ihren Freundinnen mit dem Fahrrad in das Freibad in Heitersheim. Manchmal lerne sie auch mit ihrer Freundin, dann gehe sie zu ihr nach Hause, weil es dort ruhiger sei. Maria erzählte, sie sei auch Ministrantin seit ihrer Kommunion in der 3. Klasse. Aber inzwischen sei ihr das zu anstrengend, obwohl sie nicht jeden Sonntag aufstehen müsse. Deshalb wolle sie damit aufhören. Sie habe auch jedes Jahr bei den Sternsingern mitgesungen. Das habe ihr viel Spaß gemacht. Sie gehe auch öfter an den Wochenenden abends in den Jugendraum, das sei ein Treffpunkt für Jungen und Mädchen. Manchmal gehe auch Anna mit. Sie treffe dort ihre Freundinnen und dürfe bis halb elf Uhr bleiben. Wenn es etwas Besonderes gebe, dürfe sie es auch mal bis um 23 Uhr ausdehnen. Ihre Freundinnen blieben auch so lange.

     

     

    Auf die Frage nach Freundschaften berichtete Maria, sie habe mehrere Freundinnen. Ihre beste Freundin, Katharina, kenne sie schon seit der ersten Klasse. Sie wohne auch in Sonstwo. Sie habe sowohl in ihrer Schulklasse als auch in Sonstwo Freundinnen. Sie treffe sich mit den Freundinnen im Jugendraum im Pfarrhaus. Maria meinte, es gebe selten Streit zwischen ihr und ihrer Freundin, der letzte sei schon eine ganze Weile her. Sie würden sich immer wieder vertragen. Der Streit dauere höchstens zwei Wochen, in der Zeit würden sie und ihre Freundin sich aus dem Weg gehen. Sie sage schon, wenn sie sich verletzt fühle und zeige, wie es ihr gehe. Maria erzählte, dass sie auch schon zwei Freunde hatte. Mit dem ersten habe sie nach zwei Monaten Schluß gemacht, weil sie sich in jemand anders verliebt habe. Sie seien jedoch gute Freunde geblieben. Der zweite habe sich nach einem Monat von ihr getrennt. Darüber sei sie erschrocken und traurig gewesen. Dieser sei auch zu ihr nach Hause gekommen. Sie hätten sich dann in ihrem Zimmer aufgehalten oder im Wohnzimmer ferngesehen. Yvonne, mit der sie das Zimmer teile, habe in der Zeit etwas mit ihrer Freundin unternommen.

    Maria meinte, sie hätte schon gerne ein eigenes Zimmer, in der jetzigen Wohnung sei das aber nicht möglich. Yvonne vertrage sich nicht mit dem kleinen Bruder, deshalb müsse sie ihr Zimmer mit Yvonne teilen. Sie komme mit Yvonne eigentlich ganz gut aus. Früher habe es öfter Streit zwischen ihnen gegeben, weil Yvonne nie aufgeräumt habe. Sie hoffe, dass die Familie bald in eine größere Wohnung umziehen könne. Es sei schwierig, in Sonstwo etwas zu finden, sie denke, dass es in der näheren Umgebung etwas gebe. Sie wolle auf jeden Fall hier bleiben. Sie fühle sich hier wohl.

    Maria erzählte, dass sie keine Verwandte hätten, die sie besuchten. Ihre Eltern seien beide Einzelkinder. Mit der Oma mütterlicherseits stehe sie in brieflichem Kontakt. Aber ihre Mutter verstehe sich mit ihren Eltern nicht so gut und sie wolle mit ihnen auch wenig zu tun haben. Sie könne sich an die Oma erinnern, wisse aber nicht mehr, wann sie sie zuletzt gesehen habe. Es gebe Freunde und Bekannte der Mutter, mit denen sie gut klar komme. Auf die Frage nach ihrem Verhältnis zu Herrn Riess antwortete Maria, sie könne sich eigentlich kaum noch daran erinnern. Sie habe ihn sowieso "ein bißchen komisch" gefunden und sei bei der Trennung nicht traurig gewesen. Aber eigentlich wisse sie das nicht mehr so richtig.

    Wenn sie traurig sei, könne sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwester Anna oder mit ihrer Freundin reden. Von allen fühle sie sich verstanden. Ihrer Mutter erzähle sie "eigentlich so gut wie alles". Wenn sie eine Beziehung zu einem Freund habe, bespreche sie das selbstverständlich mit der Mutter. Sie habe zu beiden Schwestern ein gutes Verhältnis. Früher habe es manchmal Streit mit Anna gegeben, weil diese ihre Kleider angezogen habe, ohne sie zu fragen. Aber sie habe auch Annas Kleider genommen. Inzwischen würden sie einander um Erlaubnis fragen, bevor sie die Kleider der anderen anziehen. Mit Yvonne fahre sie nachmittags manchmal nach Freiburg, weil Yvonne noch nicht alleine dorthin dürfe. Yvonne habe einige Freundinnen in Freiburg. Die Hausarbeiten, die jede verrichten müsse, hätten sie folgendermaßen aufgeteilt: die Spülmaschine müßten sie abwechselnd ausräumen, das eigene Zimmer müsse jede selbst aufräumen und einmal in der Woche, meistens am Samstag, putze die ganze Familie die Wohnung. Das funktioniere ganz gut. Zum Taschengeld meinte Maria, um ein bißchen Geld zu verdienen, würde sie babysitten und manchmal ihrer Freundin helfen, das Pfarrblatt zu verteilen. Das sei höchstens einmal in der Woche, sie könne nicht von festen Stunden ausgehen. Ab und zu würde ihr die Oma Geld schicken. Davon kaufe sie sich etwas zum Anziehen, wenn sie etwas Neues brauche.

     

     

    Maria meinte, sie finde es traurig und anstrengend, dass sie und die Familie sich wieder gerichtlich mit dem Vater auseinandersetzen müßten. Die Anstrengung komme auch daher, weil es schon so viele Jahre andauere. Es wirke sich sehr belastend auf die Familie aus. Sie habe die Einstellung, dass man da durch müsse und dass es ein Ende haben müsse. Das, was sie dazu beitragen könne, dass es ein Ende habe, werde sie tun. Auf Nachfragen antwortete Maria, dass sie mit ihrer Freundin Katharina darüber rede, was sie belaste und wie es ihr gehe. Die Freundin kenne ihre Geschichte, da sie sozusagen miteinander aufgewachsen seien. Bei ihrer Freundin seien es auch vier Kinder zu Hause, deren Eltern seien jedoch nicht geschieden. Im Allgemeinen wüßten alle ihre Freunde mehr oder weniger über die Auseinandersetzungen mit dem Vater Bescheid. In ihrer Klasse sei jedoch nur bekannt, dass ihre Eltern geschieden seien. Mehr wolle sie dazu nicht erzählen.

    Auf die Frage, was ihr an ihrer Mutter gefalle, antwortete Maria, dass sie mit ihrer Mutter gut reden könne. Ihre Mutter habe viel Verständnis für sie, gerade was Stress in der Schule angehe. In anderen Familien würden die Eltern so viel Druck machen, dass die Kinder in der Schule immer schlechter werden würden. Ihre Mutter dagegen nehme alles ganz locker. Das finde sie gut. Auf die Frage, was ihr an ihrer Mutter nicht gefalle, meinte Maria, da gebe es nichts. Dazu falle ihr nichts ein. Auf Nachfrage: Streit gebe es kaum. Es habe zwar schon einmal welchen gegeben, aber das liege sehr lange zurück. Der Streit würde höchstens ein, zwei Tage dauern, dann sei es wieder gut. Es gebe manchmal Auseinandersetzungen zwischen ihr und der Mutter über die Aufgaben im Haushalt oder wenn sie "irgendwie Scheiße gebaut" habe. Maria erzählte dazu ein Beispiel: Als ihre Mutter einmal ein paar Tage weg gewesen sei, da habe die Mutter darauf bestanden, dass in dieser Zeit die Kinder niemand in die Wohnung lassen dürften. Von ihr seien dann aber ein paar Freundinnen kurz vorbeigekommen. Das habe Ärger gegeben. Sie und ihre Mutter würden in solchen Situationen dann die Sache ausdiskutieren. Sie sage der Mutter, was sie empfinde. Sie würden sich nicht anschreien. Danach gebe es für ein paar Stunden oder einen Tag eine Ruhepause, einfach Ruhe zum Nachdenken. Irgendwann würde sie dann zur Mutter gehen und zugeben, dass sie einen Fehler gemacht habe. Maria äußerte, wenn sie etwas falsch gemacht habe, würde ihre Mutter sie nicht bestrafen. Die Mutter sage dann lediglich, sie finde das nicht in Ordnung. Sie versuche dann, das einzusehen, was die Mutter meine. Sie sehe es nicht immer gleich ein, widerspreche auch manchmal. Aber nach einer Weile sehe sie es "auf jeden Fall" ein. Geschlagen habe ihre Mutter sie noch nie. Wenn sie etwas besonders gut mache, dann dürfe sie sich ein Lieblingsessen wünschen. Wenn es z.B. Zeugnisse gebe, dann dürften sie und ihre Schwestern sich etwas zum Mittagessen wünschen, was alle mögen würden.

    Maria meinte, es ärgere sie, dass der Vater ihrer Mutter unterstelle, sie sei geisteskrank und verhindere, dass die Kinder ihn sehen wollten. Das stimme einfach nicht. Die Mutter überlasse es ihnen, ob sie den Vater sehen wollten oder nicht. Sie finde, dass die Eltern einen Konflikt miteinander hätten, weil der Vater so gegen die Mutter vorgehe. Sie denke aber, es gebe auch einen Konflikt zwischen dem Vater und ihnen, den Kindern, weil er nicht einsehen wolle, dass es ihre Entscheidung sei, ihn nicht sehen zu wollen. Auf die Frage, ob Maria meine, die Mutter sei traurig, wenn sie Kontakt zum Vater wolle, antwortete Maria: "Mhm, also sie sagt, das ist unsere Sache, das müssen wir selber entscheiden, ob wir ihn sehen wollen oder nicht." Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Mutter sie in der einen oder anderen Richtung beeinflussen würde. Sie und ihre Schwestern würden selbst entscheiden, was sie wollten.

    Zu ihrem Vater berichtete Maria, sie habe ihn im Frühjahr 2000 das letzte Mal gesehen, als er gekommen sei und die Tür kaputt gemacht habe. Sie wisse aber nicht mehr genau, wann das war. Bei seinem zweiten Besuch sei sie nicht da gewesen. Sie habe nicht mit ihm sprechen wollen. Sie und die Mutter hätten von innen gegen die Tür gedrückt, der Vater von außen und als er mit der Faust dagegen geschlagen habe, sei sie schon ein bißchen ängstlich gewesen. Anna und Yvonne hätten die Polizei angerufen. Es habe ihr gut getan, dagegen zu drücken, aber sie habe auch Angst gehabt, dass etwas hätte passieren können. Auf die Frage, was passieren könne, antwortete Maria, das wisse sie nicht. Sie habe einfach die Angst. Als sie den Vater sah, habe sie sofort einen Schreck gekriegt. Sie bekomme immer so ein Gefühl, das durch den ganzen Körper gehe, wenn sie ihn sehe. Es sei kein Zittern oder Kribbeln, sondern eher ein flaues Gefühl im Magen. Das fahre ganz merkwürdig in sie hinein, sie könne es nicht richtig beschreiben. Maria meinte, sie wisse nicht mehr genau, wann sie den Vater davor gesehen habe. Sie glaube, er sei einmal an ihrem Geburtstag gekommen; so weit sie sich erinnere, sei das im Jahr 1999 gewesen. Eventuell sei er auch danach noch einmal gekommen. Dann habe sie ihn vor Gericht gesehen und habe auch ein wenig mit ihm gesprochen. Der Vater habe sie gefragt, ob er ihr das Buch geben dürfe, das er geschrieben habe. Sie habe ihm gesagt, dass sie es nicht wolle. Danach sei sie gegangen. Maria meinte, sie sage dem Vater eigentlich schon, was sie denke. Andererseits habe sie so lange nicht mit ihm geredet, dass sie gar nicht mehr wisse, wie das sei. Sie erinnere sich auch nicht mehr, wie das damals mit Frau Haack gewesen sei. Sie glaube schon, dass sie bei den Kontakten mit dem Vater gesprochen habe. Sie habe ihn ja auch im Februar 1999 zu einer Aufführung von ihrem Schulchor eingeladen. Da habe sie mit ihm geredet. Sie habe sich gefreut, dass er gekommen sei, aber sie habe auch wieder dieses "komische Gefühl" gehabt. Es sei ihr ein bißchen flau im Magen gewesen. Das Gefühl sei zum Teil auch deswegen dagewesen, weil sie ihn lange nicht mehr gesehen habe. Aber es fahre bei jeder Begegnung in sie hinein. Nach dem Urteil des Familiengerichts habe der Vater noch ab und zu angerufen. Es sei aber auch ungewohnt, seine Stimme am Telefon zu hören. Geschrieben hätten sie sich eigentlich nicht. Sie wisse nicht mehr, wie es dann weitergegangen sei. Auf die Frage, wie das für sie war, als der Kontakt aufhörte, gab Maria keine Antwort.

    Maria äußerte, sie könne sich nicht vorstellen, dass sie mit dem Vater Kontakt habe, ohne dass jemand dabei sei. Sie selbst wolle das auf keinen Fall. Sie glaube, dass sie dann ängstlich wäre. Das passiere ihr ja schon, sobald sie den Vater nur sehe. Auf die Frage, was sie vom Vater erlebt habe, das ihr Angst mache, antwortete Maria, das wisse sie nicht. Es sei einfach das Gefühl da. Es sei auch wegen der Entführung und dass der Vater die Tür kaputt gemacht habe. Im Grunde genommen sei ihr der Vater ganz fremd und das mache ihr Angst. Seit der Entführung empfinde sie den Vater als fremd und habe Angst, wenn sie ihn sehe. Auf die Frage, was sie befürchte, wenn sie ihn alleine treffe, antwortete Maria: "Daß er mich mitnimmt, vielleicht". Ansonsten falle ihr nichts dazu ein. Der Vater habe aber nach der Entführung nie versucht, sie mitzunehmen.

    Zu Umgangskontakten mit dem Vater berichtete Maria, sie wolle derzeit überhaupt keinen Kontakt. Sie finde, der Vater solle sie "einfach in Ruhe lassen". Er solle auf keinen Fall unangemeldet zu ihnen kommen. Bisher sei er immer unverhofft erschienen, das finde sie nicht gut. Sie möchte auch nicht, dass der Vater in die Schule gehe oder dort anrufe. Es sei ihr nicht peinlich, wenn der Vater in der Schule erscheine. Sie wolle es einfach nicht. Er habe vor einiger Zeit in der Schule angerufen, um ihre neue Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Die Schule würde dem Vater jedoch keine Auskünfte geben. Da fühle sie sich sicher. Sie denke schon, dass der Vater wisse, wie sie in der Schule stehe, er habe sie nämlich immer danach gefragt, wenn er sie gesehen habe. Sie habe dann immer gesagt, sie sei gut. Es sei aber schon "ewig her", dass er gefragt habe. Mehr wisse sie dazu nicht. Maria äußerte, sie könne sich höchstens einen schriftlichen Kontakt mit dem Vater vorstellen. Sie wolle auch nicht, dass er bei ihnen anrufe. Im übrigen sei sie der Meinung, der Vater habe "es sich zum größten Teil einfach selber eingebrockt", dass sie ihn nicht sehen wolle. Als Grund nannte sie die Entführung und "das ständige Auftauchen". Auf die Frage, was Maria an ihrem Vater gefalle, antwortete sie: "Gefällt? Ich kenne ihn so gut wie gar nicht, würde ich jetzt mal sagen, also, oh Gott. Ich weiß nicht, ich kenne ihn ja nicht, also mir fällt da jetzt so nichts ein." Auf die Frage, was ihr an ihrem Vater nicht gefalle, erwiderte Maria: "Also, seine Art, also das mit den ganzen Sachen halt. Was gefällt mir nicht? Sein Verhalten meine ich damit. Und sonst? Ich kenne ihn dazu sonst zu wenig." Maria erläuterte, dass sie unter Verhalten "das mit dem Auftauchen und so" gemeint habe. Das gefalle ihr nicht. Sie könne sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater sie jemals geschlagen habe.

     

     

    Maria erzählte, sie habe ihrem Vater auch einmal geschrieben oder gesagt, genau wisse sie das nicht mehr, dass sie "auf jeden Fall eine Entschuldigung von ihm" wolle. Der Vater habe ihr dann eine Entschuldigung geschrieben. Sie habe dann auch noch eine mündliche Entschuldigung von ihm haben wollen. Das sei jetzt zwar schon länger her, aber es würde ihr nicht ausreichen. Maria wiederholte mehrfach, "trotzdem reicht das mir irgendwo nicht, nein". Auf die Frage, was ihr denn ausreichen würde, meinte Maria, sie wisse nicht, ob es da etwas gebe.

    Maria wiederholte mehrfach, dass sie derzeit keinen Kontakt mit dem Vater haben wolle. Ihr Vorschlag wäre, "dass einfach ein paar Jahre Pause ist und dass wir uns von alleine melden und sagen, so, jetzt.. ..und so". Sie glaube aber eigentlich nicht, dass ihr Vater sich darauf einlasse. Für sie sei aber nichts anderes möglich. Sie könne sich deshalb nicht vorstellen, dass man eine Regelung finden könne, die beide Seiten akzeptieren könnten. Sie finde die Situation sehr schwierig. Wenn das Gericht einen Umgang anordnen würde, dann fände sie das gar nicht gut, weil sie einfach keinen Kontakt wolle. Genau begründen könne sie das nicht, es sei ein Gefühl, dass sie es nicht wolle. "Irgendwie" sei da auch Angst mit dabei. Maria äußerte, wenn ein Gespräch mit dem Vater dazu beitragen könne, dass es ein Ende gebe, dann wäre sie dazu auch bereit. Sie würde dem Vater schon ihre Meinung direkt sagen können. "Vielleicht hilft das dann was, vielleicht auch nicht." Es sei ihr nicht recht, wenn es so weitergehe, deshalb wolle sie etwas dafür tun, dass es aufhöre.

    Da Frau Alteck in Anwesenheit der Kinder darlegte, dass auch Maria vom Vater sexuell missbraucht worden sei, wurde Maria am 20.09.2000 dazu befragt. Maria hatte im früheren Gespräch nichts davon berichtet. Maria erzählte, dass sie sich an nichts erinnern könne, da sie damals noch so klein gewesen sei. Sie gehe aber davon aus, dass ein Missbrauch stattgefunden habe. Sie denke, wenn der Vater es nicht getan hätte, dann wären bei ihr keine Angstgefühle vor ihm da. Sie glaube, dass es so war. Sie wisse nicht mehr, wann sie zum ersten Mal davon ausgegangen sei, dass sie missbraucht worden sei. Maria fügte hinzu, sie denke, dass zum Teil die Angst vor dem Vater zu der Vorstellung geführt habe. Aber sie habe wirklich "keine Ahnung". Sie könne sich auch nicht mehr an ihre Therapien erinnern. Sie glaube, dass sie dort ab und zu über das Thema geredet hätten. Aber sie wisse nichts mehr davon, nur noch dass sie bei Wendepunkt einmal einen Sprudelkasten hochstemmen mußte, um ihre eigene Stärke zu erfahren.

    Maria sprach ganz leise, die Worte waren fast gehaucht. Sie sprach mit großer Mundtrockenheit. Sie wirkte sehr nervös. Maria sprach in kurzen, z.T. unvollständigen Sätzen. Sie benutzte die Wörter "Missbrauch" bzw. ‚missbrauchen" nie, sondern verwendete "es", "daran", "das", "darüber" u.ä. Ab und zu benannte sie es auch als "Thema". Maria sprach auch nicht davon, dass sie davon überzeugt sei, oder "die Vorstellung habe, daß", sondern sie blieb in ihren Antworten ganz unbestimmt. Sie antwortete oft mit "ich weiß nicht", "ich denke schon", "ich glaube, dass es stimmt". Dabei war ihre Stimme tonlos. Anspannung und Angst waren deutlich spürbar.

