für meine Kinder  
   
     
   
   
 
 
 
 
         
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Aktenzeichen: 13 F 67/92

Entsprechend dem Beschluß des Amtsgerichts Böblingen Familiengericht - vom 12.06.1992 erstatten wir über

  Herrn Thomas Alteck‚ geb. am 24.11.1057, wohnhaft Strasse Plz - Ort

sowie über

  Frau Ute Alteck ‚ geb. Sackmann, geb. am 24.09.1956, wohnhaft Strasse Plz - Ort

das nachfolgende

nervenfachärztliche Gutachten





das sich zu der Frage äußern soll, ob auf Seiten von Herrn oder Frau Alteck eine psychische Erkrankung vorliege.

In dem Beschluß wird darauf hingewiesen, dass beim Amtsgericht Böblingen ein Verfahren über die Regelung der elterlichen Sorge für die drei Kinder des Ehepaares anhängig sei. Frau Alteck hege den Verdacht, der Ehemann habe die älteste Tochter der Parteien sexuell missbraucht. Herr Alteck seinerseits äußert den Verdacht einer psychishen Erkrankung bei seiner Ehefrau. Sie leide unter Wahnvorstellungen und einem mangelhaft ausgeprägten Realitätssinn. Ziel des nun einzuholenden Gutachtens sei es, die Relevanz der Behauptungen der Ehepartner über den jeweils anderen Ehepartner zu ergründen.

Das Gutachten stützt sich auf die Kenntnis der uns zugeleiteten umfangreichen Akten sowie das Ergebnis nervenfachärztlicher Untersuchungen, die im Falle des Herrn Alteck am 26.08.1992 und im Falle von Frau Alteck am 04.09.1992 in unserer Klinik vorgenommen worden sind.





Inhaltsverzeichnis







Aktenmäßiger Sachverhalt

Wir erwähnen im folgenden kurz diejenigen Sachverhalte nach Aktenlage, die für unsere Beurteilung relevant sind:

Am 23.01.1992 stellte Herr Alteck einen Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge. In der Begründung wird ausgeführt, die elterliche Sorge über die drei ehelichen Kinder Anna, Maria und Yvonne müsse auf den Antragsteller übertragen werden, weil dies dem Wohle der Kinder am besten entspreche. Die Antragsgegnerin sei ernstlich erkrankt, sie habe ein gespaltenes Bewußtsein und könne sich mit der Realität nur verzerrt auseinandersetzen. Deshalb könne sie auch die elterliche Sorge nicht ausüben. Dem Antrag sei baldmöglichst stattzugeben (BJ.. 1 bis 10 d.A. ).

In einem Antwortschreiben führen die Anwälte der Ehefrau aus, sie habe Grund zu der Annahme dass die gemeinsame Tochter Anna von Herrn Alteck sexuell missbraucht worden sei (81. 13 d.A. ). Für den Fall der

Scheidung werde Frau Alteck das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder für sich beantragen (Bl.14 d.A.).

Diesen Antrag stellte Frau Alteck über ihre Anwälte am 03.02.1992 (BI. 22 bis 29 d.A.). Es ist in dem Antrag von den Belastungen in der Ehe die Rede, das Verhältnis zwischen den Parteien sei bereits 1990 sehr kühl gewesen, man habe später eine gemeinsame Ehetherapie begonnen. Später habe sie eine Kur gemacht, und danach habe das Kind Anna, eine Bettnässerin, erklärt, der Papa habe "es immer dann getan, wenn du nicht da warst ...‚ daraus habe sie schließen müssen, dass das Kind missbraucht worden sei vom Vater. Daraufhin sei das Kind in eine Therapie bei KOBRA gegeben worden.

Die Anwälte von Frau Alteck beantragten dann den Erlaß einer einstweiligen Anordnung bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für ihre Mandantin. Dem widersprach die Gegenseite. Zugleich bestritten die Anwälte des Herrn Alteck energisch, dass er seine Tochter Anna missbraucht habe (Bi. 44 d.A. ).

Aus einem Zwischenbericht des Kreisjugendamtes Böblingen vom 25.02.1992 geht hervor, dass Frau Alteck anläßlich eines dreistündigen Hausbesuches ein "völlig normales Verhalten als Frau und Mutter" gezeigt habe. Zu Herrn Alteck wird ausgeführt, er könne sich nicht erklären, wie es zu dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Anna gekommen sei. Seine Frau müsse psychisch krank sein, wenn sie auf eine solche Idee komme. Deshalb könnten die Kinder auch nicht bei der Mutter bleiben. Er habe daher das Sorgerecht beantragt.

Das Gericht beschloß zunächst die Einholung eines Gutachtens zur Frage der elterlichen Sorge bei Professor Lempp in Stuttgart. Außerdem müsse sich das Gericht ein Urteil Ober die Organisation KOBRA bi1den. Über letztere befindet sich ein ausführlicher Bericht bei den Akten (Bi. 85 f. d.A. ).