     

     

    Maria meinte, sie denke nicht ständig daran, eigentlich denke sie überhaupt nicht daran, nur wenn es gerade um das Thema gehe. Manchmal komme ihr der Gedanke auch mal kurz in den Sinn und dann sei er auch wieder weg. Es gebe kein Gefühl, das den Gedanken begleiten würde. Wenn sie an ihren Vater denke, dann sei da schon manchmal ein Gefühl da. Maria konnte nicht sagen, welches Gefühl. Maria äußerte, sie glaube nicht, dass sie deswegen mehr Probleme habe als andere. Sie müsse sich deswegen nicht anders verhalten oder anders sein als andere. Sie finde, sie sei trotzdem ganz normal. Sie glaube auch nicht, dass ihre Freundinnen es leichter hätten als sie. Sie denke, dass sie damit umgehen könne. Ihrer Meinung nach wirke sich das überhaupt nicht auf die Außenwelt aus. Über den sexuellen Missbrauch habe sie auch mit niemand sonst gesprochen, auch nicht mit ihrer besten Freundin. Sie wolle, dass das in der Familie bleibe. Es würde ihr nicht gefallen, wenn in ihrem Freundeskreis etwas darüber bekannt werden würde. Sie möchte das Thema Missbrauch nicht in Beziehungen hineinbringen. Sie trenne da genau zwischen Freunden und Familie. Wenn ein Freund es erfahren würde, wäre ihr das nicht peinlich, aber sie müßte das Vertrauen haben, dass er es nicht weitererzählt. Maria berichtete, dass sie Freundinnen habe, die in ihrer Familie mit Vater und Mutter zusammenleben. Sie übernachte dort auch. Sie kenne die Väter ihrer Freundinnen und finde sie alle nett. Sie glaube nicht, dass sie sexuelle Übergriffe zu befürchten hätte, wenn sie dort übernachte. Zum einen sei ja noch jemand anwesend, zum anderen glaube sie nicht, dass das jemand tun würde.

    Auf die Frage, ob sie irgendwelche körperlichen Reaktionen oder Auffälligkeiten habe und wenn, ob sie diese mit dem Vater in Verbindung bringe, fiel Maria zunächst Angst ein. Dann meinte sie, wenn es ihr ganz schlecht gehe, dann denke sie über die ganze Geschichte nach mit der Folge, dass es ihr noch schlechter gehe. Alle schwierigen und unangenehmen Dinge würden ihr dann gleichzeitig einfallen, wie jetzt z.B. der Unfalltod einer Freundin, und würden sie belasten. Der Zustand dauere jedoch nicht lange und danach würde es ihr wieder richtig gut gehen. Auf die Frage, ob sie eingenäßt habe, antwortete Maria: "Nee, ich habe immer Daumen gelutscht, aber ich glaube nicht, dass das damit was zu tun hat. Bis zum 1 2. Lebensjahr oder so." Maria meinte dann, sie habe noch Probleme mit dem Hören. Sie glaube jedoch nicht, dass das mit dem Vater etwas zu tun habe. Sie habe das schon als kleines Kind gehabt. Sie habe manchmal Ohrenschmerzen und höre ein bißchen schlecht. Sie bekomme es dann, wenn sie etwas nicht hören wolle, wenn es etwas Schlimmes sei. Nach einem Beispiel gefragt, antwortete Maria: "Wenn es um meinen Vater geht, wenn er mich voll redet, wenn ich halt irgend was nicht hören will, was er sagt, oder ich weiß nicht. Wenn es um Probleme geht, wo ich eigentlich nichts mit zu tun haben will. Aber es fällt mir konkret nichts dazu ein."

    Maria sagte, sie wünsche sich am meisten, dass ihr die Freunde erhalten blieben, dass es mit dem Klagen ein Ende habe und dass "wir fünf als Familie zusammen bleiben". Am meisten denke sie über Freunde und Freundinnen, Schule, Familie und Zukunft nach. Für die Zukunft wünsche sie sich eine gute Arbeit und einen netten Freund.

    Zu den Umzugsplänen erzählte Maria Ende September: "Wir haben gesagt, dass es am besten wäre, dass Anna noch ihren Abschluß da macht, weil sie hat eine ziemlich gute Lehrerin gekriegt." Sie würden jedoch weiter nach einer Wohnung suchen. Das sei ihr recht. Es sei ihr aber auch recht, dass sie jetzt noch blieben, da sie auch ganz gute Lehrer bekommen habe.

    Nach dem Ende der Exploration entschuldigte Maria sich unvermittelt für ihr Verhalten beim letzten Gespräch mit Mutter und Schwestern in Sonstwo. Sie denke sich, dass die Sachverständige sich gewundert habe, dass sie so wenig sagte. Sie sei so erschrocken gewesen darüber, dass es jetzt auch noch um das Sorgerecht gehen würde. Deshalb sei es ihr nicht gut gegangen. Maria wirkte bei dieser Erklärung sehr angespannt und ängstlich. Sie sprach mit ganz schwacher, tonloser Stimme.

     

     

    Verhaltensbeobachtungen:

    Maria antwortete auf Fragen, ob es dies oder jenes gebe, oft mit "weniger". Z.B. auf die Frage, ob sie mit ihrer Mutter manchmal streite, sagte sie "weniger". Dabei ließ sich oft nicht genau eruieren, ob sie damit "nie" oder "selten" oder "manchmal" meinte. Mit "weniger" antwortete sie oft dann, wenn sie durch eine Frage verunsichert wirkte. In ihrem Antwortverhalten zeigte sich Maria häufig ausweichend und unbestimmt. Es war eine große Vorsicht spürbar.

    Maria war vor allem im zweiten Einzelgespräch sehr angespannt. Sie wirkte in allem, was sie sagte, wie gelähmt vor Angst. Sie machte keine lebendigen Äußerungen. Maria erschien wie eine brave Schülerin, die mühsam und ängstlich das herunterleiert, was ihrer Meinung nach verlangt wurde. Selbst die Äußerung, dass es das schlimmste sei, was ihr passieren könne, wenn der Vater das Sorgerecht bekäme, wirkte wenig überzeugend. Die Antworten kamen stereotyp. Inhaltlich wiederholten sie in dürren Worten die von der Mutter vorgebrachten Ansichten. Wenn Maria nach einem konkreten Beispiel gefragt wurde, antwortete sie entweder mit "ich weiß nicht" oder mit "ich kann mich nicht mehr erinnern". Maria wirkte erschreckt, so als ob jede Frage für sie gefährlich wäre.



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    Exploration von Yvonne

    Mit Einverständnis von Yvonne wurden die Gespräche auf Tonband aufgezeichnet.

    Yvonne berichtete, dass sie in die 6. Klasse des Gymnasiums in Bad Krozingen gehe, in die gleiche Schule wie auch Maria. Sie fahre mit dem Bus. Sie gehe gern in die Schule. Am besten gefielen ihr die Fächer Mathematik und Biologie. Sie habe auch gerne Sport und Bildende Kunst. Sie sei eine ganz gute Schülerin. Am meisten Spaß mache ihr der Unterricht bei der Mathematiklehrerin, der Musiklehrerin und dem Biologielehrer. Sie mache eigentlich gerne Hausaufgaben, aber manchmal falle es ihr schwer, sich an den Schreibtisch zu setzen. Im Schnitt brauche sie eine halbe Stunde für die Hausaufgaben. Wenn sie vor ihren Schwestern die Schule aus habe, dann fange sie auch schon mal vor dem Mittagessen mit den Hausaufgaben an, oder spiele mit ihrem kleinen Bruder. Sie sei in der 4. Klasse der Grundschule Klassensprecherin gewesen. In der 5. Klasse auf dem Gymnasium habe sie sich nicht darum beworben, weil es ihr zuviel gewesen sei. Denn auf dem Gymnasium sei es viel zeitaufwendiger, da man oft zu SMV-.Sitzungen gehen müsse. Es habe ihr gefallen, dass sie zur Klassensprecherin gewählt worden sei. Sie glaube, dass sie bei ihren Mitschülern beliebt sei.

    Yvonne erzählte, sie habe in ihrer Klasse zwei Freundinnen und noch welche in Sonstwo. Sie würden oft "Quatsch" miteinander machen. Am liebsten spiele sie mit ihren Freundinnen im Freien Ball. Sie habe auch einmal kurz Fußball gespielt. Ihr Freundinnen kämen meistens zu ihr nach Hause. Manchmal besuche sie auch die Freundinnen. Sie würden auch oft zusammen in einem Garten in der Nähe spielen, in dem sie Pflanzen gesetzt hätten. Sie hätten dort auch eine Hütte gebaut. Diese sei vom Bruder ihrer Freundin und einem anderen Jungen kaputt gemacht worden. Da seien sie traurig gewesen, weil es in der Hütte sehr gemütlich gewesen sei. Sie und ihre Freundinnen würden selten streiten. Wenn es einen Konflikt gebe, dann würden sie darüber reden, manchmal auch Briefe schreiben. Streit gebe es vielleicht dann, wenn eine immer recht haben wolle und die andere sich dann zurückgesetzt fühle. Seit über einem Jahr spiele sie Klarinette, aber sie übe nicht so gerne. Das Instrument habe sie sich ausgesucht. Ansonsten reite sie noch gerne mit dem Pflegepony. Sie koche auch ganz gerne, am liebsten Kartoffelsuppe. Manchmal koche sie für ihre Geschwister und die Mutter Suppe. Normalerweise koche ihre Mutter das Essen, die Schwestern nur sehr selten.

    Mit ihren Schwestern verstehe sie sich gut, meinte Yvonne. Mit Maria spiele sie noch manchmal, mit Anna jedoch nicht mehr. Mit Maria könne sie auch über alles reden. Sie erzähle ihr oft, was sie bewege und in ihr vorgehe. Sie finde es eigentlich auch ganz schön, dass sie mit Maria das Zimmer teile, weil sie dann abends immer noch miteinander reden könnten. Sie habe das Zusammensein noch ganz gern. Ein eigenes Zimmer hätte den Vorteil, dass sie sich auch mal zurückziehen könne. Die Maria schimpfe ab und zu mit ihr, weil sie das Zimmer nicht aufräume. Sie schimpfe nie mit Maria, da es nichts gebe, was sie an Maria störe. Auch ihre große Schwester Anna möge sie sehr. Anna sei meistens für sie da. Mit Anna könne sie ebenfalls gut reden. Es gebe weder bei Anna noch bei Maria etwas, das ihr nicht gefalle. Sie spiele auch gerne mit ihrem kleinen Bruder Joscha. Mit Joscha schimpfe sie schon manchmal.

    Über ihre Gefühle berichtete Yvonne, sie freue sich z.B. auf Ferien, oder wenn sie mit einer Freundin zu einer schönen Unternehmung verabredet sei. Sie freue sich auch, wenn sie keine Hausaufgaben bekommen habe oder wenn sie etwas geschenkt bekomme. Traurig sei sie auch manchmal; z.B. wenn sie eine schlechte Note habe oder wenn sie jemand etwas schenke und derjenige sich nicht richtig freue. Angst habe sie ab und zu, aber das sei früher schlimmer gewesen. Sie habe früher nachts im Bett Angst vor Gespenstern gehabt. Das sei verschwunden, seit sie ein Schuljahr wiederholt habe und eine nette Lehrerin bekommen habe. Davor habe sie einen Lehrer gehabt, der habe oft geschimpft und sei ungerecht zu Schülerinnen gewesen, auch zu ihr und ihrer Freundin. Der Lehrer habe vom Aussehen und "von der Ausstrahlung" Ähnlichkeit mit ihrem Vater gehabt. Sie könne sich aber nicht erinnern, ob der Vater früher mit ihr geschimpft habe. Wenn sie sich nicht wohlfühle, dann gehe sie meistens zu ihrer Mutter. Sie rede mit der Mutter über ihre Probleme und Sorgen. Wenn sie krank sei, z.B. eine Erkältung oder Kopfweh habe, dann lege sie sich in ihr Bett und die Mutter setze sich zu ihr und streichle sie. Sie sei aber nicht oft krank; Kopfweh habe sie vielleicht einmal in 3 oder 4 Wochen. Sie habe noch Schuppenflechte, die ganz fürchterlich jucke. Seit einem Jahr sei es etwas besser geworden. Yvonne meinte, sie könne auch wütend werden. Dann schimpfe sie oder ziehe sich zurück, damit sie ihre Ruhe habe. Das sei ganz unterschiedlich. Herumschreien würde sie nicht, aber sie könne schon laut werden oder auf ein Kissen hauen.

    Auf die Frage, was ihr an ihrer Mutter gefalle, antwortete Yvonne, dass die Mutter nicht so streng sei wie andere Mütter. Ihre Mutter wolle, dass sie selbständig werde, deshalb würde sie keinen Druck beim Lernen machen. Bei der Mutter sei es ganz locker. Yvonne meinte, es gebe nichts, was ihr an ihrer Mutter nicht gefalle. Ihre Freundinnen würden sie immer wegen ihrer Mutter beneiden.

    Yvonne erzählte, sie habe ihren Vater das letzte Mal gesehen, als die Freundin ihrer Mutter zu Besuch war. Sie wisse aber nicht mehr, wann das war. Sie sei mit ihren beiden Schwestern alleine zu Hause gewesen, weil die Mutter und deren Freundin Videos für die Kinder holen ging. Die Klingel sei kaputt gewesen. Als die Mutter zurückgekommen sei, sei der Vater vor der Tür gestanden. Da habe sie "erst mal einen Schreck gekriegt". Sie bekomme immer einen Schreck, wenn sie den Vater sehe. Sie wisse eigentlich nicht, was er ihr tun könnte. Yvonne sagte: "Es ist halt auch, was da hoch kommt, so Erinnerungen manchmal oder so. Auch von meiner Schwester, dem sexuellen Missbrauch von Anna." Sie selbst könne sich daran erinnern, dass sie und ihre Schwestern abends oft alleine mit dem Vater zu Hause gewesen seien und da habe er sich manchmal mit Anna in das Badezimmer eingeschlossen. Wenn sie den Vater jetzt sehe, befürchte sie, dass er sie wieder entführen könnte oder dass er der Mutter etwas antun könnte. Yvonne berichtete, sie habe den Vater bei dem Besuch nur gesehen und gehört. Sie habe nicht mit ihm gesprochen. So weit sie sich erinnern könne, habe der Vater vor der Tür gesagt, er wolle mit ihr und ihren Schwestern sprechen. Sie habe aber nichts gesagt. Hinterher habe sie sich ein bißchen über ihr Schweigen geärgert. Sie hätte sagen sollen, der Vater solle den Mund halten. Beim vorletzten Besuch sei sie im Garten gewesen und habe gehört, wie der Vater mit der Mutter geschimpft habe. Da habe sie ein bißchen gezittert. Mit den Kindern habe er nicht geschimpft.

     

     

    Yvonne erzählte, sie habe dem Vater nie geschrieben. Er habe ihr aber zum Gebürtstag eine Karte geschickt. Sie habe sich schon ein bißchen darüber gefreut. Gleichzeitig habe sie aber auch das Gefühl gehabt, der Vater wolle "sich einschmeicheln", weil er geschrieben habe, wenn sie sich etwas wünsche, solle sie es ihm schreiben. Sie habe aber keinen Brief zurückgeschickt. Auf die Frage, was sie für ein Gefühl habe, wenn sie einen Brief vom Vater bekomme, antwortete Yvonne, sie sei "eher sauer", weil er doch wisse, dass sie ihn nicht sehen wollten. Der Vater würde immer davon ausgehen, dass sie ihn noch lieb hätten und unbedingt zu ihm wollten. Das sei aber gar nicht so.

    Zu den betreuten Kontakten mit Frau Haack äußerte Yvonne: "Eigentlich war es ja ganz schön. Es war irgendwie ein bißchen fröhlich, weil ich kannte das nicht, wenn man einen Vater hat und so. Aber andererseits auch schon irgendwie, wenn ich ihn halt gesehen habe und so, das war schon nicht so schön." Sie habe sich "nicht sehr wohl gefühlt". Yvonne erinnerte sich noch daran, dass sie den Vater am Waldsee getroffen habe, dass sie Schlittschuh liefen und Boot fuhren. Manchmal seien sie am Waldsee geblieben und hätten ein Eis gegessen.

    Yvonne erklärte, sie wolle ihren Vater "überhaupt nicht mehr sehen, auch nicht wenn jemand dabei ist". Das sei ihre eigene Meinung. Sie habe sich in der letzten Zeit eben verändert. Früher habe sie der Maria viel nachgemacht. Sie sei zu dieser Entscheidung gekommen, weil sie es nicht in Ordnung finde, dass der Vater ein paar Mal bei ihnen plötzlich vorbeigekommen sei. Als weiteren Grund für ihre Ablehnung nannte Yvonne: "das, was er uns damals angetan hat". Auf Nachfragen: "Als wir noch mit ihm zusammengelebt haben und so. Und meiner Schwester auch und so." Yvonne führte aus, dass Anna erzählt habe, dass der Vater sie sexuell missbraucht habe. Sie hätten zwar nicht oft darüber gesprochen, aber sie wisse Bescheid. Sie habe eigentlich keine Angst, dass der Vater ihr etwas tun könnte, wenn sie sich sehen. Sie würde ihn deswegen nicht mehr mögen, weil das "früher passiert ist und so". Sie wisse, dass auch Anna und Maria auf keinen Fall mehr Kontakt mit dem Vater haben wollten. Yvonne bekräftigte, dass sie den Vater "eigentlich dann noch mein ganzes Leben" nicht mehr sehen wolle. Er habe "den Mist gebaut" und sie und ihre Schwestern und vor allem ihre Mutter würden das schon die ganzen Jahre "ausbaden". Yvonne wiederholte mehrfach, dass sie auf gar keinen Fall Umgang mit dem Vater haben wolle, auch nicht betreut.

    Um dem Vater ihre Meinung zu sagen, sei sie zu einem Gespräch bereit, meinte Yvonne. Sie glaube zwar, dass er ihre Einstellung kenne. Sie habe sie ihm jedoch nie direkt gesagt. Vielleicht werde es ihren Vater "weiter bringen". Sie meine damit, dass er "zur Vernunft" komme und aufhöre zu klagen. Yvonne erklärte, sie könne sich nicht vorstellen, dass die Mutter von ihr und den Schwestern verlangen würde, sie sollten den Vater sehen. Auch nicht, wenn das Gericht so entscheiden würde. Die Mutter würde ihnen immer sagen, sie müßten den Vater nicht sehen, sie könnten das selbst entscheiden. Sie denke, dass die Mutter traurig wäre, wenn sie und die Schwestern zum Vater gehen würden, weil sie die ganzen Jahre so gekämpft habe. Deswegen würden sie immer nein sagen. Auf den Vorschlag, was sie sich wünschen würde, wenn sie drei Wünsche frei hätte, sagte Yvonne: " Also erstens, dass er uns in Ruhe läßt, dann vielleicht, dass wir umziehen, also in eine größere Wohnung, also meine Mutter will auch mit ihrer Freundin zusammenziehen und das kann ich mir auch vorstellen und das dritte, dass es nur nette Lehrer gibt." In bezug auf den Vater wünsche sie sich, dass er sein Leben führe und sie — ihre Mutter und Geschwister — könnten ihr Leben führen, so wie sie es wollten.

    Im zweiten Gespräch äußerte Yvonne, dass sie davon überzeugt sei, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Sie könne sich an nichts erinnern, aber sie schließe das aus ihrer Angst. Es sei keine "gewöhnliche Angst", sondern eine "komische" (im Sinne von merkwürdig) . Yvonne konnte die Angst jedoch nicht näher beschreiben. Weil sie diese "komische Angst" immer bekomme, wenn sie den Vater sehe, sei sie ganz sicher, dass er sie missbraucht habe. Sie habe in der Therapie auch oft Bilder gemalt, die ihre Mutter zum Gericht geschickt habe. Die Bilder seien aber alle verschwunden, habe ihre Mutter erzählt. An die Therapie könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass sie mit Maria in Freiburg gewesen sei. Yvonne meinte, ihre beiden Schwestern hätten dem Vater gegenüber das gleiche Gefühl wie sie. Das spreche auch dafür, dass der Vater alle drei missbraucht habe. Es sei nämlich ein "altes Gefühl", das beim Anblick des Vaters eptstehe. Dieses Gefühl lähme sie. Sie sitze dann da und könne erst einmal gar nichts tun, wenn das Gefühl komme. Wenn sie an sexuellen Missbrauch denke, dann würde sie sich Hilflosigkeit vorstellen. Etwas Anderes falle ihr dazu nicht ein. Sie habe keine Vorstellung, was der Vater mit ihr gemacht haben könnte.

    Yvonne berichtete, dass sie mit niemand außerhalb der Familie über den möglichen sexuellen Missbrauch gesprochen habe. Ihre Freundinnen wüßten, dass die Eltern geschieden seien und dass sie immer wieder mit dem Gericht zu tun hätten. In der Familie würden sie darüber reden, bevor irgendein Termin anstehe. Sie glaube nicht, dass der sexuelle Missbrauch irgendwelche Auswirkungen in ihrem jetzigen oder späteren Leben habe. Die einzigen Auswirkungen seien die gerichtlichen Auseinandersetzungen, von denen sie auch betroffen sei. Das sei für sie das Schwierige, dass sie sich in dieser Form immer wieder damit beschäftigen müsse. Yvonne sagte: "Ich denke mal, dass uns halt niemand glaubt, das ist eher die Auswirkung." Dabei habe Anna doch so oft schon ausgesagt und sogar eine Anzeige gemacht. Trotzdem gehe es immer weiter.

    Zum Einnässen erzählte Yvonne, dass es immer mal wieder vorkomme. Es habe nie längere Zeiten gegeben, in denen es nicht mehr aufgetreten sei. Es passiere nachts. Sie könne aber nicht sagen, was der Auslöser sei. Einkoten würde sie nicht.

    Yvonne berichtete, dass sie Freundinnen habe, die aus vollständigen Familien kommen. Sie habe dort auch ein paarmal übernachtet. Bei ihrer jetzigen Freundin hätten sich die Eltern auch getrennt und der Vater sei dann gestorben. Sie habe ihn vom Sehen gekannt. Eine Familie mit Vater zu erleben, sei für sie zum einen ganz "normal" gewesen. Andererseits kenne sie es auch nicht. Sie vermisse eigentlich nichts. Denn wenn sie einen Vater hätte, würde er "immer nur rumbrüllen". Das habe auch Herr Riess gemacht. Sie erinnere sich an eine Situation, wo sie den Teller nicht leer gegessen habe und Herr Riess habe dann gesagt, sie solle alles aufessen. Yvonne meinte, mit Herrn Riess sei es am Anfang schon ganz schön gewesen, weil er den Kindern immer etwas mitgebracht habe. Aber sie habe ihn nach der Trennung von der Mutter nicht vermißt. Im Grunde erinnere sie sich an die Zeit mit Herrn Riess nicht mehr. Sie habe ihn ungefähr dreimal nach der Trennung noch besucht. Angst habe sie keine vor ihm gehabt. Sie habe ihm gegenüber ein ähnliches Gefühl gehabt wie bei ihrem Vater. Yvonne konnte nicht beschreiben, was das für ein Gefühl sei. Sie hatte große Mühe zu sprechen, nuschelte fast tonlos und rang sichtlich mit Worten.

    Angesprochen auf die Umzugspläne antwortete Yvonne mit kaum hörbarer Stimme und undeutlicher Artikulation, sie würde sich schon freuen, wenn sie umziehen würden. Es sei aber verschoben worden. Yvonne sagte: "Die Anna will ja noch den Abschluß machen. Dann kommt Joscha auch in die Schule. Also ich würde da jederzeit mitziehen, ich würde mich jederzeit freuen. Also die Anna hat auch gesagt, wenn wir etwas ganz Schönes finden, dann ziehen wir um." Yvonne meinte, sie würde ihre Freundinnen schon vermissen. Wenn sie nach Kirchzarten ziehen würden, könne sie sie ja noch besuchen.

    Ein freudiger Ausdruck konnte über die Umzugspläne nicht festgestellt werden. Yvonne wirkte im Gegenteil voller Angst. Die Aussage, dass sie sich freue, stand im direkten Gegensatz zu Mimik und Gestik, zum gesamten Verhalten.

    Zum Sorgerecht meinte Yvonne, es sei das schlimmste, was ihr passieren könnte, wenn sie zum Vater müßte. Sie würde sich weigern, zu ihm zu ziehen. Sie wünsche sich, dass die gerichtlichen Auseinandersetzungen endlich aufhörten.

     

     

    Verhaltensbeobachtungen:

    Yvonne war bei dem Gespräch sehr aufgeregt und angespannt. Die Angst war so groß, dass sie am Anfang nur mit Mühe sprechen konnte. Yvonne sprach mit ganz leiser Stimme, manchmal flüsterte sie nur noch. Einige Äußerungen waren nicht auf Anhieb akustisch verständlich. Wenn Yvonne von ihrem Vater sprach, nannte sie ihn "Thomas". Sie bezeichnete ihn nie als Papa oder Vater. Yvonne saß kerzengerade und steif auf dem Stuhl. Yvonne blieb während des ganzen Gesprächs in der Angst und Anspannung. Beim zweiten Gespräch am20. September 2000 zeigte Yvonne ebenfalls große Angst. Ihre Sprechweise unterschied sich nicht vom ersten Gespräch:

    ihre Stimme versagte manchmal regelrecht und sie war so angespannt, dass sie kaum artikulieren konnte. Es war jedoch auffällig, dass Yvonne bei Themen, die nicht die familiäre Problematik betrafen, wie z.B. die Schule, mit deutlicher Stimme sprechen konnte. Angesprochen auf ihre Angst, meinte Yvonne, dass es für sie schwierig sei, dass ein Gutachten erstellt werde. Das bringe sie in Druck.



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    Interaktion Mutter - Kinder

    Gespräche mit Mutter und Kindern, Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen

    Mit Einverständnis von Frau Alteck, Anna,, Maria und Yvonne wurden die Gespräche auf Tonband aufgenommen.

    Der erste Kontakt mit den Kindern fand in der Wohnung in Sonstwo statt. Es gab zunächst eine kurze gemeinsame Runde mit Mutter und Kinder, in der das Vorgehen und die Fragestellung besprochen wurden. Die Begrüßung war von den drei Mädchen freundlich und in gewisser Weise auch neugierig. Das erste Gespräch mit den Kindern fand im Zimmer des jeweiligen Kindes statt. Die Familie wohnt in einer 4Y2- Zimmer-Wohnung, das halbe Zimmer besteht aus der Eßecke, da die Küche recht klein ist. Frau Alteck schläft im Wohnzimmer, Maria und Yvonne teilen sich ein Zimmer, Anna und Joscha haben jeweils ein eigenes Zimmer. Maria meldete sich als erste zum Gespräch, dann kam Yvonne und Anna zum Schluß. Diese Reihenfolge wurde auch bei der zweiten Exploration eingehalten. Frau Alteck war in der Wohnung, als die Gespräche mit den Kindern geführt wurden. Joscha konnte begrüßt und kurz kennengelernt werden.

    Am darauffolgenden Tag brachte Frau Alteck die Mädchen in die Praxis der Sachverständigen. Es sollte der Problemfragebogen PF 11-14 ausgefüllt werden. Es war besprochen, dass Frau Alteck die Kinder vorbei bringe und dann mit Joscha in der Stunde etwas unternehme. Frau Alteck entschied beim Eintreffen, dass sie lieber im Nebenraum warten wolle. Sie interessierte sich für den Fragebogen PF 11-14 und erhielt ein Exemplar zur Ansicht. Frau Alteck wartete zusammen mit Joscha bis Anna, Maria und Yvonne fertig waren. Es herrschte eine gute und lustige Stimmung. Anschließend wurde der Termin für das Gespräch der Kinder mit dem Vater besprochen. Frau Alteck wollte sich bei mir melden, wenn die Familie aus der Kur zurück sei.

    Als Mutter und Kinder aus der Mutter-Kind-Kur in den Sommerferien vom Titisee zurückkamen, rief mich Frau Alteck Ende August vereinbarungsgemäß an. Es war besprochen worden, dass wir einen Gesprächstermin zusammen mit allen drei Kindern vor dem Gespräch der Kinder mit dem Vater durchführen würden. Frau Alteck berichtete, der Kuraufenthalt sei sehr schön gewesen, vor allen Dingen für die Kinder, die dort neue Freunde kennengelernt hätten und diese auch besuchen wollten. Es habe sich in der Kur sehr viel verändert, die ganze Familie habe sich nach der Rückkehr in die Wohnung unwohl gefühlt. Deswegen habe der "Familienrat" getagt und sie und die Töchter hätten beschlossen, nicht nur aus der Wohnung auszuziehen, sondern von der Gegend wegzuziehen. Es sei so schön gewesen im Schwarzwald, dass sie sich jetzt irgendwo auf der Höhe etwas suchen wollten. Hinzugekommen sei, dass sie eine Woche nach der Rückkehr ein Schreiben vom Sozialamt erhalten habe mit der Aufforderung, sich bis November eine günstigere Wohnung zu suchen oder zumindest nachzuweisen, dass sie eine günstigere suche. Das Sozialamt bezahle nur einen Mietanteil von DM 1050.-, die jetzige 4-Zimmerwohnung koste jedoch DM 1 300.- und sie könne in ihrer finanziellen Situation nichts dazu bezahlen. Aber wirklich ausschlaggebend sei, dass die Kinder unbedingt wegziehen wollten. Sie habe sich auch schon einige Wohnungen, eine im Schuttertal, angeschaut. Frau Alteck teilte weiter mit, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Herrn Alteck, das aufgrund Annas Anzeige eingeleitet wurde, eingestellt habe. Sie selbst habe vom Weissen Ring die Mitteilung bekommen, dass er sich nicht mehr für sie zuständig fühle. Daraufhin habe sie "beschlossen, nicht mehr Opfer zu sein". Sie wolle jetzt mit den Kindern einen Neuanfang machen. Sie sehe es auch positiv, dass sie durch die Auseinandersetzungen mit Herrn Alteck immer wieder gezwungen sei, ihr Leben neu zu gestalten.

    Eine Woche später, am 07.09.00, fand das Gespräch mit Mutter und Kindern statt. Frau Alteck hatte den Eßtisch festlich gedeckt, Kerzen angezündet und Kuchen und Getränke bereitgestellt. Sie sagte, sie wolle die unangenehme Situation den Kindern so angenehm wie möglich machen. Anna, Maria und Yvonne saßen schon am Tisch, ihre Stimmung war angespannt und bedrückt. Es herrschte eine Atmosphäre ängstlicher Erwartung, die Kinder waren ungewöhnlich ruhig und zurückhaltend. Bei früheren Gelegenheiten waren sie fröhlich und ausgelassen, lachten ab und zu und waren zumindest bei der Begrüßung freundlich und offen, sogar ein bißchen neugierig und sobald das eigentliche Gespräch beendet war, kehrten sie zu einem entspannten und lockeren Verhalten zurück. Diesmal blieben die angespannte und angstvolle Stimmung, das lähmende Schweigen und das Vermeiden von Blickkontakten während des ganzen Gesprächs vorhanden. Sie lösten sich auch nach Beendigung des Gesprächs nicht auf, jedenfalls nicht in Anwesenheit der Sachverständigen. Anna wirkte weniger bedrückt als ihre beiden Schwestern, sie beteiligte sich auch als einzige unaufgefordert an dem Gespräch. Frau Alteck bestritt den größten Teil des Gesprächs, unterstützt von Anna. Zeitweise verlief es auch in einem Dialog zwischen Mutter und Anna.

    Die Sachverständige informierte die Familie über den erweiterten Gutachtenauftrag, der den Beteiligten noch nicht bekannt war.

    Da in den Einzelgesprächen Anna, Maria und Yvonne zwar davon gesprochen hatten, dass sie eine größere Wohnung suchen würden, jedoch unbedingt in der Umgebung bleiben wollten, galt die erste Frage dem plötzlichen Meinungswandel. Frau Alteck sagte, sie sei darüber auch überrascht gewesen. Maria und Yvonne lachten verlegen, gaben aber keine Antwort. Frau Alteck meinte, es habe nicht einmal kontroverse Diskussionen gegeben, der Wunsch wegzuziehen, sei einhellig gefaßt worden, das finde sie auch "erstaunlich". Maria warf dann lediglich leise ein: "Ein eigenes Zimmer". Auf die Frage, ob das eigene Zimmer für sie im Vordergrund gestanden habe, lächelte sie schüchtern, zuckte mit den Schultern, sah vor sich hin, gab keine Antwort. Als ich Yvonne nach ihrem Grund fragte, lächelte sie ängstlich und antwortete mit ganz leiser, dünner Stimme, fast gehaucht:

    "Ich weiß nicht genau, einfach mal was Neues sehen". Anna fing an zu lachen und sagte bestimmt, sie wolle umziehen, weil sie mit "bestimmten Leuten zusammenkommen" wolle. Frau Alteck erklärte dann ausführlich, wie groß der Druck des Sozialamts sei. Das sei nun schon die zweite Aufforderung, sie habe beim ersten Mal durchgesetzt, dass sie wohnen bleiben durften, weil die Kinder "so viel mitgemacht" hätten und die Kinder unbedingt bleiben wollten. Sie selbst sei nicht unbedingt glücklich in dem Dorf, gerade was die Kontakte anbetreffe; sie würde gerne irgendwo anders hingehen. Entscheidend sei aber die Kur gewesen. Dann forderte sie die Kinder auf, endlich etwas dazu zu sagen, immer müsse sie reden. Die Mädchen lächelten nervös, sagten aber nichts. Die Mutter forderte sie auf, Kuchen zu essen und "ihr dürft gern auch was sagen". Es herrschte weiter betretenes Schweigen. Maria steckte andauernd den Finger in das heiße Wachs der Kerze, zog ihn zurück, ließ das Wachs trocknen und pellte es vom Finger. Das behielt sie fast während des ganzen Gesprächs bei. Sie betrachtete angestrengt den Finger, reagierte nicht auf die Aufforderung der Mutter, aß jedoch ab und zu Kuchen. Yvonne schaute ängstlich geradeaus, (sie saß neben der Mutter, gegenüber von Anna), saß steif und kerzengerade da und aß langsam Kuchen. Frau Alteck schlug vor, dass sie eine halbe Stunde einen Spaziergang mache, vielleicht würden sie dann in ihrer Abwesenheit eher was sagen. Die Kinder reagierten nicht darauf. Sie wirkten wie gelähmt. Es gab eine lange, spannungsgeladene Pause. Frau Alteck machte einen weiteren Versuch, die Kinder sollten sich doch mal daran erinnern, wie das für sie gewesen sei, als sie aus der Kur zurückkamen. Maria nuschelte dann verlegen lächelnd, es sei schlimm gewesen, wieder zurückzusein. Anna platzte mit lauter und fester Stimme heraus, das sei immer so, wenn man in Urlaub gewesen sei und zurückkomme. Es entwickelte sich nun ein Dialog zwischen Mutter und Anna, in dem Anna eine lebhafte und aktive Rolle einnahm. Maria und Yvonne behielten ihr bisheriges Verhalten bei. Die Mutter meinte, es sei wohl in der Regel so, dass man sowohl den Urlaub als auch das Zuhause schön fände. Anna antwortete, es gefalle ihr zu Hause ja auch noch. Frau Alteck reagierte sehr erstaunt, das habe Anna vor kurzem aber noch ganz anders dargestellt, da habe sie nur noch weg gewollt. Anna meinte, es gebe immer mal so "dumme Phasen". Darauf gab es wieder ein langes Schweigen. Als Frau Alteck versuchte die Kinder zu provozieren, sie müßten ja nicht wegziehen, es gebe hier auch eine 4-Zimmerwohnung für 800.- DM, gab es von den Mädchen einen kurzen Protest, weil keine mit Joscha das Zimmer teilen wollte und Maria auch nicht mehr mit Yvonne. Anna stellte dann für alle klar, dass sie wirklich umziehen wollten, nicht zu weit weg, aber auch nicht zu nahe. Sie habe einen großen Freundeskreis und den wolle sie nicht verlieren, schon gar nicht ihre beste Freundin, die sie ein Leben lang behalten werde. Sie müsse die Möglichkeit haben, die Freunde öfter zu besuchen. Frau Alteck meinte, wenn es mit der 5-Zimmerwohnung in Schweighausen klappen würde, dann würden sie noch in den Herbstferien umziehen, es sei aber noch offen, denn das Haus werde verkauft. Ansonsten würden sie bis zu den nächsten Sommerferien warten, da Anna nach Weihnachten Prüfungen habe und die Belastungen durch einen Umzug dann zu groß für sie seien. Es sei denn, es gebe eine so schöne Wohnung, dass Anna sich dafür entscheiden würde, die Klasse zu wiederholen und zuerst den Umzug zu machen. Sie wollten unbedingt in den Schwarzwald ziehen, da bestehe allerdings das Problem, dass bezahlbare Wohnungen sehr abgelegen seien. Als ich Maria ansprach, wie sie das finde, lachte sie zuerst verlegen. Dann sprach sie mit dünner Stimme, schleppend: "Ich habe hier ja auch meine Freunde und so, aber irgendwie ist es auch spannend, mal was neues und so". Darauf folgte wieder ein längeres Schweigen und Slaan fügte ein leises, gehauchtes "ja" hinzu. Auf die Frage, wie sie von einem abgelegenen Bauernhof im Schwarzwald Freunde besuchen würden oder abends weggehen würden, meinte Maria, mit dem Mofa. Sie hätte zwar noch keines, aber wenn sie etwas Abgelegenes finden würden, dann bekäme sie ein Mofa und dann könnte sie ins Dorf fahren und von dort mit dem Bus weiter. Anna stellte sich vor, den Rollerführerschein zu machen. Frau Alteck erzählte, sie habe einen alten Roller, der noch ziemlich viel wert sei und den würde sie gegen ein altes Auto tauschen. Dann könne sie auch den Fahrdienst übernehmen und die Kinder hätten dann vorgeschlagen, noch ein Mofa anzuschaffen, damit sie flexibler seien. Wenn sie nachmittags etwas unternehmen wollten, könnten sie mit dem Mofa "runterfahren" oder Freunde "hochholen". Sie "staune da auch", dass die Kinder von einer abgelegenen Wohnung so begeistert seien. Sie hätte das nie gedacht, dass die Kinder sie regelrecht dazu drängen würden. Frau Alteck wiederholte noch einmal ihre Ansicht, dass Wohnungen, die verkehrstechnisch gut zu erreichen seien und auch noch schön liegen würden, einfach zu teuer seien. Sie habe die Kinder immer wieder gefragt, ob sie sich über die Konsequenzen im Klaren seien, weil es dann keine Freundin nebenan gebe und sie wieder ganz neu in eine Klasse kämen, aber die Antwort sei jedesmal, sie wollten es unbedingt. Anna stimmte der Mutter zu und meinte, sie seien ja alle nicht schüchtern und würden schnell neue Leute kennenlernen. Auf die Frage, ob Frau Alteck nicht auch in Sonstwo und Umgebung noch nach einer größeren Wohnung suche, antwortete Frau Alteck, dass sie selbst gerne wegziehen möchte.

    Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging es darum, ob und wie sich Anna, Maria, Yvonne und die Mutter Umgangskontakte mit dem Vater vorstellen können, welche Einstellungen sie zum Vater haben, ob es Erwartungen und Vorschläge für das Gespräch mit dem Vater gibt und über den organisatorischen Ablauf des Gesprächs.

     

     

    Frau Alteck war nicht damit einverstanden, dass die Kinder ohne die Mutter zum Gespräch mit dem Vater zur Sachverständigen kommen sollten. Da Anna, Maria und Yvonne eine Regiokarte hatten, die Mutter jedoch kein Auto, war erwartet worden, dass sie mit dem Zug kommen würden. Frau Alteck war entsetzt, dass sie nicht dabei sein sollte. Sie bestand zusammen mit Anna darauf, dass sie während des Gesprächs in der Nähe sein solle, zwar nicht im gleichen Raum, sondern in einem anderen Zimmer nebenan. Maria und Yvonne äußerten sich dazu nicht. Trotz ausführlicher Begründung der Sachverständigen behauptete Frau Alteck, dies gehe sicher auf den Wunsch von Herrn Alteck zurück. Sie kenne ihn, er lasse sich auf nichts anderes ein, er gebe die Bedingungen vor. Anna ärgerte sich darüber, dass man ihr und den Schwestern immer unterstellen würde, sie würden in Anwesenheit der Mutter nicht ihre eigene Meinung sagen. Frau Alteck führte weiter aus, sie könne "die Kinder" verstehen (Maria und Yvonne hatten nichts gesagt). Sie wisse, was Anna meine. Anna erlebe immer wieder, dass der Mutter unterstellt werde, sie beeinflusse die Kinder. Dabei fühle Anna sich durch ihre Anwesenheit einfach beschützt. Wenn dann die Forderung erhoben werde, die Mutter dürfe nicht dabei sein, dann empfinde Anna das so, als setze sich der Vater wieder durch.