Hingegen findet sich kein Bericht über die Art der Therapie bei dem Mädchen Anna. In seinem Gutachten vom 19.05.1992 kommt Professor Lempp zu dem Ergebnis, Herr Alteck biete ein weitgehend unauffälliges psychopathologisches Bild, und für das Vorliegen einer Psychose oder einer neurotischen Störung ergebe sich kein Hinweis. Auch die Anwendung zweier projektiver Testverfahren erbrachten keine Hinweise in diese Richtung.

Eine ähnliche Aussage machte der Kinder- und Jugendpsychiater auch über Frau Alteck, die er als betont sachlich und zurückhaltend schilderte und bei der er gleichfalls keine psychopathologischen Störungen von Krankheitswert finden konnte, auch die ergänzenden projektiven Testverfahren ergaben keine Verdachtsmomente in diese Richtung, Dieses Gutachten war dann Anlaß für die Anwälte von Herrn Alteck eine sehr ausführliche Stellungnahme abzugehen in welcher schließlich ausgeführt wird, die Antragsgegnerin schade dem Wohl der Kinder massiv, und das Gutachten Lempp sei nicht geeignet, im Sinne der Mutter zu entscheiden. Da der Gut- achter Kinder- und Jugendpsychiater sei, habe er wenig Kontakt mit Erwachsenen, so dass seine diesbezüglichen Ausführungen über das Elternpaar mit Zurückhaltung zu betrachten seien. Es müsse also ein weiteres Gutachten zu diesem Themenkomplex eingeholt werden.

Das Gericht beschloß zunächst die Einholung des vorliegenden Gutachtens (BI. 189 bis 192 d.A.).

Am 02.07.1992 beantragte Frau Alteck erneut die Übertragung des Sorgerechts. für die drei Kinder auf sich (Bi. 200 bis 201 d.A. )‚ nachdem der Ehemann wohl am Vortage sowohl ihr Auto als auch die Kinder in seine Gewalt gebracht habe. Der zuständige Richter entschied, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder stehe der Antragsgegnerin für die Dauer der Trennungszeit allein zu (Bl. 205 Rückseite d.A. ).

Herr Alteck rechtfertigte sein Verhalten gegenüber dem Gericht in einem Brief vorn gleichen Tage damit, es sei seine Pflicht gewesen, die elterliche Sorge selbst zu übernehmen. Er werde von ihr verleumdet und könne nicht länger zusehen, dass sie die Kinder von der Außenwelt abschotte und in einem Sinne erziehe, der gegen seine Interessen gerichtet sei.

Am 31.07.1992 beschloß das Amtsgericht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder dem Kreisjugendamt Böblingen zu übertragen.

In einer Verfügung vom 10.08.1992 teilte das Amtsgericht mit, dass zunächst die Einholung des vorliegenden Gutachtens abgewartet werden solle, bevor über das Sorgerecht zu entscheiden sei. Auf die zwischenzeitlich beim Gericht eingegangenen Schriftsätze teils von Herrn Alteck, teils aber auch von zugezogenen Kontaktpersonen, soll hier im einzelnen nicht eingegangen werden.



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Eigene Untersuchungsergebnisse bezüglich Thomas Alteck

Der Antragsteller ist nach seinen Angaben als Einzelkind aufgewachsen. Seine Eltern seien 'einfache Leute' gewesen: der Vater Elektromeister in einer Gießerei, die Mutter Verkäuferin bis zu seiner Geburt. Danach habe sie nicht mehr gearbeitet. Als Kind habe er viele Freunde gehabt. Er sei in Velbert im Rheinland aufgewachsen, und zwar bis zum 7. Lebensjahr in einer Mietwohnung, wo er ein eigenes Zimmer für sich selber gehabt habe. Danach sei. er im Elternhaus der mütterlichen Seite aufgewachsen, in das die Familie gezogen sei. Das Grundstück sei, etwa 700 qm groß gewesen, es habe sich um eine Doppelhaushälfte gehandelt. Er habe viel freie Fläche, Grünanlagen und Auslauf gehabt. Er

habe in einer Gruppe von Freunden und Nachbarn gelebt.

Er habe das Gymnasium besucht, dort habe er sich durch den Lernstoff immer mehr von seinen Eltern geistig entfernt, die bald keine geeigneten Gesprächspartner für ihn gewesen seien. Er habe sie als bildungsmäßig unterlegen erlebt. So sei es zu einem Konflikt mit den Eltern gekommen, als er etwa 17 Jahre alt gewesen sei.