    Anna wollte bei der Begegnung mit dem Vater unbedingt ein Pfefferspray in der Tasche haben. Als die Sachverständige das ablehnte, wurde Anna sehr ungehalten. Sie berief sich auf ihr Sicherheitsbedürfnis. Sie wolle nicht Angst haben müssen, weil sie nicht wisse, "was in den nächsten paar Minuten passieren" könne. Es sei "selbstverständlich", dass sie Angst vor dem Vater habe, nachdem was "wir durchgemacht haben" in den letzten zehn Jahren.

    Niemand würde ihr glauben, alle würden ihren Vater unterschätzen, aber sie kenne ihn. "Alle" würden behaupten, es könne nichts passieren, aber sie habe in den vergangenen zehn Jahren gelernt, dass man vorsichtig sein müsse. Bei ihrem Vater müsse man "sich einfach auf alles gefaßt machen". Anna konnte nicht sagen, was sie konkret befürchtete. Sie bekräftigte ihre Ansicht mit den stereotypen Wiederholungen "das ist einfach so" und "ich kenne meinen Vater".

    Frau Alteck meinte, sie verstehe das "Sicherheitsbedürfnis" von Anna. Nachdem Anna sie jetzt mehrfach hilfesuchend angesehen habe, wolle sie dazu einiges ausführen. Anna habe einfach immer erlebt, dass man ihr nicht glaube. Sie habe soviel Mut aufgebracht, "bei der Kripo und überall" ganz detailliert zu erzählen, was passiert sei. Aber die Leute reagierten skeptisch, es komme noch nicht einmal zu einer Anzeige. Stattdessen stehe nach ihrer Aussage schon wieder das Sorge- und Umgangsrecht zur Diskussion. Sie habe sogar bei Frau Richterin Merk den Mut gehabt, zweimal auszusagen und sei von ihr "niedergeschrien" worden, bis sie geweint habe. Dabei sei Frau Richterin Merk selbst Missbrauchsopfer. Anna habe ihre Erfahrungen gemacht, dass sie gegen eine Mauer laufe, dass sie sagen könne, was sie will, die Macht werde dem Vater zugesprochen. Anna spüre dadurch "die Macht, die der Vater über die Institutionen hat". Das sei für Anna sehr schwer und sie fühle sich ganz und gar ungerecht behandelt. Sie, die Mutter, verstehe das, denn sie wisse, welch heikles Thema sexueller Missbrauch in dieser Gesellschaft sei. Es stehe Aussage gegen Aussage, auf der einen Seite das Kind und auf der anderen Seite "der charmante Mann, der gut reden kann und sich gut verkaufen kann". Dem seien die Kinder nicht gewachsen und das spüre Anna. Einerseits sei Anna ganz stark und locker und lebe ihr Leben, andererseits sei sie tief in ihrem Innern traurig und hilflos, da sie keine Unterstützung bekomme. Sie sei dem Vater vielleicht am Telefon gewachsen, aber nicht in einer wirklichen Begegnung. Anna sei Klassensprecherin; sie könne sich nach außen angstfrei darstellen, aber im Grunde sei sie verletzt und schwach. Anna sehe selbst, dass sie sich in ihrem Freundeskreis solche Sachen suche, dass man sie nicht ernst nehme und nur ausnutze. Das ziehe sich durch ihr ganzes Leben hindurch. Gerade was Jungs angehe sei das deutlich und als es vor den Ferien wieder so große Probleme mit ihrem Freund gegeben habe, habe Anna ihr gegenüber auch geäußert, dass sie jetzt dringend wieder in Therapie gehen müsse. Für Anna sei das Zusammentreffen mit dem Vater auch deshalb so schwer, weil bei der Entführung der Missbrauch "weitergegangen" sei, obwohl ein anderer Erwachsener anwesend gewesen sei. Anna habe die Erfahrung gemacht, sie sei eigentlich durch niemand geschützt außer durch diejenigen, die ihr glauben. Und das sei nur die Mutter. So sehe leider Annas Welt aus. Maria und Yvonne würden es insoweit einfacher haben, als sie keine Erinnerung an den Missbrauch hätten oder zumindest keinen "Zugriff" darauf. Manchmal wisse sie jedoch nicht, ob die beiden es einfach nur nicht erzählen wollten.

    Frau Alteck berichtete weiter, es wäre sicher schon längst Ruhe eingekehrt, wenn sie allein mit Herrn Alteck zu tun hätte. Sie könne sich wehren, aber dadurch, dass alle möglichen Institutionen eingeschaltet seien, z.B. Jugendamt und Gerichte, bekomme Herr Alteck immer wieder Unterstützung, in gewisser Weise einen Bonus als Mann. Sie habe den Eindruck, das Thema sexueller Missbrauch sei den Leuten einfach zu unbequem, deshalb würden sie Anna nicht glauben. Es könnte alles geregelt sein und die Familie in Ruhe leben, wenn man Anna endlich glauben würde. Deshalb verstehe sie auch Annas Angst, die außer von der Mutter von niemand geschützt werde. Sie selbst wisse am besten, wie "massiv Täter" seien. Denn als sie ihren eigenen Vater damit konfrontiert habe, was er ihr angetan habe, habe er gleich mit einer Verleumdungsklage gedroht, wenn sie auf die Idee komme, ihn anzuzeigen. Ihre Mutter habe ihm den Rücken dabei gestärkt. Frau Alteck betonte, dass für sie klar sei, dass die Täter ihre Tat leugnen würden und alles versuchten, um eine Aufdeckung zu verhindern. Sie und Anna würden immer wieder erleben, dass Gerichte und Gutachter dieses Verhalten nicht durchschauten, sondern sogar unterstützten. Anna wisse auch ganz genau, dass der Vater sich über alle Grenzen hinwegsetze, egal wer anwesend sei. Anna pflichtete der Mutter bei und fügte aufgebracht hinzu, sie kenne ihren Vater und wisse ganz genau, dass er irgendwann ausraste. Sie halte es für wahrscheinlich, dass er bei der Begegnung "gewalttätig" werde oder sie berühren wolle und wenn er nicht einsehe, dass sie das nicht wolle, dann brauche sie eben ein Pfefferspray. Anna entwickelte weitere Phantasien — unterstützt von Frau Alteck -‚ wie der Vater eine Gelegenheit finden würde, um sie zu bedrohen oder zu berühren und sei es, dass er sie abpasse, wenn sie auf die Toilette müßte. Frau Alteck fragte Anna, ob sie Angst habe, dass der Vater eine Waffe dabei habe. Anna antwortete, es gebe keine Garantie, dass er keine dabei habe. Frau Alteck und Anna waren sich darin einig, dass seit der Aussage Annas bei der Kripo, Herr Alteck die Absicht habe, ihr etwas anzutun. Sie sei im höchsten Maße gefährdet, da sie jetzt eine ähnliche Stärke erreicht habe wie die Mutter.

    Es wurde letztendlich vereinbart, dass Anna ohne Spray an dem Gespräch teilnehmen werde. Während der langen und ausführlichen Diskussion sagten Maria und Yvonne kein einziges Wort. Maria war mit ihrem Finger und dem heißen Wachs beschäftigt und schaute angestrengt vor sich hin. Yvonne saß aufrecht und steif neben der Mutter und blickte starr geradeaus. Anna und Frau Alteck hatten wortreich und empört ihre Meinung ausgedrückt, sie unterstützten sich in ihrer Argumentation und beide wurden nicht müde, immer wieder zu wiederholen, dass sie Herrn Alteck genau kennen würden und wüßten, was er vorhabe. Frau Alteck sprach im Namen Annas und diese akzeptierte es ohne Widerspruch. Anna und die Mutter ergänzten sich in ihren Beiträgen, bildeten von der Argumentation her eine Einheit, die keinen Widerspruch zuließ. Beide beriefen sich gegenüber Maria und Yvonne auf die intime Kenntnis von Herrn Alteck, die nicht weiter zu hinterfragen sei. "Das ist einfach so." Es wirkte wie eine oft und gerne durchgeführte Inszenierung, die emotionale Beteiligung rührte aus dem Eifer, die Zuhörenden von der eigenen Sache zu überzeugen. Es hatte etwas aufgesetztes und gespieltes, was bei Frau Alteck noch deutlicher war. Sie konnte Stimme und Ausdruck von einer Sekunde zur anderen verändern, von mitfühlend zu drohend, von anklagend zu kämpferisch.

    Zur Frage des Umgangs erklärte Frau Alteck, es sei nicht so, dass sie meine, die Kinder sollten den Vater nicht sehen. Aber ihre Tochter habe sich ihr anvertraut und sie glaube ihr. Sie glaube es nicht nur, sondern sie wisse es auch. Sie habe auch Bilder von Maria und Yvonne, die die damaligen Therapeutinnen zu der Beurteilung geführt hätten, dass ganz klar sexueller Missbrauch stattgefunden habe, ohne jedoch konkret benennen zu können, was genau vorgefallen sei. (Die Bilder sind verschwunden.) Nur leider sei das nicht gerichtsverwertbar. Jetzt habe Anna endlich den Mut, auszusagen und trotzdem glaube ihr niemand. Aber sie erlebe ihre Kinder und wisse, dass sie missbraucht worden seien. Sie sei der Meinung, dass dies das Problem der Kinder sei, das sie mit dem Vater hätten und deswegen wollten sie ihn nicht sehen. Damit habe sie selbst nichts zu tun, lediglich insoweit, dass sie als Mutter sich hinstelle und sich wehre. Anna erzählte, dass der Vater sie damals beim Skifahren völlig ignoriert habe. Sie habe sein Verhalten ganz merkwürdig empfunden. Der Vater habe Angst vor ihr gehabt. Sie wertete dies als Beweis, dass der Vater sie missbraucht habe. Wenn er soviel Angst habe, könne er doch nicht das Sorgerecht für sie beanspruchen. Die ganze Familie hätte ihn damals nach dem Skifahren noch zum Kaffee ins Haus gebeten, aber der Vater habe das nicht annehmen können. Maria beteiligte sich zum ersten Mal unaufgefordert am Gespräch:

    der Vater habe eigentlich bis um 18 Uhr bleiben wollen und dann sei er schon um 17 Uhr gefahren. Sie habe genau gehört, dass er zu den Jungs gesagt habe, sie würden bis 18 Uhr bleiben und plötzlich habe er dann keine Zeit mehr gehabt. Frau Alteck bestätigte Annas Ansicht, dass Herr Alteck das Angebot, dass sie den Umgang betreue, nicht habe annehmen können. Sie habe es gemacht, weil die Kinder ihn.sehen wollten, heute wollten sie ja nicht mehr. Sie hätte es schön gefunden, wenn sie als "alte Familie" einmal im Monat oder alle zwei Monate zusammen Kaffee trinken oder etwas unternehmen würden. Herr Alteck sei damit nicht einverstanden gewesen. Anna äußerte, Herr Alteck habe sich selbst zuzuschreiben, dass sie jetzt keinen Umgang mehr wollten. Wenn Herr Alteck damals, "als ihm die Mama das angeboten hat" zugestimmt hätte, "dann wäre alles schön und gut". Der Vater habe oft genug die Chance gehabt, sie zu sehen. Deshalb glaube sie auch nicht, dass es ihm wirklich um sie, die Kinder, gehe. Er wolle sie doch nicht sehen, weil er "uns anscheinend lieb hat, das hat doch ganz andere Hintergründe". Frau Alteck fügte hinzu, auf dem Hintergrund, dass ein Missbrauch stattgefunden habe, schwinge bei dem Bedürfnis, die Kinder zu sehen, "halt noch was anderes mit". Anna schrie laut und aufgeregt: "Was wir wollen und denken ist dem so hoch wie breit, Hauptsache, er hat seinen Spaß, wenn wir bei ihm sind." Frau Alteck fuhr in ruhigem Ton fort, sie habe bei Herrn Alteck nie gespürt, dass er sich auf das Sicherheitsbedürfnis der Kinder habe einstellen können und den betreuten Umgang habe akzeptieren können. Er sei für den Wunsch der Kinder, dass die Mutter den Umgang betreue, nicht offen gewesen. Dabei sei das für die Kinder zu dem Zeitpunkt ganz wichtig gewesen, dass sie den Schutz der Mutter gehabt hätten. Denn nur bei ihr würden sie sich sicher fühlen. Das wisse Herr Alteck auch und deswegen habe er es abgelehnt. Sie könne sich den Umgang "als Freibrief" für Herrn Alteck nicht vorstellen.

    Anna und die Mutter bestärkten sich in ihren Mutmaßungen gegenseitig, der Vater warte nur auf eine Gelegenheit, die Kinder zu missbrauchen, wenn die Mutter nicht dabei sei. Herr Alteck habe Angst, sich auf betreuten Umgang einzulassen, weil er befürchten müsse, die Kinder würden es der Mutter erzählen, wenn ein "Übergriff" stattfinde. Andere Betreuungspersonen, auch die beim Kinderschutzbund hätten vor Herr Alteck Angst gehabt und ihm viel zu viel Freiraum gewährt.

    Anna lieferte in ihren Redebeiträgen Bestätigungen für die Behauptungen der Mutter. Manchmal übertraf sie Frau Alteck in der Radikalität ihrer Äußerungen, dann stimmte Frau Alteck ihr zu. Manchmal fiel Anna der Mutter ins Wort und verstärkte mit ihrer Zustimmung die Bedeutung dessen, was die Mutter gesagt hatte. Die Argumentation von Frau Alteck und Anna war vollkommen einheitlich; Anna konnte für die Mutter sprechen und umgekehrt und beide merkten es nicht. Maria und Yvonne saßen schweigend da. Yvonne kerzengerade, geradeaus schauend, Maria mit dem heißen Wachs und dem Finger beschäftigt. Wenn Mutter und Anna redeten, ging es laut und erregt zu, sie schaukelten sich gegenseitig hoch. Sobald sie aufhörten, herrschte ein lähmendes Schweigen.

    Frau Alteck schärfte den Kindern ein, das Gespräch mit dem Vater "nicht auf die leichte Schulter" zu nehmen. Es dürfe nicht passieren, dass der Vater das Sorgerecht bekomme, nur weil sie es "flachsig" genommen hätten und sich wie Kinder verhalten hätten. Sie müsse ihnen immer wieder sagen, dass man sie "bei solchen Terminen leider nicht Kind sein" lasse. Anna, Maria und Yvonne müßten "wirklich ganz klar und massiv hinstehen für das, was ihr wollt". Frau Alteck fügte hinzu: "und wenn ihr das nicht tut, dann können solche Entscheidungen dabei rauskommen, dass es heißt, na ja, dann versuchen wir es doch mal, das Sorgerecht an Herrn Alteck zu geben". Anna erwiderte, sie nehme es ernst, deshalb habe sie auch die Anzeige gemacht. Wenn sie den Ernst der Lage nicht begriffen hätte, wäre sie auch nicht zu einem Gespräch mit dem Vater bereit, aber sie denke jetzt nicht die ganze Zeit darüber nach. Was sie sage, entscheide sie spontan. Anna äußerte, sie sei sicher, dass Herr Alteck schon im Gefängnis wäre, wenn sie das Telefongespräch auf Band aufgezeichnet hätte, in dem sie ihn mit dem Missbrauch konfrontiert habe. Wenn sie das Tonband vorlegen könne, dann würde man ihr sicher ein Stück weit glauben. Frau Alteck fügte hinzu, da habe Herr Alteck aber gewußt, dass niemand anderes zuhöre, deshalb habe er sein wahres Gesicht zeigen können. In Anwesenheit von anderen Personen verhalte Herr Alteck sich nett und freundlich, völlig anders als innerhalb der Familie. Deshalb glaube man ihr und Anna auch nie. Sie beide wüßten, dass Herr Alteck im Umgang mit den Familienmitgliedern ein anderer Mann sei als in Anwesenheit von Dritten. Deshalb müßten die Kinder auch davon ausgehen, dass Herr Alteck im Gespräch mit ihnen nicht "echt" sei, weil die Sachverständige anwesend sei.

    Nach einem längeren Schweigen fragte die Sachverständige Maria und Yvonne nach ihrer Einstellung. Maria antwortete ganz leise und undeutlich:

    "Keine Ahnung". Sie fügte hinzu, man könne nichts dagegen machen. Sie hoffe, dass es irgendwann ein Ende habe. Yvonne fing an zu weinen, als ich sie ansprach. Sie sagte dann ganz leise, unter Tränen: "Ich weiß nicht, ich denke, wir bestimmen über unser Leben". Yvonne weinte leise vor sich hin. Frau Alteck schüchterte die Mädchen, vor allem Maria und Yvonne damit ein, dass sie ihnen die Verantwortung für die Entscheidung zuschob. Wenn sie sich nicht bedingungslos für die Mutter aussprechen würden, sondern möglicherweise Zugeständnisse an den Vater machen würden, dann verliere sie das Sorgerecht und die Kinder müßten zum Vater. Der Gerichtsvollzieher und die Polizei kämen und würden ihre Sachen einpacken und sie mitnehmen. Sie, die Mutter, müsse dann ins Gefängnis. Anna rief voller Angst, mit überschlagender Stimme, dass sie das verhindern werde und wenn sie selbst dafür ins Gefängnis müsse. Auf die Frage, was sie tun werde, antwortete sie lachend, das wisse sie jetzt noch nicht, aber sie werde es auf jeden Fall verhindern. Frau erklärte darauf, sie provoziere die Mädchen manchmal mit solchen Äußerungen. Sie mache das auch, wenn sie mit ihnen alleine sei. Sie vermittle den Kindern, wenn sie nur schweigen würden, dann sei das ein Punkt für den Vater. Denn es sei in dieser Gesellschaft leider so, dass man ihr als Mutter nicht glaube. Anna bestätigte, dass der Druck gar nicht so schlecht sei, denn er würde sie zum Reden bringen. Wenn der Druck nicht so groß gewesen wäre, dass sie nach dem Beschluß des Familiengerichts den Vater hätten besuchen sollen, dann hätte sie die Anzeige nicht gemacht. Sie habe sich in dem Telefonat mit dem Vater von ihm so unter Druck gesetzt gefühlt, dass sie nicht mehr länger hätte schweigen können. Frau Alteck sprach unvermittelt über Maria und Yvonne: "Anna wünscht sich, dass die beiden auch mal ihren Mund aufmachen würden." Anna habe ihr so oft ihr Leid geklagt, dass sie für ihre jüngeren Schwestern immer die Kohlen aus dem Feuer holen müsse. Anna verteidigte ihre Schwestern, dass sie das ja eigentlich gerne mache, aber manchmal sei es ihr auch zuviel. Maria und Yvonne sagten nichts.

     

    Als es um die Frage ging, ob Anna, Maria und Yvonne konkrete Vorstellungen hätten, äb sie mit dem Vater bezüglich des Umgangs etwas vereinbaren könnten, herrschte betretenes Schweigen. Dann schaltete sich Frau Alteck ein und machte deutlich, dass für sie eine Regelun9 der Kinder mit dem Vater nicht in Frage komme.

    Bei der zusätzlichen Einzelexploration der Kinder und der Mutter, die durch die Erweiterung der gerichtlichen Fragestellung erforderlich geworden war, bat die Mutter um einen Raum in Freiburg, da es leichter zu erreichen sei. Die Gespräche fanden in einem Raum bei Fro Familia statt. Die Kinder wollten alleine mit dem Zug kommen. Frau Alteck organisierte an dem Nachmittag für Joscha eine Betreuung und kam dann ebenfalls zu Pro Familia. Frau Alteck und die Mädchen hielten sich meistens im Wartezimmer auf, während jeweils ein Kind expioriert wurde.

    Frau Alteck ließ nicht zu, dass ihre heranwachsenden Töchter ohne sie Termine bei der Sachverständigen wahrnehmen konnten. Wenn sie schon nicht direkt dabei sein konnte, dann hielt sie sich in der Nähe auf.



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    Interaktion Vater - Kinder

    Gespräch mit Vater und Kindern, Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen

    Mit Einverständnis von Herrn Alteck, Anna, Maria und Yvonne wurde das Gespräch auf Tonband aufgenommen.

    Die Kinder kamen in Begleitung von Frau Alteck, die sich dann vereinbarungsgemäß wieder entfernte. Sie blieb jedoch in der näheren Umgebung. Es war besprochen, dass die Kinder Frau Alteck nach dem Gespräch auf dem Handy anrufen würden, damit sie sie abhole. Herr Alteck traf ein, als die Kinder schon da waren. Es war zunächst eine etwas angespannte Atmosphäre. Alle Kinder weigerten sich, Herrn Alteck im Beisein der Sachverständigen zur Begrüßung zu umarmen. Keines der Mädchen setzte sich neben Herrn Alteck an den Tisch, obwohl das von der Aufteilung her die naheliegende Lösung gewesen wäre. Yvonne und Maria setzten sich Herr Alteck gegenüber, Anna an die Stirnseite. Yvonne saß zwischen ihren beiden Schwestern. Die Mädchen saßen relativ nahe beieinander; sie hielten auch räumlich einen deutlichen Abstand zu Herrn Alteck. Es war das erste Mal, dass in dieser Form ein Gespräch zwischen Vater und Kindern stattfand, in dem über die Problematik in der Familie gesprochen wurde. Am Anfang war eine große Unsicherheit und auch Nervosität bei allen Beteiligten spürbar. Da so lange kein Kontakt zwischen Vater und Kindern bestand, wurde vorgeschlagen, dass zunächst alle kurz darstellen, in welcher Situation sie sich befinden. Da die Kinder schwiegen, begann Herr Alteck. Danach schwiegen die Kinder. Sie wirkten verlegen. Anna ergriff dann nach Aufforderung das Wort. Es gehe ihr im Moment wegen der gerichtlichen Auseinandersetzungen ziemlich schlecht. In allen anderen Bereichen würde es ihr aber gut gehen. Dann herrschte wieder Schweigen, bis Yvonne mit tonloser, gepreßter Stimme sagte, es gehe ihr auch "sehr beschissen damit" und anfing zu weinen. Anna fragte Yvonne, ob sie zu ihr kommen wolle und Yvonne setzte sich bei Anna auf den Schoß und weinte leise vor sich hin. Anna tröstete sie. Maria vertrat die gleiche Meinung wie ihre Schwestern. Es gehe ihr nicht gut damit, dass sie immer wieder aussagen müßten und niemand ihnen glaube. Ansonsten sei der erste Schultag gewesen und das sei immer wieder aufregend. Herr Alteck fragte vorsichtig, ob er Yvonne noch etwas fragen dürfe, Anna meinte, besser nicht, er sehe ja, wie schwer ihr das Ganze falle. Maria und Anna äußerten, wie unangenehm diese Auseinandersetzungen für sie seien und machten den Vater dafür verantwortlich. Nach und nach verloren Anna und Maria ihre Zurückhaltung und brachten ihre Position lebhaft ein. Yvonne hörte nach einem Weilchen auf zu weinen und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Auch sie beteiligte sich am Gespräch, zunächst eher zaghaft und sporadisch, nach einiger Zeit ganz selbstverständlich.

    Folgende Themen wurden besprochen: Kontakt zwischen Vater und Kindern in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; sexueller Missbrauch; das Trennungsgeschehen und die Entführung. IJabei vertraten sowohl die Kinder als auch Herr Alteck ausführlich ihre Positionen. Es wurden im wesentlichen die gleichen Argumente vorgebracht wie in den jeweiligen Einzelgesprächen. Deshalb werden sie an dieser Stelle nicht mehr ausführlich dargestellt. Anna und Maria gaben dem Vater die Schuld, dass sie ihn nicht mehr sehen wollten. Als Gründe nannten sie Herrn Altecks Verhalten nach dem Skifahren und sein zweimaliges "Auftauchen" in Sonstwo. Anna führte noch an, der Vater hätte ja anders Kontakt aufnehmen können, z.B. durch Briefe. Als Herr Alteck entgegnete, er habe geschrieben, beharrte sie darauf, es sei aber nicht die richtige Art gewesen, wie er es gemacht habe. Anna und Maria erklärten, es sei ihr Wunsch gewesen, Umgangskontakte in Anwesenheit der Mutter durchzuführen. Wenn der Vater darauf eingegangen wäre, hätte mit der Zeit vielleicht sogar ein unbetreuter Umgang entstehen können. Die Mutter habe ihnen zuliebe das vorgeschlagen, weil sie ihn hätten sehen wollen. Es sei die Idee der Kinder gewesen. Herr Alteck stellte ruhig und sachlich dar, warum das für ihn nicht in Frage komme und dass es für ihn sehr unangenehm sei, eine gewisse Zeit neben ihrer Mutter zu sitzen. Sie habe durch die Behauptung, er habe die Kinder sexuell missbraucht, ihm die Kinder weggenommen. Da lege er keinen Wert auf Kontakt mit der Mutter. Herr Alteck sprach in Anwesenheit der Kinder nie abwertend über Frau Alteck. Er bezeichnete sie als "eure Mutter" oder "die Mama". Anna konnte nicht die geringste Kritik an ihrer Mutter ertragen. Selbst wenn Herr Alteck gar keine direkte Kritik äußerte, sondern lediglich seine Position darstellte, brüllte Anna ihn an, er solle die Mutter in Ruhe lassen, die habe damit nichts zu tun. Es sei ihr Wunsch bzw. der Wunsch aller Kinder gewesen, ihn in der Vergangenheit nicht sehen zu wollen oder höchstens betreut. Die Mutter sei so großzügig gewesen, das immer wieder zu ermöglichen. Er sei doch derjenige gewesen, der "Scheiße gebaut" habe. Deswegen müsse er es jetzt auch "ausbaden". Wenn Anna die Mutter verteidigte, sprach sie ganz schnell und laut, manchmal mit überschlagender Stimme, manchmal brüllte sie vor Empörung und Aufregung. Schon das ruhige Aussprechen einer anderen Meinung oder der Verweis auf Darstellungen in den Akten, konnten sie so aus der Fassung bringen, dass sie voller Wut den Vater anschrie. Anna reagierte sofort und sehr heftig, wenn sie meinte, sie müsse die Mutter in Schutz nehmen. Dabei stellte sie sich gewissermaßen vor die Mutter und sagte, das sei alles ihre Idee oder ihr Wunsch gewesen. Dreimal drohte sie an, das Gespräch zu beenden, weil der Vater sich von ihrer Version nicht überzeugen ließ. Maria reagierte eher vorwurfsvoll auf die Darstellungen des Vaters und wiederholte immer wieder die gleichen Argumente (er sei "selbst schuld", sie habe Angst vor ihm).

    Anna, Maria und Yvonne beteuerten dem Vater, dass jede große Angst vor ihm habe. Yvonne meinte, es kämen "Angstgefühle" hoch beim Anblick des Vaters. Maria äußerte auf Nachfragen die Befürchtung, der Vater könnte sie wieder entführen. Herr Alteck erklärte ihr, dass er das nicht vorhabe und dass aufgrund des Sorgerechts heute eine andere Situation sei als damals. Die Mädchen glaubten das nicht. Anna erklärte, sie habe zum gemeinsamen Skifahren ihren Freund mitgenommen, damit sie vor dem Vater sicher sei. Abgesehen davon habe sie so große Angst gehabt, als Maria und Yvonne Umgang mit dem Vater hatten, dass sie einmal mitgegangen sei zum Pilzesammeln, weil sie es vor Angst nicht alleine zu Hause ausgehalten habe. Sie habe das Bedürfnis, ihre Schwestern zu schützen. Maria und Anna betonten, es sei selbstverständlich, dass die Mutter keine unbetreuten Kontakte zulasse. Sie wisse schließlich, dass "etwas gewesen" sei und das könne immer wieder passieren.

    Herr Alteck berichtete über die Trennungssituation. Als er von dem "Vorwurf der Mutter" sprach, er habe Anna missbraucht, konnte Anna nicht mehr an sich halten. Sie warf erregt und laut ein, weil sie es der Mutter in der Küche erzählt habe. Herr Alteck sprach weiter, Anna unterbrach ihn immer wieder, wurde zunehmend lauter und aufgeregter und verteidigte die Mutter. Als Herr Alteck ausführte, es sei 7 ½ Jahre nichts Konkretes vorgebracht worden, spottete Anna ihn aus und brüllte dann:

    "Ja, weil ich ein kleines Kind war und nicht wußte, was überhaupt los ist und was das bedeuten soll und so, darum. Weil mir das vielleicht jetzt erst im Heranwachsendenalter klar wird. Deshalb. Und es lag nicht an der Mama. Tu nicht immer so, als ob die Mama an allem dran schuld ist. Das stimmt nämlich gar nicht. Das mußte ich gerade mal loswerden. Das stinkt mir nämlich." Herr Alteck bat darum, weiterreden zu dürfen, was Anna dann zuließ. Als Herr Alteck erwähnte, dass Kobra in einem Schreiben an das OLG Stuttgart zugab, dass es keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch bei Anna gegeben habe, bemerkte Maria, Kobra habe doch alles bestätigt, was Anna gesagt habe. Sie seien dort auch in Therapie gewesen und ihre Mutter habe dort Bilder von ihnen vorgelegt und alle hätten gesagt, dass sie missbraucht worden seien. Anna erklärte, sie habe als Kind gar nichts über den Missbrauch mitteilen können, weil ein kleines Kind gar nicht verstehe, ob das gut oder böse sei. Ein Kind schiebe das weg und wolle es vergessen. Es sei selbstverständlich, dass man sich erst als älteres Kind darüber Gedanken mache und merke, dass das nicht gut gewesen sei, es zu verdrängen. Erst wenn man älter werde, könne man das durcharbeiten. Es folgte eine hitzige Diskussion über Kobra.

    Anna rief ungeduldig: "Erstens interessiert uns das jetzt nicht! Wenn man zur Therapie geht, dann hat es einen Grund! Es kann doch etwas sein, das weiß man doch nicht.

    Herr Alteck: "Ich habe mich sehr wohl gefragt, ob du sexuell missbraucht worden bist und ich das als Vater nicht mitgekriegt habe."

    Anna: "Du hast das sehr wohl mitgekriegt!" (ruft es laut und empört, lacht dabei)

    Herr Alteck: "Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass du nicht missbraucht worden bist

    Anna unterbricht den Vater mit dem lauten Ausruf, im Affekt: "Du weißt das doch überhaupt nicht!" Nach einer Schrecksekunde stotterte sie: "Ob irgendwie mit irgendjemand was war und außerdem — (Pause) — weißt du, dass was war."

    Herr Alteck wiederholt seine Auffassung, dass er nicht glaube, dass Anna missbraucht worden sei, außer bei Kobra. Daß er selbst es nicht gewesen sei, das wisse er ganz bestimmt. Ob mit irgendeiner anderen Person etwas vorgefallen sei, wisse er natürlich nicht definitiv, aber nach seiner Meinung eher nein. Anna beharrte darauf, dass der Missbrauch durch den Vater stattgefunden habe und es deswegen zu keinem Umgang kommen könne. Maria und Yvonne unterstützten sie in ihrer Argumentation, wenn auch nicht gar so erregt und empört wie Anna. Anna berief sich auf ihre wiedergefundenen Erinnerungen und dass sie sich getraut habe, die Anzeige zu machen. Es sei doch klar, dass sie als Kind alles verdrängt habe und sich erst durch die sexuellen Kontakte mit ihrem Freund wieder daran erinnere. Maria äußerte, dass "jede MinuteTM ein Kind missbraucht werden würde. Es passiere einfach. Da stünde niemand mit einer Kamera daneben, damit es geglaubt werde. Anna behauptete, der beste Beweis für sexuellen Missbrauch sei, dass man ihn detailliert erzählen könne. Die wiedergefundenen Erinnerungen wurden von allen drei Kindern als Beweis dafür angeführt, warum die Ablehnung gegenüber dem Vater mit zunehmendem Alter stärker werde. Als Kind hätten sie nicht verstanden, was er ihnen angetan habe. Je älter sie werden, um so bewußter werde ihnen, dass er sie missbraucht habe. Herr Alteck führte an, dass sie von der Mutter beeinflußt worden seien. Anna ärgerte sich maßlos über diese Bemerkung. Sie lasse sich von keinem Menschen beeinflussen. Nur schwache Menschen ließen sich beeinflussen und dazu gehöre sie nicht. Abgesehen davon würde ihre Mutter noch nicht einmal versuchen, sie zu beeinflussen. Maria unterstützte Anna, man wisse einfach, dass man nicht beeinflußt worden sei. Sie würden ihre eigene Meinung vertreten.

     

    Meinungsverschiedenheiten wurden von den Kindern so interpretiert, dass der Vater lüge. Dies wurde deutlich an der Auseinandersetzung um ein Video, das der Vater angeblich bei der Entführung auf Texel gedreht habe. Herr Alteck meinte, er habe gar keine Videokamera dabei gehabt. Die Kinder bestanden darauf, dass das Video vor Gericht als Beweismaterial gedient habe und danach irgendwie zu ihnen gekommen sei. Sie hätten es sich gerade wieder angesehen. Als die Entführung als Grund genannt wurde, warum sie alle so große Angst vor dem Vater haben, packte Herr Alteck ein Fotoalbum aus mit Bildern, die er während der Entführung aufgenommen hatte. Herr Alteck wollte den Kindern zeigen, dass sie auf den Bildern nicht ängstlich ausgesehen hätten. Keines der Mädchen schaute in das aufgeschlagene Album. Anna rief ärgerlich, Herr Alteck solle das Fotoalbum wieder wegpacken, es interessiere sie nicht. Sie wüßten, dass sie Angst gehabt hätten und dass es ihnen schlecht gegangen sei.

    Herr Alteck fragte, wer ihm denn vor kurzem seine Visitenkarten zurückgeschickt habe. Yvonne antwortete, sie habe das gemacht. Sie habe einfach Lust gehabt, sie "zu zerschnipseln" und zurückzuschicken. Herr Alteck meinte, es habe ihn gewundert, dass er das erst jetzt bekommen habe, er sei doch im April in Sonstwo gewesen. Er habe auf die Visitenkarten ein paar Zeilen an die Kinder geschrieben und sie in die Schuhe vor der Tür gesteckt. Maria meinte, sie hätten sie erst jetzt gefunden. Anna sagte: "Auf jeden Fall ist es schon ein paar Monate präpariert und nur nicht abgeschickt und da ist es ihr letztens eingefallen." Darauf folgte ein betretenes Schweigen.

    Anna verteidigte ihre Schwestern sofort, wenn sie das Gefühl hatte, sie seien in Erklärungsnot. Darauf angesprochen, meinte sie, sie wisse, was es bei ihnen für Folgen habe, wenn man nachfrage. Das wolle sie verhindern. Z.B. würde Maria irgendwann "dicht machen", wenn sie etwas erklären müsse. Anna war bestrebt, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass sie den Vater nicht sehen wollten. Der Vater sei schuld daran, sie und ihre Schwestern äußerten ihre eigene Meinung und die Mutter sei lediglich das Sprachrohr der Kinder. Die Mutter vertrete das, was die Kinder wollten.

    Anna, Maria und Yvonne äußerten zum Abschluß des Gesprächs noch einmal, dass sie keine Kontakte zum Vater wollten, auch keine unbetreuten. Ein Wechsel des Sorgerechts käme für sie nicht in Frage. Anna und Maria sagten, wenn der Vater sie lange Zeit in Ruhe ließe, dass sie "alles verarbeiten" könnten, dann könnte es ja vielleicht irgendwann einmal Kontakt geben. Sie könnten sich das zwar jetzt nicht vorstellen, aber sie wollten das offen lassen. Yvonne sagte, sie wolle den Vater überhaupt nie mehr sehen.

    Es wurde zum Teil sehr heftig und hitzig debattiert, zum mindesten auf seiten der Kinder, insbesondere von Anna. Herr Alteck erklärte den Kindern ruhig und bestimmt, warum er klage, warum er das Sorgerecht beantragt habe. Er versuchte seinen Töchtern zu vermitteln, wie sehr er sie vermisse und wieviel es ihm ausmache, dass er an ihrem Leben überhaupt nicht teilnehmen könne. Er machte Frau Alteck dafür verantwortlich, dass sie seit 8 Jahren jeglichen Umgang verhindere. Herr Alteck sprach über seine Gefühle und über seine Einschätzung der Dinge. Er machte jedoch keine Vorwürfe, weder an die Mutter und schon gar nicht an die Kinder. Er setzte die Mutter nicht herab. Seine Darstellungen enthielten keine negativen emotionalen Ausbrüche gegenüber der Mutter. Er benutzte die Gelegenheit, seinen Töchtern zum ersten Mal seit 8 Jahren seine Situation und die Ereignisse aus seiner Sicht darzustellen. Diese ruhige und besonnene Haltung trug erheblich zu einer entspannten Atmosphäre des Gesprächs bei, auch wenn immer wieder erregte Reaktionen erfolgten. Die Kinder hörten tatsächlich über weite Strecken zu. Herr Alteck hörte auch den Kindern zu, selbst wenn sie ihn heftig attackierten. Daß Herr Alteck sich nicht angegriffen fühlte, sondern trotzdem sachlich bei seiner Darstellung blieb, führte dazu, dass alle drei Mädchen sich locker und unkompliziert verhielten und sich rege am Gespräch beteiligten. Es wurde sogar gelacht. Selbst Yvonne redete munter drauf los. Die Kinder verhielten sich nicht ängstlich. Es konnte bei keinem der Kinder Angst vor dem Vater beobachtet werden. Die lebhafte und zum Teil erregte und laute Debatte wurde auf seiten der Kinder nicht feindselig geführt. Es war bei ihnen keine Wut auf den Vater spürbar, sondern ein wütendes Reagieren, wenn er bei seiner Meinung blieb und sich nicht überzeugen ließ. So wie in einer erregten Debatte der Meinungsgegner angegriffen und herabgesetzt wird. Es ließe sich eher als Ärger bezeichnen, der abrupt zum Ausbruch kam, wenn Herr Alteck ihre Darstellung nicht übernahm. Es wirkte wie eine hitzige familiäre Auseinandersetzung. Keines der Kinder zeigte Angst, dass die Äußerungen bedrohliche Folgen haben könnten. Sie unterstützten sich gegenseitig in ihrer Position und in ihrer verbalen Ablehnung. Auf der Verhaltensebene zeigten sie jedoch ein vertrautes und angstfreies Verhalten gegenüber ihrem Vater. Bei den kurzen Gelegenheiten, in denen die Sachverständige nicht im Raum war und nur das Band lief, unterhielten sie sich mit dem Vater über ganz alltägliche Dinge.



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    Der Problemfragebogen für 11- bis 14jährige mit Anna, Maria und Yvonne

    Die Auswertung des PF 11-14 ergab sowohl bei Anna, als auch Maria und Yvonne, dass sie in den Bereichen Schule und allgemeine Einstellungen keine Probleme oder Problemverhalten zeigen. Maria und Yvonne fühlen sich in der Schule wohl und waren rundherum zufrieden. Das Verhältnis zu den Lehrern und Mitschülern sowie die Schulleistungen wurden von beiden Kindern durchweg positiv und unproblematisch dargestellt. Anna äußerte, sie sei manchmal verträumt, darunter litten ihre Schulnoten. Auch das Verhältnis zu den Lehrern sei manchmal schwierig. Das Item "Ich denke oft an schöne Tage, die mal waren" kreuzten alle drei an. Anna trauerte über ihre letzte Beziehung, Maria berichtete über Ferienerinnerungen und Yvonne brachte eine Erinnerung daran, als die Familie noch vollständig war. In Unbenannt sei sie mit ihren Schwestern auf den Matratzen die Treppe heruntergerutscht. Die Mutter habe eine Glocke gehabt, mit der sie zum Essen rief. Wenn sie geläutet habe, seien sie auf den Matratzen die Treppe hinunter gerutscht. Bei Angaben zur Familie nannten alle drei Kinder, dass die EItern sich oft streiten würden und dass das schwierig für sie sei. Yvonne und Maria nannten die gerichtlichen Auseinandersetzungen. Anna benannte zusätzlich Geldsorgen. Bei den übrigen Fragen zur Familie bezeichneten alle drei nur die Mutter als Familie. Anna, Maria und Yvonne brachten ein durchgängig positives und vertrauensvolles Verhältnis zur Mutter zum Ausdruck brachten, das jedoch stark idealisierte Züge aufwies. Sie fühlten sich von ihrer Mutter unterstützt und hatten auch das Gefühl, eigenständige Entscheidungen treffen zu dürfen. Sie äußerten, dass sie zufrieden mit ihrer Situation seien. Yvonne kreuzte das Item "Mußt du immer auf deine Eltern hören" mit "Ja" an. Sie begründete es damit, dass ihre Mutter darauf bestehe, dass sie Hausarbeiten erledige. Nach längerem Nachdenken meinte Yvonne etwas verlegen, eigentlich müsse sie immer hören.

    ln bezug auf Selbstwahrnehmung, Selbsteinschätzung und Selbstwertgefühl waren bei Yvonne und Maria keine Verunsicherungen vorhanden. Yvonne erkärte, sie sei früher ängstlich gewesen, das habe sich aber gelegt. Bei Anna sind neben einer adäquaten Selbsteinschätzung durchaus Anzeichen vorhanden, die auf ein starkes Geltungsbedürfnis schließen lassen. Alle drei Mädchen machen sich Gedanken über das Erwachsenwerden und über die Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten.