Herr Alteck fügt an dieser Stelle ein, dass er im Gymnasium zeitweise auch schlechte Leistungen geboten habe und Nachhilfe habe erhalten müssen, sitzengeblieben sei er indessen nicht..

Seine Kindheit schildert er als durchaus glücklich. Der Vater habe ihm viel Zuwendung zuteil werden lassen, er habe aber auch gelegentlich Schläge von ihm erhalten. Allerdings habe dies mit Mißhandlung nichts zu tun gehabt. Es sei eben ein bestimmter Erziehungsstil gewesen, wie man ihn heute noch finde.

Bis zum 12. Lebensjahr sei er Bettnässer gewesen. Mit 18 Jahren habe er das Abitur abgelegt und danach ein Studium der Ingenieurwissenschaften in Bochum aufgenommen, nach vier Semestern sei er dann in der Fachrichtung Wasserbau/Wasserwirtschaft nach Hannover übergewechselt und habe dort 1983 nach l3-semestrigem Studium das Diplom abgelegt. Damit habe er altersmäßig im Schnitt seiner Kommilitonen gelegen. Die Studienzeit sei sehr angenehm gewesen.

In jener Zeit habe er dann seine spätere Ehefrau im Skiurlaub kennengelernt. Die Verbindung habe zunächst in lockerer Form zwei Jahre lang bestanden, danach sei eine "Wochenendbeziehung" daraus geworden, in jener Zeit habe die Freundin in Buxtehude als Lehrerin bereits gearbeitet für die Fächer Biologie und Chemie.

Im Frühjahr 1984 hätten sie geheiratet, der Wohnsitz sei dann Hattingen/Ruhr gewesen, er habe eine Stelle als Assistent an der Universität Bochum innegehabt.

Das erste Kind sei am 01.11.1984 zur Welt gekommen, es sei auch der Anlaß zur Eheschließung gewesen. 1986 sei er dann zu IBM übergewechselt, und die Familie sei im gleichen Jahr nach Unbenannt gezogen. Zu diesem Zeitpunkt sei die zweite Tochter gerade wenige Monate alt gewesen, sie sei am 14.03.1986 zur Welt gekommen.

Seine Ehefrau habe sich in Ehingen nicht wohlgefühlt. Man habe dort zunächst keine Freunde gehabt, sie habe zwei kleine Kinder betreuen müssen, sie sei in eine fremde Umgebung umgezogen. Damals habe es die ersten Spannungen zwischen den Eheleuten gegeben, sie habe sich übervorteilt gefühlt und nicht richtig anerkannt in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Die Ehefrau habe sich dann in dem Arbeitskreis "Allergiekrankes Kind" engagiert, weil das größere Kind an Neurodermitis gelitten habe. Ihre ursprünglichen Pläne habe sie nicht recht realisieren können. So habe sie begonnen, den Ehemann für ihre Lebenssituation verantwortlich zu machen. Zwar habe sie viele Möglichkeiten gehabt, aber ihre Pläne seien alle "unkorrekt" geblieben. Nichts habe sie realisiert.

Nach einiger Zeit sei man innerhalb Unbenannts umgezogen, weil man die Möglichkeit gehabt habe, ein Haus zu mieten. In jener Zeit habe sie erstmals von Scheidung gesprochen. Das sei 1990 gewesen. Mittlerweile war 1988 das dritte Kind zur Welt gekommen.

1990 war er nach seinen Angaben kurzzeitig in eine Kollegin verliebt, aber nach drei Monaten sei das Verhältnis wieder auseinander gegangen. Ab Januar 1991 habe man eine Eheberatung bei einer unerfahrenen Therapeutin wahrgenommen, das Ehepaar Alteck sei die erste Klientel dieser Therapeutin gewesen, entsprechend sei die Therapie auch sehr ungünstig verlaufen. Ihm sei die ganze' Schuld zugeschoben worden. Die kurzzeitige Beziehung zu der Freundin habe mit der Scheidung im übrigen nichts zu tun.

Die Beziehung zur Ehefrau sei immer unerfreulicher geworden, schließlich habe sie ihm vorgeschlagen, er möge ausziehen, und er selbst sei auch zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Vorübergehend sei er dann zunächst ins Gästezimmer gezogen, zu ‚jener Zeit habe es bereits keinen Dialog mehr zwischen den Ehepartnern gegeben, man habe nicht mehr miteinander gesprochen. In jener Zeit habe sie dann einer Bekannten erzählt, er - der Ehemann - habe das älteste Kind sexuell missbraucht. Das habe sie dann auch im Beisein der Kinder wiederholt.

In der Folge habe er sich von einem holländischen Anwalt beraten lassen, da er selbst durch Abstammung Holländer ist. Anschließend sei er dann aus dem gemeinschaftlichen Haus ausgezogen, sei zunächst bei einem Freund untergekommen, später in einer Wohngemeinschaft, denn er habe nur noch DM 1.500.-- zu seiner persönlichen Verfügung pro Monat. Zum Untersuchungszeitpunkt war er nach seinen Angaben seit einigen Tagen wohnsitzlos und nächtigte in seinem Auto.