    In den sozialen Beziehungen fühlten sich Anna, Maria und Yvonne akzeptiert und ließen keine Rückzugstendenzen oder Einsamkeitsgefühle erkennen. Sie haben Freunde und fühlen sich von ihnen anerkannt. In bezug auf Beziehungen zu männlichen Freunden gab Anna an, dass sie eher schüchtern sei. Maria äußerte diesbezüglich keine Schwierigkeiten. Sie habe mal Liebeskummer gehabt, das finde sie aber normal. Maria stellte keinen Bezug zwischen sexuellem Missbrauch und Beziehungsschwierigkeiten her, Anna dagegen ständig. Yvonne hatte noch keinen Freund.

    Die Ergebnisse aus dem Problemfragebogen lassen bei allen drei Kindern den Schluß zu, dass sie sozial gut integriert sind, in der Schule erfolgreich und - mit Ausnahme des Elternkonflikts — mit ihrem Leben zufrieden. Keines der Mädchen zeigte in einem der erfragten Bereiche eine nennenswerte Verhaltensauffälligkeit.



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    V. Psychologischer Befund

    Seit der Trennung der Eltern im November 1991 bemühte sich Frau Alteck nach ihren eigenen Angaben, den Kontakt des Vaters zu den Kindern zu verhindern. Als Begründung nannte Frau Alteck, dass sie davon überzeugt sei, dass der Vater alle drei Kinder sexuell missbraucht habe.

    Nach übereinstimmender Auskunft beider Eltern wurde die Trennung einvernehmlich beschlossen. Zuvor hatten die Eheleute versucht, mit einer Ehetherapie die seit einem Jahr bestehende Ehekrise zu lösen. Auslöser der Krise war eine Liebesbeziehung von Herrn Alteck zu einer anderen Frau. Im November 1991 kamen die Eltern überein, dass es zunächst besser sei, eine räumliche Trennung durchzuführen. Frau Alteck blieb mit den Kindern in der Ehewohnung und Herr Alteck zog aus. Anna war zum Zeitpunkt der Trennung 7 Jahre alt, Maria 5 Jahre 8 Monate und Yvonne 3 Jahre 7 Monate.

    Alle drei Mädchen waren nach Angaben der Eltern Wunschkinder. Sie wurden in den ersten Lebensjahren überwiegend von der Mutter betreut. Frau Alteck arbeitete nach dem Referendariat in Niedersachsen nur einige Monate als Lehrerin und gab mit der Geburt von Anna ihre Berufstätigkeit auf. Die Eltern waren darin übereingekommen, dass die Mutter für die

     

     

    Betreuung und Versorgung der Kinder auf ihre Berufstätigkeit verzichte. Diese traditionelle Rollenaufteilung wurde auch nach der Geburt von Maria und Yvonne beibehalten. Die Familie übersiedelte aus beruflichen Gründen in den Stuttgarter Raum, da Herr Alteck bei IBM eine Stelle annahm. Herr Alteck arbeitete in Vollzeit, verbrachte jedoch seine Freizeit mit der Familie und den Kindern. Der Vater beteiligte sich im Rahmen seiner zeitlichen Möglichkeiten auch an der Betreuung der Kinder. Dazu gehörten u.a. die täglichen Rituale des Ins-Bett-.bringens, die Versorgung und Betreuung, wenn die Mutter nicht anwesend war, spielerische Aktivitäten wie Rollschuhfahren, zusammen etwas bauen, Kuchen backen etc. Herr Alteck fühlte sich ebenso wie die Mutter für die Erziehung der Kinder zuständig. Prof. Lempp stellte in seinem ersten Gutachten bei allen Kindern eine positive und sichere Bindung zu beiden Eltern fest. Es ist folglich davon auszugehen, dass der Vater für die Kinder in den ersten Jahren des familiären Zusammenlebens zu einer sicheren Bindungsfigur geworden ist, die im kindlichen Erleben eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Der Vater war neben der Mutter die wichtigste Bezugsperson für die Kinder. Aufgrund seines Geschlechts und seines anderen lnteraktionsstils kam ihm in der Entwicklung der Kinder eine eigenständige und gleichwertige Rolle wie der Mutter zu (Fthenakis et al. 1982; Fthenakis 1985). Der Aufbau der internen Bindungsrepräsentation von Vater und Mutter bei den Kindern war zum Zeitpunkt der Trennung im wesentlichen abgeschlossen.

    Der Trennung ging ein Jahr lang eine Krise, verbunden mit Streitigkeiten zwischen den Eltern, voraus, die sich auch auf die Kinder in Form von Verunsicherung und Ängsten auswirkte. Hinzu kam nach den Worten von Frau Alteck ihre eigene Erschöpfung, die im Frühjahr 1991 dazu führte, dass sie sehr schnell eine Müttergenesungskur genehmigt bekommen hatte. Herr Alteck versorgte während dieser Zeit von Freitag bis Montagmorgen die Kinder; von Montag bis Donnerstagabend kam eine Familienhelferin ins Haus. Frau Alteck berichtete, dass nach ihrer Rückkehr aus der Kur Yvonne wieder einnäßte. Anna war jedoch nie ganz trocken gewesen. Sie berichtete auch von weiteren Auffälligkeiten bei allen drei Kindern. Dies ist nicht verwunderlich, da Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit der Gefahr des Verlusts eines Elternteils als äußerst bedrohlich von Kindern empfunden werden. Schon der mehrwöchige Kuraufenthalt der Mutter konnte in dieser Situation Ängste auslösen. Die Desorganisation in der Familie, die einer Trennung vorausgeht, kann die gleichen kindlichen Reaktionen auslösen wie die tatsächliche Trennung. Gerade bei Dreijährigen treten Rückschritte in der Sauberkeitserziehung bei einer Elterntrennung sehr häufig auf. Auch in der Altersgruppe der Vier- bis Sechsjährigen ist es nicht ungewöhnlich. Das hängt auch vom Ausmaß des elterlichen Konflikts ab. Verhaltensauffälligkeiten wie lrritierbarkeit, Ängstlich keit, aggressives und destruktives Verhalten sowie Schlafstörungen kommen bei den Drei- bis Siebenjährigen ebenfalls häufig vor. Die kindlichen Reaktionen auf die Trennung der Eltern sind je nach Alter des betreffenden Kindes unterschiedlich. Yvonne war etwas über 3 ‘/z Jahre alt. Kinder dieser Entwicklungsstufe reagieren verstört auf den Verlust des Vaters. In ihren Spielaktivitäten stellen Kinder ihres Alters ihre Einsamkeit und Trauer, sowie ein überwältigendes Gefühl von Hilflosigkeit dar. Genau das wurde von Yvonne aus ihrer Therapie berichtet. Yvonne wurde lange Zeit als retardiert und in der Entwicklung zurückgeblieben geschildert. Erhöhte Irritiertheit, verstärktes Weinen und Regression zählen zu den vorherrschenden Reaktionen einer Dreijährigen auf die Trennung. Hält der Verlust des Vaters an, kann von einer Verstärkung der Symptomatik ausgegangen werden. Maria war mit 5 Jahren und 8 Monaten zwar durchaus in der Lage, die Trennung der Eltern zu verstehen. Der heftige Konflikt zwischen den Eltern und der abrupte und nachhaltige Verlust des Vaters wurde von Prof. Lempp im ersten Gutachten beschrieben: Maria war traurig und äußerte den Wunsch, den Vater wiederzusehen. Erhöhte Ängstlichkeit, verstärktes Weinen und Trennungsängste zählen ebenfalls zu den häufigsten Reaktionen dieser Entwicklungsstufe. Herr Alteck berichtete, dass er Maria von weitem öfter weinend gesehen habe. Frau Alteck hob Marias Ängstlichkeit hervor.

    Kommt es zu keiner Lösung des Konflikts, ist im Laufe der Zeit mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten zu rechnen (Fthenkakis et al., 1982). Sehr häufig treten Konzentrationsstörungen auf. Frau Alteck berichtete, dass Maria bis vor kurzem unaufmerksam und unkonzentriert gewesen sei. Offensichtlich ist mit Beginn der Pubertät eine Änderung eingetreten. Die siebenjährige Anna war kognitiv und emotional auf einem andere Entwicklungsstand als ihre jüngeren Schwestern. Kinder dieser Altersgruppe beginnen zu verstehen, dass nicht beobachtbare Motive hinter realen Handlungen stehen können. Die Beziehung der Eltern wird jedoch noch sehr eng mit der eigenen Beziehung zu ihnen verknüpft. Ein siebenjähriges Kind ist noch nicht in der Lage zu erfassen, dass die Entscheidung zur Trennung von beiden Eltern getroffen worden ist, sondern die Trennung wird persönlichen Motiven zugeordnet. Zum Beispiel, dass der Vater gehe, weil ihn etwas geärgert habe oder dass die Mutter ihn wegschicke, weil er etwas falsch gemacht habe. Aus dieser Einschätzung heraus fürchtet das Kind, ebenfalls weggeschickt zu werden, wenn es den Zorn der Mutter hervorrufe. In diesem Alter treten Loyalitätskonflikte zu ersten Mal auf (Fthenakis, 1993). Auf diesem Hintergrund ist Annas Äußerung zwei Tage nach der Trennung der Eltern zu verstehen. Sie bat die Mutter, sie nicht allein mit dem Vater zu lassen. Die Trennung der Eltern wird als existentielle Bedrohung empfunden. Der —auch kurzfristige oder gewohnte - Weggang des verbliebenen Elternteils kann jederzeit die Angst auslösen, dieser komme ebenfalls nicht wieder. Die Sieben- bis Achtjährigen neigen auch dazu, den Elternteil zu beschuldigen, den sie für die Trennung verantwortlich machen.

    Die Trennung der Eltern und der von der Mutter zwei Tage danach erhobene Vorwurf, der Vater habe Anna sexuell missbraucht, hat zu einem Kontaktabbruch zwischen Vater und Kindern geführt, der bis heute anhält. Die Mutter war nach ihren eigenen Angaben bestrebt, ab sofort den Kontakt zwischen Vater und Kindern zu unterbinden. Für Frau Alteck gab es keinen Zweifel, dass der Missbrauch vorgefallen sei, sie dehnte ihn sogar auf die beiden jüngeren Kinder aus. Es kam zu einer Polarisierung innerhalb des Verwandten- und Bekanntenkreises der Familie. Frau Alteck brach den Kontakt zu allen ab, die den Missbrauchsvorwurf nicht teilten bzw. die mit

     

     

    Herrn Alteck in Verbindung blieben. Von einem Tag auf den anderen verloren Anna, Maria und Yvonne die außer der Mutter wichtigste Bezugsperson sowie fast alle anderen sozialen Beziehungen, die ihnen vertraut waren und mit denen sie sich bislang wohl gefühlt hatten. Der Vater, dem sie bislang vertrauten und den sie als positiv erlebt hatten, war plötzlich zur Unperson geworden, mit der sie nichts mehr zu tun haben durften. Keines der Kinder war vom kognitiven Entwicklungsstand her in der Lage, diesen Wechsel zu verstehen, geschweige denn zu verarbeiten. Aus der Reaktion der Mutter lernten sie, dass es etwas ganz Furchtbares war, wenn der Vater sich ihnen näherte, wenn er sie sehen oder mit ihnen sprechen wollte. Dinge, die sie vorher selbstverständlich mit ihm machten. Das gesamte Lebensumfeld war in Auflösung begriffen. Das Einzige, das den Kindern blieb, war die Mutter.

    Die Härte und Unerbittlichkeit, mit der die Eltern ihren Konflikt austrugen, der Verlust des Vaters und die Weigerung der Mutter, in irgendeiner Form einen Kontakt zwischen Vater und Kindern zuzulassen, machte die Situation für Anna, Maria und Yvonne in höchstem Maße bedrohlich. Sie mußten verhindern, die Mutter auch noch zu verlieren. Zum eigenen Schutz und zur eigenen Sicherheit mußten sie sich bedingungslos auf die Seite der Mutter stellen. Der Vater wurde plötzlich als bedrohlich empfunden, weil sich die Mutter bedroht fühlte und weil sie den Kindern vermittelte, der Vater habe den Kindern etwas angetan und werde ihnen bei jedem Kontakt wieder etwas tun. Die Kinder erlebten aber auch, welchen Ärger und welche Wut der Vater bei der Mutter auslösen konnte. Die existentielle Bedrohung durch die Trennung der Eltern mit der Folge des Kontaktabbruchs zum Vater und die damit verbundene Angst von Anna, Maria und Yvonne führten zur ausschließlichen Hinwendung zur Mutter: zur Angstbindung (Bowlby, 1982). Eine Angstbindung drückt sich in einer übermäßigen Abhängigkeit von der Bindungsperson aus, die einhergeht mit der ständigen latenten Furcht, durch eigenes Fehlverhalten die Bezugsperson zu verlieren. Dabei war für Maria und Yvonne aufgrund ihres Alters die Situation noch bedrohlicher und unübersichtlicher als für Anna, da sie weder intellektuell noch emotional zum Verständnis in der Lage waren. Bei Maria und Yvonne war das auch bei der Exploration deutlich zu spüren. Das Thema "Vater" löste bei ihnen starke Ängste aus. Als Ursache ist nicht die Angst vor dem Vater anzusehen, sondern aufgrund einer "falschen" Antwort die Mutter zu verärgern und dadurch zu verlieren. Am deutlichsten zeigte sich das bei Yvonne, die bei der Trennung viel zu klein war, um irgendetwas zu verstehen. Sie hatte gar keine andere Wahl, als sich ihren größeren Schwestern anzupassen. Deshalb waren Yvonnes Antworten in bezug auf den Vater auch am stärksten stereotyp, sie wiederholte zum Teil wörtlich die Argumente der Mutter. Sie kam auch deshalb am meisten von allen unter Druck, weil sie kaum auf eigene Erinnerungen mit dem Vater zurückgreifen kann. Aber auch bei Maria war spürbar, wie gefährlich und angstbesetzt es für sie ist, Aussagen zum Vater zu machen. Sowohl Maria als auch Yvonne hatten keine eigenen, erlebnisfundierten Argumente, warum sie den Vater nicht sehen wollen. Sie wiederholten immer wieder die gleichen dürftigen Angaben. Annas Situation unterschied sich von der ihrer Schwestern. Anna bewies der Mutter mit ihrer Bemerkung, dass sie voll und ganz auf der Seite der Mutter stehe. Dies garantierte ihr den Schutz der Mutter und damit die größtmögliche Sicherheit davor, selbst weggeschickt zu werden. Durch die Schuldzuweisung an den Vater löste sie ihren eigenen Loyalitätskonflikt. Gerade in der mittleren Kindheit sind Kinder sehr anfällig für Loyalitätsdruck seitens eines Elternteils. Die Ablehnung und Abwertung des anderen Elternteils dient ihnen als Schutz gegenüber der eigenen Zerrissenheit zwischen beiden Eltern (Lempp, 1993). Der Vater mußte gehen, weil er etwas ganz Schlimmes getan hatte. Wer immer mit dem Vater Kontakt aufnimmt, erleidet das gleiche Schicksal und wird fortgeschickt. Davor will Anna ihre jüngeren Schwestern selbst heute noch bewahren. Sie zeigte sich fest entschlossen, jegliche Kontaktaufnahme ihrer Schwestern mit dem Vater zu verhindern. Durch ihre Äußerung gegenüber der Mutter bekam Anna von ihr eine privilegierte Position in der Familie zugewiesen. Die Mutter benutzte Anna, um den Vater von der Familie fernzuhalten. Anna wurde zum "Opfer", das ganz besonders die Zuwendung und Fürsorge der Mutter benötigte und auch erhielt. Dadurch bekam Anna gegenüber ihren Schwestern eine nahezu unantastbare Stellung. Frau Alteck holte und holt sich von Anna die Bestätigung und Rechtfertigung für ihr Tun. Anna bekam und bekommt im Gegenzug von der Mutter die Bestätigung, alles richtig zu machen, ganz besonders zu sein und am meisten geliebt zu werden. Die Identifikation Annas mit der Mutter ist derart stark, dass sie nicht die geringste Kritik an der Mutter ertragen kann. Wer immer der Mutter widerspricht, gefährdet auch Annas Position, da ihre Ängste virulent werden. Dies löst bei Anna eine blinde Verteidigung der Mutter aus.

    Der Umzug nach Sonstwo und damit die Herauslösung aus dem gesamten bisherigen Lebensumfeld verstärkten die Bedeutung der Mutter für die Kinder. Sie war zur einzigen Sicherheit, zur einzigen Bezugsperson geworden. Dadurch, dass der Vater zunächst die Adresse nicht kannte, blieben die Konflikte zwischen den Eltern aus. D.h. die Kinder erlebten keine bedrohlichen Szenen zwischen den Eltern, sie erlebten die Mutter entspannter und das wirkte sich aufgrund der Abhängigkeit der Kinder von der Mutter ein Stück weit entlastend aus. Versuche des Vaters, Kontakt aufzunehmen, werden von den Kindern als Bedrohung wahrgenommen. Dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen, weil die Mutter mit Wut und Haß reagiert und die Kinder den unerbittlichen Konflikt zwischen den Eltern mitbekommen, in dem auch Herr Alteck gegenüber der Mutter seine Wut zeigt. Diese negativen Gefühlsreaktionen lösen bei den Kindern Angst aus und erinnern zudem an die Zeit der Desorganisation aus der Trennungszeit. Zum anderen wird durch den Kontakt mit dem Vater die Angst mobilisiert, die Mutter und damit die notwendige Sicherheit zu verlieren. Die Angst bzw. das "komische Gefühl", das alle drei Kinder als Angst vor dem Vater bezeichneten, hat ihren Ursprung in der Bindungsbeziehung zur Mutter. Es kann eindeutig nicht von einer Angst vor dem Vater ausgegangen werden. Im Kontakt mit dem Vater zeigten alle drei Kinder nach anfänglicher Scheu ein ungezwungenes und angstfreies Verhalten. Anna, die am stärksten von den drei Schwestern für ihre Mutter sorgt und es ihr recht machen will, spürt auch die Bedrohung am stärksten, die von Kontakten mit dem Vater ausgehen. Ihre Angst, wenn Maria und Yvonne Umgang mit dem Vater hatten, ist Ausdruck der Angst, die Mutter könnte aus Verärgerung über die Annäherung die beiden jüngeren Schwestern wegschicken.

    Frau Alteck vermittelte den Kindern seit der Trennung, dass sie keinen Kontakt zwischen ihnen und dem Vater wünsche. Sie bezeichnete vor den Kindern den Vater als Täter, der sich an ihnen vergangen habe und dies jederzeit wieder tun würde. Frau Alteck entwertet den Vater vor den Kindern in jeder Hinsicht. Sie bringt das emotional durch ihre Verachtung, Empörung und Wut vor den Kindern zum Ausdruck. Die Entwertung äußerte Frau Alteck auch verbal. Sie verhehlt ihre Einstellung vor den Kindern in keiner Weise. Frau Alteck schürt auch ganz bewußt Ängste bei den Kindern, wenn sie sagt, Herr Alteck habe "zwei Gesichter". Er sei nett und freundlich, wenn andere Personen anwesend seien und werde zum Bösewicht, wenn er mit der Familie oder den Kindern allein sei. Damit verunsichert sie die Kinder und bindet sie an sich. Ihr zentraler Vorwurf an Herrn Alteck, er habe alle Töchter sexuell missbraucht, ist häufiges Thema in der Familie. Die Entwertung des Vaters bezieht sich aber auch auf die Zeit vor der Trennung. Frau Alteck bezeichnete die Beziehung zwisöhen Vater und Kindern während der Ehezeit als nicht besonders. Er habe sich eigentlich nur auf ihre Veranlassung hin um die Kinder gekümmert oder wenn andere Leute zugegen waren. Die Entwertung von Bezugspersonen der Kinder bezieht sich jedoch nicht nur auf den Vater, sondern ebenso auf ihren früheren Lebensgefährten, Herrn Ries, und die Großeltern. Herr Ries wurde während der Beziehung in den Akten als "Vaterersatz" für die Kinder bezeichnet, zu dem diese eine sehr gute Beziehung hätten. In der Exploration gab Frau Alteck nur widerwillig zu, dass die Beziehung ganz am Anfang ein bißchen positiv gewesen sei. Aber auch nur deswegen, weil Herr Ries die Mädchen gewissermaßen bestochen habe. Letztendlich habe er sich allen gegenüber ganz mies verhalten, so wie der Vater auch: er habe Anna missbraucht, habe die Mädchen für sich benutzt und als sie das nicht mehr zuließ, habe er geklagt. Auch den Großeltern wirft Frau Alteck vor, die Mädchen nur für ihre eigene Zwecke benutzen zu wollen. Deshalb könne sie auch da keinen Kontakt mehr zulassen. Frau Alteck hat zu allen Bezugspersonen, die im Leben der Kinder eine Rolle spielten, die Beziehung abgebrochen. Mit dem Kontaktabbruch erfolgte auch die Entwertung. Frau Alteck hat es damit geschafft, die einzige Bezugsperson für die Kinder zu sein. Ihr Töchter sind vollkommen abhängig von ihr. Vor allen Dingen haben Anna, Maria und Yvonne gelernt, dass es die Mutter nicht wünscht, dass sie zu anderen erwachsenen Personen eine Bindung entwickeln dürfen. Eine Beziehung zu wichtigen Anderen kann von der Mutter jederzeit zerstört werden.

    Wenn es um Beziehungen zu anderen Bezugspersonen geht, ist die Beeinflussung durch die Mutter ganz massiv. Frau Alteck schüchtert die Kinder mit vielfältigen Szenarien ein. Sie schärfte den Kindern ein, wenn sie den Vater nicht rundherum ablehnen, könne es passieren, dass er das Sorgerecht bekomme und die Mutter in das Gefängnis müsse. Diese Äußerung löste bei allen drei Töchtern ziemliche Ängste aus. Frau Alteck verbindet mit ihren Einschüchterungen die Androhung, die Kinder würden die Mutter verlieren, wenn sie nicht ganz klar die Position der Mutter vertreten. Auf dem Hintergrund der Angstbindung verfehlt diese Drohung niemals ihre Wirkung. Da die Mutter derzeit die einzige Sicherheit und Bezugsperson für die Kinder ist, wird ihr Verlust als Katastrophe gefürchtet. Frau Alteck überläßt die Entscheidung eben nicht ihren Töchtern, sondern sie übt nach ihren eigenen Angaben regelrecht mit den Kindern, wie sie sich bei Befragungen zu verhalten haben. Die Einschüchterung wird jedoch auch dadurch betrieben, dass Erwachsene, die für die Kinder eine Bedeutung bekommen haben, als gefährlich hingestellt werden. Sie bekommen den Ruch des "Verführers", der vordergründig zu den Kindern lieb und nett sei und sobald die Mutter nicht anwesend ist, das wahre und böse Gesicht zeige. Nur sie selbst erkenne die Gefahr, die von anderen Menschen, insbesondere von Männern, ausgehe. Deshalb müsse sie auch immer genau informiert werden, welche Kontakte die Kinder haben, um die Kinder davor zu schützen. Am besten sei es, wenn sie dabei sein könnte. So warnte Frau Alteck die Kinder vor dem Gespräch mit dem Vater, sie sollten nicht auf ihn hereinfallen, er zeige nicht sein wahres Gesicht, da die Sachverständige anwesend sei. Was die Darstellungen der Mutter so überzeugend macht, sind ihre emotionalen Reaktionen bei der Schilderung der jeweiligen Personen. Kinder orientieren sich noch stärker als Erwachsene an der Verhaltensebene. Nicht nur was gesagt wird, hat eine Wirkung, sondern wie, mit welchem affektiven Ausdruck etwas gesagt wird.

    Frau Alteck betonte mehrfach, dass nur in ihrer Anwesenheit die Kinder sich sicher fühlen würden. Dies ging so weit, dass sie ihren heranwachsenden Töchtern im Alter von 16, 14 und 12 Jahren nicht zutraute, alleine Termine bei der Sachverständigen wahrzunehmen. Durch ihre fast lückenlose Präsenz erinnerte Frau Alteck die Kinder daran, welches Verhalten sie von ihnen erwarte. Frau Alteck überwacht die Kinder nahezu vollständig. Lediglich in der Schule und in den Freizeitaktivitäten können die Mädchen selbständig und unbeaufsichtigt über sich verfügen. Es gilt jedoch die Einschränkung, dass Frau Alteck von ihren Töchtern absolute Offenheit und Loyalität verlangt. D.h., sie erwartet, dass die Mädchen ihr alles berichten, was sie erleben und mit wem sie umgehen. Sowohl Anna, Maria als auch Yvonne bestätigten, dass sie ihrer Mutter alles erzählen würden. Dies ist für Mädchen ihres Alters ausgesprochen ungewöhnlich. Anna ist stolz auf ihr Vertrauensverhältnis zur Mutter und nannte es als Grund, warum die Mutter ihr alles erlaube. Maria berichtete zwar auch, dass sie der Mutter alles erzähle, Anna stellte das jedoch in Frage. Anna äußerte, Maria dürfe nicht so viel wie sie selbst, weil sie der Mutter zu wenig berichte. Frau Alteck war stolz darauf, "Mutter, Vertraute und Therapeutin" ihrer Töchter zu sein. Damit hat Frau Alteck die uneingeschränkte Kontrolle über die Kinder. Diese Form der Beeinflussung ist subtil und vielfältig. Sie kann damit in allen Lebensbereichen die Töchter kontrollieren. Bezugspersonen haben auf jüngere Kinder den entscheidenden Einfluß, ihre Meinungen, Wertungen und Verhaltensweisen werden durch Nachahmung übernommen (Modellernen). Das Vorhandensein mehrerer Bezugspersonen führt zu einer größeren Variationsbreite der angebotenen Modelle und damit zu einer größeren Auswahl an Vorbildern. Mit zunehmendem Alter verliert der Einfluß der Eltern an Bedeutung. Gleichaltrige und außerfamiliäre Sozialkontakte werden für Heranwachsende immer wichtiger. Anna, Maria und Yvonne sind in ihrem Umfeld gut eingebunden, sie haben viele Freundschaften, gehen gerne in die Schule, sind insgesamt gut integriert. Frau Alteck ist fest entschlossen, in eine neue Umgebung zu ziehen und die Kinder aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld und allen Beziehungen herauszureißen. Sie gab das als Wunsch der Kinder aus. Die Kinder reagierten jedoch mit Angst. Mit dem Umzug in eine neue und abgelegene Gegend wird Frau Alteck die alles bestimmende und kontrollierende Person im Leben der Kinder bleiben bzw. ihre Position sogar verfestigen. Eine altersgemäße Ablösung der Kinder kann Frau Alteck nicht zulassen. Frau Alteck definiert sich in erster Linie als Mutter. Sie hat wenig konkrete Zukunftsvorstellungen, wie sie leben will, wenn die Kinder erwachsen sind. Sie braucht die Abhängigkeit und Bewunderung ihrer Kinder und wird den Umzug um jeden Preis durchsetzen, so wie sie das auch in der Vergangenheit getan hat, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder. Daß der Umzug momentan aufgeschoben ist, liegt daran, dass Anna mit ihren Lehrern so zufrieden ist. Dies bestätigt ein weiteres Mal die Bedeutung, die Anna in der Familie hat und wie symbiotisch verbunden Anna und die Mutter sind. Das Ausmaß an Idealisierung, das Frau Alteck durch die Kinder erfährt, zeigt, wie vollständig die Abhängigkeit der Kinder von ihr ist. Schon die geringste Kritik wird als Bedrohung empfunden, der den Verlust der Mutter nach sich ziehen könnte. Frau Alteck unterscheidet nicht zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und denen der Kinder. Den geplanten Umzug gab sie als Wunsch der Kinder aus, die jedoch aufgrund ihrer Angst nicht freudig reagieren konnten. Auch bezüglich der Kontakte zum Vater, beruft sie sich auf den Willen der Kinder. Frau Alteck interpretiert als "Therapeutin" ihrer Töchter deren Gefühle nach eigenem Gutdünken. Wenn Anna, Maria oder Yvonne die Meinung der Mutter vertreten, lobt sie sie für ihren Mut und ihren eigenen Willen. Die Mutter hatte auch keinen Zweifel daran, dass die betreuten Kontakte Maria und Yvonne nicht gut getan hätten. Yvonne hatte dagegen berichtet, dass sie es auch ganz schön fand, den Vater zu treffen. Die Wachsamkeit und Loyalität, die Anna gegenüber der Mutter zeigt, können als erhebliche Parentifizierung interpretiert werden. Anna fühlt sich vollkommen für das Wohlergehen der Mutter verantwortlich. Die Mutter kann sich vollständig auf Anna verlassen. Anna bewies ihre absolute Loyalität gegenüber der Mutter, als es darum ging, den Vater und den Ersatzvater aus dem Leben von Mutter und Kindern zu drängen: das erste Mal, als sie zur Mutter sagte, der Vater habe würde ihr etwas antun, wenn die Mutter weg sei; das zweite Mal mit der Anzeige gegen den Vater, als es einen unbetreuten Umgang geben sollte und das dritte Mal mit der Anzeige gegen Herrn Ries, als er unbetreuten Umgang mit Joscha gerichtlich durchsetzte.

     

     

    Die Kinder äußern tatsächlich, dass sie keinen Umgang wünschen. Weder Anna, noch Maria, noch Yvonne können auf dem Hintergrund, dass die Mutter die einzige Bezugsperson ist, etwas anderes ausdrücken. Von daher ist die subjektive Überzeugung der Kinder nicht in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich jedoch nicht um einen eigenständigen und freien Willen. Der Wille eines Kindes in bezug auf seine Bezugspersonen ist immer Ausdruck seiner Bindungen und Neigungen und nicht eine freie rationale Entscheidung. Je konflikthafter das Verhältnis zwischen den Eltern, um so eindeutiger sind die Willensbekundungen eines Kindes zugunsten des Elternteils, bei dem es lebt und von dem es abhängt. Aufgrund der Angstbindung können Anna, Maria und Yvonne gar keine andere Antwort geben; sie wiederholen immer wieder ihr "Nein". Die Ablehnungsgründe der Kinder sind stereotyp und wenig überzeugend, da sie nicht aus dem eigenen Erleben der Kinder stammen.

    Die Vorwürfe von Herrn Alteck, die Mutter manipuliere die Kinder, die Äußerung der Ablehnung sei durch die Mutter zustande gekommen, treffen Anna, Maria und Yvonne. Anna und Maria verwahren sich ganz besonders dagegen. Zum einen sind sie jetzt in einem Alter, in dem sie sehr empfindlich auf die Mißachtung der eigenen Person und des eigenen Willens reagieren. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und sind über den Vater verärgert. Sie lügen ja nicht, sondern äußern Gefühle. Sie können aufgrund der derzeitigen Situation gar nicht anders. Zum anderen solidarisieren sie sich ein weiteres Mal mit der Mutter, da jeder Angriff gegen die Mutter in ihrem Empfinden auchgegen sie selbst geht. Die Polarisierung zwischen Mutter und Kindern auf der einen Seite und Vater auf der anderen wird verstärkt.

    Als Grund für die Umgangsverweigerung nannte Frau Alteck, der Vater habe Anna, Maria und Yvonne sexuell missbraucht. Sie habe betreuten Kontakten in der Vergangenheit nur deshalb zugestimmt, weil sie dazu gedrängt worden sei. Für sie sei das Sicherheitsbedürfnis der Kinder vorrangig gewesen. Sie habe sich gewünscht, dass auch Herr Alteck das akzeptiere und mit Regelungen einverstanden sei, die die Angst der Kinder berücksichtigt hätten. Dazu sei er jedoch nicht in der Lage gewesen. Unbetreuten Kontakten könne sie jedoch nie zustimmen. Annas Äußerungen nach der Trennung, ihre Strafanzeige gegen den Vater und die Symptome bei allen drei Mädchen sah Frau Alteck als Beweis für den Missbrauch an. Zur Entstehung des Verdachts berichtete Frau Alteck, er sei "von außen" an sie herangetragen worden. Therapeuten mit Erfahrung auf dem Gebiet hätten sie davon überzeugt, dass die Kinder sexuell missbraucht worden seien.

    Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Missbrauchsvorwurf um eine durch Suggestion entstandene Überzeugung handelt (Yapko, 1996). Frau Alteck war damals in Bezug auf das Thema Missbrauch sensibilisiert. Anfang der neunziger Jahre herrschte ganz allgemein ein Klima, dass bei Auffälligkeiten bei Kindern sehr schnell an Missbrauch gedacht wurde und dieser Verdacht auch voreilig geäußert wurde. Anna hatte nichts Konkretes benannt, sondern Frau Alteck schloß das sofort aus Annas Äußerung. Auch auf Fragen der Mutter erzählte Anna nicht mehr. Ohne andere Erklärungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, wandte sich Frau Alteck an eine parteiliche Beratungsstelle, die per definitionem immer von einem Missbrauch ausgeht, wenn jemand um Beratung nachsucht. Der Verdacht wurde von Kobra "bestätigt", alle Kinder und die Mutter begannen eine Therapie wegen Missbrauch. Frau Alteck war nach ihren eigenen Angaben damals in einer persönlichen Krise. Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, suchen Halt und Orientierung und sind ausgesprochen empfänglich für suggestive Einflüsse. Erklärungen werden akzeptiert, wenn sie plausibel sind und eine Lösung versprechen.

    Frau Alteck wurde von verschiedenen Stellen und Personen darin bestätigt, dass die Ursache für das Scheitern der Beziehung darin liege, dass Herr Alteck Anna und die beiden jüngeren Kinder sexuell missbraucht habe und dass sie insoweit einen eigenen Beitrag dazu geleistet habe, dass sie sich einen "Täter" als Partner ausgesucht habe, weil sie möglicherweise selbst Missbrauchsopfer sei. Zu dieser Überzeugung kam Frau Alteck im Laufe ihrer Therapie. In deren Folge sah sie es als ihre Aufgabe an, diesen "roten Faden sexueller Missbrauch" aufzulösen und die Kinder zu schützen. Die Therapie bei einer parteilichen Beratungsstelle, die von vornherein von einem Missbrauch ausging, führte infolge der suggestiven Wirkung zwangsläufig zu der Überzeugung, missbraucht worden zu sein. Berücksichtigt man die Tatsache, dass in einer therapeutischen Situation suggestive Einflüsse ein Rolle spielen, da von einer mächtigeren Person Hilfe erwartet wird, ist es nicht unerheblich, welche Überzeugung Therapeuten haben.

    Zu dem Phänomen der "wiedererlangten Erinnerung", das sowohl Anna für sich in Anspruch nimmt, als auch Frau Alteck, die in ihrer Therapie sich an den Missbrauch durch ihren Vater erinnert haben will: dies ist aus gedächtnispsychologischen Gründen nicht möglich. Das Gedächtnis arbeitet nicht wie ein Speicher, von dem man jederzeit die abgelegten Erinnerungen abrufen kann oder durch "Erinnerungsarbeit" die konservierten Erinnerungen wieder zugänglich machen kann. Das Gedächtnis reproduziert nicht, sondern es ist eine aktive rekonstruierende psychische Funktion. Ständig werden neue Informationen aufgenommen und mit den vorhandenen verbunden. Je länger der zeitliche Abstand, um so veränderter ist die ursprüngliche Wahrnehmung. Erinnerungen sind für nachträgliche (Fehl)informationen anfällig und es kann daher leicht zu Pseudoerinnerungen kommen (Loftus u. Ketcham, 1995; Cronbag u. Merckelbach, 1997, Yapko, 1996). Wir vermischen die Erzählungen anderer mit unseren eigenen Erinnerungen und bilden daraus ständig neue "Erinnerungen", die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen müssen. So ist auch davon auszugehen, dass die Äußerung Yvonnes, sie erinnere sich daran, dass der Vater sich mit Anna öfter im Badezimmer einschloß, eine "Pseudoerinnerung" ist, die aufgrund von Erzählungen entstanden ist. Dies ist um so wahrscheinlicher im Hinblick auf ihr Alter: sie war damals 3 Jahre alt. Eine detailgetreue Erinnerung ist schlichtweg nicht möglich. Daß Anna so lange die Erinnerungen an den Missbrauch "verdrängt" habe und dann durch ihre ersten sexuellen Kontakte wieder darauf gestoßen sei, kann als unwahrscheinlich betrachtet werden. Es dürfte sich in diesem Falle um "suggerierte Erinnerungen" (Yapko, 1996) handeln, zumal Anna nach ihren Angaben ständig mit ihrer Mutter darüber sprach und diese ihre Sicht der Dinge einfließen ließ. Die Sachverständige im Strafverfahren, Frau Dr. Pohle-Hauß äußerte aus gedächtnispsychologischen Gründen ebenfalls Bedenken gegen Annas Erinnerungen. Es ist außerdem sehr unwahrscheinlich, dass Anna ein traumatisches Erlebnis wie eine anale Vergewaltigung innerhalb von Minuten komplett "verdrängen" konnte. Neuere psychologische Untersuchungen bestätigen, dass gerade traumatische Erfahrungen die Tendenz haben, immer wieder (ungewollt) erinnert zu werden. Tatsächliche Missbrauchsopfer erinnern sich in der Regel an die Tat (Cronbag u. Merckelbach, 1997; Loftus u. Ketcham, 1995). Aus Annas Verhalten bei der Exploration ließ sich kein Hinweis auf ein traumatisches Erlebnis ableiten. Es war ihr peinlich, Details zu erzählen, aber sie lachte dabei und wurde ganz unbekümmert, als sie allgemeiner über Missbrauch sprach und dass sie davon ausgehe, dass da öfter etwas gewesen sein müsse. Dies widerspricht ihrer Aussage bei der Kripo, wo Anna berichtete, dass es nur auf Texel einmal zu sexuellen Handlungen gekommen sei. Weder davor, noch danach sei etwas gewesen. Dies widerspricht auch den Darstellungen von Frau Alteck und den früher geäußerten Vorwürfen. Es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass Anna im Affekt zu ihrem Vater die Äußerung machte, er könne nicht wissen, was zwischen ihnen vorgefallen sei. Dies ist immerhin ein Hinweis darauf, dass ihre subjektive Überzeugung, missbraucht worden zu sein, nicht ganz lückenlos ist.

    Zur "Bestätigung" des Missbrauchsverdachts anhand der Symptome der Kinder: Ein spezifisches Verhaltenssyndrom für sexuellen Missbrauch gibt es nicht (Greuel et al. 1998). Es gibt keine Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten, weder unspezifische noch spezifische wie z.B. Spielverhalten oder sexualisiertes Verhalten, die als Hinweis für Missbrauch gelten können (Crombag u. Merckelbach, 1997). Auch aus Kinderzeichnungen, weder vom Inhalt her noch aufgrund der Farbpräferenz, lassen sich empirisch Kausalzusammenhänge mit sexuellem Missbrauch nachweisen. Als Tatsachenbeweis sind Kinderzeichnungen völlig ungeeignet (Greuel et al., 1998).

    Die psychosomatischen Reaktionen von Anna, Maria und Yvonne auf den Trennungskonflikt sind durch psychologisch nicht fundierte lnterpretationen von parteilichen Beratungsstellen als Hinweise auf sexuellen Missbrauch gedeutet worden. In deren Folge sind alle drei Mädchen inklusive der Mutter wochen- bzw. monatelang suggestiven Befragungs- und Beeinflussungstechniken ausgesetzt worden: Induzierung von Stereotypen (z.B. böser Vater), wiederholte Befragungen, Konformitätsdruck (z.B. bei Maria und Yvonne die Erwartung, die gleichen Angaben wie Anna zu machen), positive Verstärkung erwarteter Antworten. Dazu gehören auch spezielle Techniken, die bei der parteilichen Auf deckungsarbeit angewandt werden: das Fokussieren des Kindes auf die Thematik Sexualität, das Besprechen von guten und schlechten Geheimnissen, von guten und schlechten Berührungen. Als Beispiel sei hier das Schweigegebot angeführt, das Maria einmal nach einer Therapiestunde geäußert haben soll; auch Anna erwähnte es immer wieder. Diese Techniken können dazu führen, dass Kinder falsche Überzeugungen (Pseudoerinnerungen) entwickeln. Eine psychotherapeutische Behandlung des Kindes im Falle eines falschen Missbrauchsverdacht kann zu der Selbstwahrnehmung des Kindes als sexuell missbraucht führen (Busse et al., 2000). Eine Begutachtung Annas nach Äußerung des Verdachts durch unparteiliche und aussagepsychologisch geschulte Experten, die nicht mit suggestiven Techniken arbeiten, hätte sicher zu einer Klärung beitragen können. Dies wurde damals von Frau Alteck abgelehnt.

    Kinder sind leicht suggestiv beeinflußbar und neigen dann dazu, den Befragern das zu sagen, was diese hören wollen (Ceci, 1996). Kinder können zuverlässige Aussagen liefern, wenn sie nicht unter Druck gesetzt werden. Eine fachkundig durchgeführte Glaubhaftigkeitsbegutachtung hat keine negativen Auswirkungen auf ein Kind.

    Auch wenn die Sachverständige zu dem Ergebnis kommt, dass der Missbrauchsverdacht gegen Herrn Alteck nicht begründet ist, sind Frau Alteck und Anna vollkommen vom Missbrauch überzeugt. Maria und Yvonne behaupten dies ebenfalls. Inwieweit die beiden jüngeren Mädchen davon überzeugt sind, kann nicht mit Sicherheit beurteilt werden. Für Frau Alteck ist sexueller Missbrauch zum Lebensinhalt geworden. Je weniger ihre Darstellungen von der Umwelt geglaubt werden, um so hartnäckiger hält sie — aufgrund der kognitiven Dissonanz - daran fest. Sie teilt die Menschen in Opfer und Täter ein. Wer ihre Meinung nicht teilt, wird je nach Geschlecht einer der beiden Kategorien zugeteilt. Frauen, die eine andere Sicht der Dinge haben, werden als Missbrauchsopfer stigmatisiert, die nicht den Mut haben, dazu zu stehen und die sich infolgedessen den Männern unterordnen. Männer werden als Täter abgestempelt. Diese Zweiteilung der Welt hat für die Kinder fatale Folgen. Von heute auf morgen kann eine Bezugsperson zum Täter werden, die gemieden werden muß. Wen es trifft, ist nicht objektiv nachvollziehbar, da die Anschuldigungen sich auf "verdrängte Erinnerungen" begründen und somit nicht überprüfbar sind. Die Kriterien für Missbrauch sind willkürlichen und entbehren jeder psychologischen Grundlage. Anna behauptet sogar, sie könne aufgrund des Verhaltens ihrer Freunde genau erkennen, wer Missbrauchsopfer sei und wer nicht. Sie lasse dann nicht locker, bis diese es auch eingesehen hätten. Anna führt alle Schwierigkeiten, die sie im zwischenmenschlichen Bereich hat, insbesondere diejenigen in Liebesbeziehungen, auf sexuellen Missbrauch zurück. Sie sieht, ebenso wie ihre Mutter, darin die Ursache aller Probleme. Die Schuldzuweisung ist eindeutig, andere Erklärungsmöglichkeiten werden nicht in Betracht gezogen. Frau Alteck führt auch alle psychosomatischen Reaktionen der Kinder auf Missbrauch zurück. Die Schuld liegt bei anderen, in der Regel beim Vater. In der Folge macht sie auch die Kontaktversuchen des Vaters für die psychosomatischen Symptome verantwortlich. Die Erklärung, dass der nach wie vor unerbittliche Konflikt zwischen den Eltern diese auslösen könnte, läßt Frau Alteck nicht zu. Aus den Antworten von Maria und Yvonne läßt sich außerdem schließen, dass die Reaktionen nicht so heftig sind, wie von Frau Alteck behauptet. Maria sagte, sie habe nie eingenäßt sondern Daumen gelutscht. Yvonne berichtete, sie würde nicht einkoten. Frau Alteck besteht darauf, dass es den Kindern durch Kontakt mit dem Vater schlecht gehe und nennt es als weiteren Grund, den Umgang abzulehnen. Sie teilt die Welt in gut und böse ein: wenn sie allein über die Kinder bestimme, dann seien alle symptomfrei. Frau Alteck nannte als hauptsächlichen Grund für die Einschränkung des Umgangs das Sicherheitsbedürfnis der Kinder. Da sie jedoch auch briefliche und telefonische Kontakte ablehnt und dem Vater seit Jahren keine Informationen über die schulische Entwicklung der Kinder gibt, ist festzustellen, dass Frau Alteck auch jenseits des sexuellen Missbrauchsvorwurfs den Vater aus dem Leben der Kinder ausschließt.

    Die heutige Beziehung der Kinder zum Vater muß auf dem Hintergrund gesehen werden, dass Anna, Maria und Yvonne seit der Trennung der Eltern von der Mutter in dem Glauben erzogen wurden, dass sie vom Vater sexuell missbraucht wurden. Anna hatte in den ganzen Jahren zweimal Kontakt mit dem Vater. Sie weiß nichts über ihn. Maria und Yvonne hatten sporadisch betreute Kontakte, die mehrere Jahre zurück liegen. Keines der Kinder konnte sich ein eigenes Bild vom Vater machen. Selbst brieflicher oder telefonischer Kontakt wird seit 1 Y2 Jahren abgelehnt. Die einstmals positive Bindung zum Vater ist unterbrochen. Maria äußerte, der Vater sei ihr fremd. Damit eine Bindungsbeziehung entstehen kann, muß in irgendeiner Form ein Kontakt stattfinden. In der Interaktionsbeobachtung von Vater und Töchtern wurde keine Angst oder Feindseligkeit festgestellt. Ansätze von Vertrautheit sind durchaus da. Herr Alteck leidet unter dem Verlust, er hat positive Erinnerungen an seine Töchter, er hat das Bedürfnis, mit ihnen zusammen etwas zu tun. Herr Alteck nimmt trotz der seltenen Kontaktgelegenheiten seine Töchter sehr differenziert wahr und macht sich viele Gedanken über ihre zukünftige Entwicklung. Gründe, die gegen eine Erziehungseignung sprechen würden, konnten nicht festgestellt werden. Die Erziehungsfähigkeit des Vaters ist gegeben.

    Maria und Yvonne sind in ihrer Entwicklung positiv und zeigen in ihren sozialen Beziehungen kein auffälliges Verhalten. Sie haben vielfältige Interessen und Hobbys, sind in der Schule engagiert und erfolgreich und haben Freunde. Beide Mädchen haben ihre Aktivitäten nach außen verlagert und sind in der Familie eher still und zurückgezogen. Schwierigkeiten oder Auffälligkeiten in sozialen Beziehungen liegen derzeit keine vor. Annas Situation ist problematischer. Anna hat gegenüber ihren jüngeren Schwestern eine dominante Position in der Familie, die weit über ihre Rolle als ältere Schwester hinausgeht. Anna vertritt gegenüber Maria und Yvonne auch die Position der Mutter. Seit der Trennung hat Anna eine Sonderstellung in der Familie inne, die sich in ihren sozialen Beziehungen —Freundschaften, Liebesbeziehungen, Schule — negativ auswirkt. Anna ist es gewohnt, dass unwidersprochen das getan wird, was sie möchte. Mit ihren jüngeren Schwestern klappt das. Freunde hingegen wenden sich von ihr ab, wenn sie unbeirrt auf ihren Ansichten beharrt. Anna überschätzt ihre eigenen Fähigkeiten gerade in Beziehungen. Sie behauptet von sich, dass sie diejenige sei, die den Durchblick habe. Sie bestehe so lange auf ihrer Meinung, bis der andere nachgebe. Auf die Dauer lassen sich das intelligente und selbständige Menschen nicht gefallen. Anna neigt zudem dazu, anderen die Schuld zuzuschieben. Sie wisse, wo es lang geht, die anderen eben nicht. Wenn sie in der Schule eine schlechte Note bekomme, liege das daran, dass die Lehrerin sie nicht leiden könne oder weil sie als Klassensprecherin ihre Meinung sage. Die Problematik, die Anna in ihren Liebesbeziehungen erlebt und auf sexuellen Missbrauch zurückführt, hat ihre Ursache in der emotionalen Abhängigkeit von der Mutter. Die Anpassung um jeden Preis wirkt sich in Liebesbeziehungen verheerend aus. Anna hat bislang nur die Erfahrung gemacht, dass sie geliebt wird, wenn sie sich bedingungslos aufgibt. Dies hat zur Folge, dass sie in einer Beziehung, wo jeder Mensch um seiner selbst willen geliebt werden will, massive Ängste erfährt, verlassen zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sie mit einem sehr negativen Männerbild aufgewachsen ist. Indem Frau Alteck in allen Dingen die Ratgeberin von Anna ist, bleibt dieser Teufelskreis bestehen.



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    VI. Stellungnahme zur Fragestellung des Oberlandesgerichts

    Aus dem psychologischen Befund lassen sich folgende Schlüsse ziehen:

    Frau Alteck verhindert seit der Trennung der Eltern im November 1991 den Umgang zwischen dem Vater und den Töchtern Anna, Maria und Yvonne. Durch den Beziehungsabbruch verloren die Töchter eine wichtige Bezugsperson, zu der sie bis dahin eine positive emotionale Beziehung hatten. Mit der Behauptung, der Vater habe Anna und ihre beiden jüngeren Schwestern sexuell missbraucht, lehnte die Mutter jeden Kontakt zwischen Vater und Kindern ab. Kontakte zu Freunden und Verwandten, die den Missbrauchsvorwurf nicht teilten, wurden ebenfalls abgebrochen. Der Vater wurde den Kindern von einem Tag auf den anderen als gefährlich hingestellt, mit dem sie nicht mehr in Berührung kommen durften. Die Entwertung des Vaters, der Abbruch der Beziehungen zu allen vertrauten Personen und die Auflösung des bisherigen Lebensumfelds der Kinder führte dazu, dass die Mutter zur einzigen Bezugsperson für die Kinder wurde. Die Angst der Kinder, auch die Mutter zu verlieren, führte zur Angstbindung. Der fortgesetzte erbitterte Streit zwischen den Eltern verstärkte bei Anna, Maria und Yvonne die ausschließliche emotionale Hinwendung zur Mutter. Da Frau Alteck die Beziehung zu allen Bezugspersonen der Kinder abbrach, sind die Töchter von der Mutter vollkommen abhängig.

    Der Vorwurf, der Vater habe Anna, Maria und Yvonne sexuell missbraucht, kann als unbegründet zurückgewiesen werden. Es konnten aus psychologischer Sicht keine Gründe gefunden werden, die eine Einschränkung des Umgangs zwischen Vater und Töchtern erforderlich machen. Es ist im Gegenteil sogar unbedingt erforderlich, dass die Kinder Kontakte mit anderen, gerade auch männlichen, Bezugspersonen bekommen, um aus der Fixierung von der Mutter loszukommen.

    Da die Töchter so selten Kontakt mit dem Vater hatten, kann die Ablehnung des Vaters nicht in seiner Person liegen, denn sie kennen ihn kaum. Ihnen sind die entwertenden Darstellungen der Mutter und ihre emotionale Reaktionen in bezug auf den Vater bekannt und sie erlebten die heftigen Konfliktsituationen, wenn beide Eltern aufeinander trafen. Der Grund für die Ablehnung des Vaters durch die Töchter liegt zum einen in der Angstbindung zur Mutter, die zur Idealisierung der Mutter und Entwertung des Vaters führte. Es kann jedoch auch von einer massiven Beeinflussung der Kinder durch die Mutter ausgegangen werden. Dem Vater wurden nicht nur Umgangskontakte verweigert, sondern er wurde weitgehend aus dem Leben der Kinder ausgeschlossen. Er erhielt keinerlei Informationen über die Entwicklung der Kinder.

    Aufgrund des vorliegenden psychologischen Befunds kann festgehalten werden, dass bei einem Verbleib bei der Mutter den Kindern alle Entwicklungschancen zu einem eigenständigen Leben genommen werden. Die Umklammerung, in der sich die Kinder befinden, sollte aufgebrochen werden, damit sie selbständig eigene Erfahrungen machen können und selbst entscheiden lernen, zu wem sie eine Beziehung eingehen wollen.

    Die Mutter hat bewiesen, dass sie nicht willens ist, den Töchtern Kontakte zu anderen Bezugspersonen zuzugestehen. Im Falle Annas bestimmt sie sogar mit über deren Liebesbeziehungen. Die Mutter will ganz genau informiert sein, um die Auswahl der Partner beeinflussen zu können. Es ist abzusehen, dass sie das auch mit Maria und Yvonne so handhaben wird. Frau Alteck läßt keinen Zweifel daran, dass sie Umgangskontakten mit dem Vater nicht zustimmen wird. Es ist folglich davon auszugehen, dass es auch zu keinen Umgangskontakten kommen wird, wenn sie weiterhin die elterliche Sorge ausübt. Für Anna, Maria und Yvonne ist es aber für ihre zukünftige Entwicklung unerläßlich, sich von der Mutter abzulösen. Dies ist ein normaler entwicklungsbedingter Vorgang, der zum Erwachsenwerden gehört. Stattdessen plant Frau Alteck, in eine abgelegene Gegend zu ziehen, um die Töchter noch abhängiger zu machen.

    Ein Wechsel zum Vater ist aus psychologischer Sicht jedoch auch problematisch: Die Kinder lehnen es ab. Sie kommen in eine völlig neue Umgebung, verlieren ihre ganzen Sozialkontakte, die ihnen bislang Stabilität gegeben haben. Sie sollen plötzlich mit dem Vater zusammenleben, der ihnen jahrelang als "Täter" hingestellt wurde. Sie müssen mit der Partnerin ihres Vaters zusammenleben, die sie noch gar nicht kennen. Es ist zu erwarten, dass dies zu einer großen Verunsicherung führt, die sich nicht so einfach wieder legt. Andererseits erwachsen daraus auch neue Möglichkeiten und Chancen. Die Angstbindung wird aufgebrochen, neue Erfahrungen sind plötzlich möglich. Es besteht eine interne Bindungsrepräsentation des Vaters, die aktiviert werden kann. Es ist zu erwarten, dass Maria die wenigsten Probleme haben dürfte, da sie früher eine gute Beziehung zum Vater hatte. Yvonne dürfte mehr Schwierigkeiten haben, sich auf den Vater einzustellen, weil sie noch sehr klein war bei der Trennung und daher auf weniger eigene Erfahrungen mit dem Vater zurückgreifen kann. Ein Wechsel Annas zum Vater wird als nicht durchführbar gesehen und weder für Anna noch für ihre jüngeren Schwestern wünschenswert. Anna ist so intensiv auf die Mutter fixiert und so stark vom Missbrauch überzeugt, dass sich beides nicht in absehbarer Zeit auflösen wird. Hinzu kommt, dass Anna gegenüber ihren Schwestern seit der Trennung eine privilegierte Stellung in der Familie hatte. Leben die Kinder beim Vater, bricht diese zusammen. Es ist zu erwarten, dass Anna damit nicht ohne therapeutische Hilfe zurecht kommen wird. Der Vater kann dies nicht auffangen. Anna ist mit 16 Jahren in einem Alter, in dem sie durchaus in der Lage ist, ihren Weg ohne die Eltern zu machen. Für Anna wird deshalb die Unterbringungen in einer betreuten Wohngruppe vorgeschlagen. Dies hätte den Vorteil, dass sie möglicherweise in der Nähe bleiben könnte und ihre Freundschaften erhalten blieben. Zusätzlich wird dringend empfohlen, Anna eine Therapie in einem anerkannten Psychotherapieverfahren nahezulegen, damit die Fehlentwicklungen korrigiert werden können und die Probleme, die durch die Trennung von der Mutter entstehen, aufgefangen werden können. Die Geschwistertrennung wird im Moment als weniger gravierend eingeschätzt, da zum einen die Ablösung von Anna entwicklungsbedingt sowie bald anstünde und zum anderen wird bei Maria und Yvonne erwartet, dass es für sie positive Auswirkungen hat, wenn sie nicht mehr dem dominanten Einfluß Annas ausgesetzt sind. Wie sich die Geschwisterbeziehungen tatsächlich entwickeln werden, ist langfristig schwer abzuschätzen. Sollte es zu einem Wechsel von Maria und Yvonne zum Vater kommen, sollten auch in diesem Falle therapeutische Interventionen in anerkannten Verfahren bei Bedarf durchgeführt werden. Auch Herr Alteck wird nahegelegt, fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen, da der Wechsel Probleme mit sich bringen kann, die allein nicht bewältigt werden können.

    Bei Abwägung der positiven und negativen Gesichtspunkte, unter denen die Beziehungen zwischen Anna, Maria, Yvonne und ihren beiden Eltern zu betrachten sind und unter Berücksichtigung der verschiedenen Entwicklungsbedingungen bei Vater und Mutter, wird aus psychologischer Sicht vorgeschlagen, die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen.

    Im Hinblick auf den elterlichen Konflikt ist jedoch folgendes zu bedenken:

    Beide Eltern sind in einem derart starken Ausmaß von der Bösartigkeit des jeweils anderen überzeugt, dass sie in blinde Panik geraten, wenn es um Einfluß auf die Kinder geht. Beide Eltern üben in einer Form Druck aus, dem sich die Kinder nicht entziehen können. Jeder, der mit beiden Eltern zu tun hat, gerät in den Druck und die Erwartungshaltung eines Elternteils, nur er könne für die Kinder sorgen, der andere füge ihnen nur Schaden zu. Dabei verhalten sich sowohl Vater als auch Mutter, als gehe es um Leben und Tod. Herr und Frau Alteck zeigen ein Ausmaß an Panik und Angst, wenn es um den Einfluß des anderen Elternteils auf die Kinder geht, die nur als wahnhafte Vorstellungen bezeichnet werden können. Der Kampf um Macht und Einfluß auf die Kinder wird von den Eltern geführt, als drohe die Vernichtung der Kinder, wenn der andere gewinnt. Die Sachverständige ist nach intensiver Beschäftigung mit der Familiensache zu der Meinung gekommen, dass es den Eltern nur vordergründig um die Kinder gehe. Damit wird nicht eine Absicht unterstellt. Die Eltern sind subjektiv überzeugt davon, sie handelten zum Wohl der Kinder. Sie führen jedoch einen erbitterten Krieg gegeneinander, der seine Ursache in der jeweiligen Persönlichkeit und in der früheren Paarbeziehung von Herrn und Frau Alteck hat. Die Vernichtungängste, die zu blinden Panikreaktionen führen, sind bei beiden Eltern so ausgeprägt, dass sie zeitweilig pathologische Formen annehmen. Eine Lösung d!s Konflikts zwischen den Eltern hat es in all den Jahren nicht gegeben und ist auch nicht in Sicht.

    Im Interesse der Kinder ist daher zu erwägen, ob es nicht für die Kinder förderlicher wäre, wenn sie ganz aus dem Elternkonflikt herausgenommen würden und in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht würden. Die Kinder erleben den Krieg der Eltern als äußerst bedrohlich. Solange sie bei einem Elternteil leben, geht der Konflikt weiter. Bei einer Fremdunterbringung wären sie zunächst einmal in Sicherheit und könnten zu beiden Eltern Kontakt haben. Möglicherweise würde dies am ehesten zu einer Beruhigung der Situation beitragen.

    Zusammenfassend wird empfohlen, die bestehende Angstbindung von Anna, Maria und Yvonne zu ihrer Mutter aufzubrechen und sie in einer Umgebung aufwachsen zu lassen, die ihnen den Raum gibt, eigenständige Erfahrungen zu machen und sich psychisch gesund entwickeln zu können.



    Cornelia Rombach
    Diplompsychologin

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    VII. Anhang: Literatur

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    Konsequenzen für Eltern und Kinder. Urban & Schwarzenberg, München.

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    Die Literaturliste enthält nur die zitierte und unmittelbar verwendete Fachliteratur, da es als selbstverständlich vorausgesetzt wird, mit dem aktuellen Fachwissen vertraut zu sein.




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