Zwischenzeitlich habe er erfahren, dass das gemeinschaftliche Haus leerstehe und die Ehefrau nicht anwesend sei. Der Garten verwahrlose. So habe er sich entschlossen, über eine Leiter in das Haus einzusteigen, um es wieder zu beziehen. Er habe das Haus dann aufgeräumt, es sei im verwahrlosten Zustand gewesen, und auch daraus habe er den Schluß gezogen, dass die Ehefrau psychisch krank sein müßte, Es entspreche nämlich nicht ihrem normalen Verhalten, die eigene Wohnung verkommen zu lassen.

Mittlerweile habe er jedoch durch gerichtliche Anordnung wieder ausziehen müssen und habe zwischenzeitlich bei Freunden gewohnt.

Zu dem Vorwurf befragt, er habe seine älteste Tochter sexuell missbraucht, bricht, der Untersuchte in Tränen aus und erklärt, dies sei eine Absurdität., eine Bosheit von seiten der Ehefrau, eine solche Handlung sei für ihn absolut abwegig, und es sei auch konkret nicht zu derartigen Verhaltensweisen bei ihm gekommen. Der Vorwurf sei aus der Luft gegriffen.

Für die psychische Krankheit der Ehefrau spreche für ihn folgendes:



  1. 1. Das Tagebuch, das sie seit dem 25.09.1991 führe und das ihm bei seinem Einbruch in das eigene Haus in die Hände gefallen sei. Darin sei von einer inneren Stimme und ähnlichem die Rede. Das deute für ihn darauf hin, dass sie unter Halluzinationen leide.

  2. 2. Sie habe sich in letzter Zeit in ihrem Verhalten stark verändert: Sie sei immer weniger belastbar geworden, obwohl die Belastung objektiv kleiner geworden sei als vor etwa ein bis zwei. Jahren.

  3. 3. Der Therapeut im Müttergenesungsheim habe ihr anläßlich einer Kur eine Therapie angeraten.
  4. 4. Er selber habe in einer Verhandlung in letzter Zeit beobachtet, dass Mimik und Stimmung bei ihr nicht mehr kongruent seien.

  5. 5. Sie habe sich in letzter Zeit nicht mehr nach den Kindern erkundigt, als sie auswärtig untergebracht waren. Auch als er selbst mit den Kindern unterwegs war, habe sie sich nicht um deren Wohl gekümmert.

  6. 6. Auch äußerlich habe er Veränderungen an ihr festgestellt in letzter Zeit: Sie habe einen starren Blick, sei passiv, rede viel und leise, zittere und so fort..



Zu der "Entführung" der Kinder im Sommer erklärt der Antragsteller, dies sei von seiner Seite natürlich mittelfristig unklug gewesen, er habe sich dadurch viele Sympathien verscherzt, aber er habe nicht anders handeln können, weil er seine Kinder sehr gern habe. Er sei aber keinesfalls etwa ein gewalttätiger Mensch, der anders nicht lösbare Probleme gewaltsam zu lösen

versuche. Das sei ihm fern.



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Psychischer Befund

Bei den in unserer Klinik durchgeführten Untersuchungen war der Antragsteller jederzeit bewußtseinsklar und voll orientiert, in seinem Auftreten und Verhalten vollständig geordnet, distanziert, freundlich und zugewandt, zeitweise auch verhalten in seinen Äußerungen, anfänglich leicht mißtrauisch, dann aber bald aufgeschlossen und zugänglich.

In wesentlichen psychopathologischen Qualitäten konnten wir keine Veränderung feststellen, so etwa im Antriebs- und Affektverhalten. Auch das Kontaktverhalten würden wir als regelrecht und normentsprechend bezeichnen. Die Stimmung war leicht gedrückt, situationsadäquat, eine depressive Verstimmung war indessen nicht festzustellen. Gestik und Mimik als wesentliche Parameter der Psychomotorik zeigten keine krankhaften Veränderungen. Sie waren situationsadäquat und orientierten sich am Kontext des gesprochenen Wortes.

Das Denken des Antragstellers war frei von krankhaften Besonderheiten. Es ist logisch gegliedert, zusammenhängend, leicht nachvollziehbar, frei von inhaltlichen Störungen, es gab keinen Hinweis auf Wahnideen oder Sinnestäuschungen. Der Antragsteller ist offensichtlich auch ein intelligenter Mann, dessen intellektuelle Grundausstattung über der Norm liegen dürfte. Er ist auch ohne Zweifel bei voller geistiger Klarheit.

Von der Persönlichkeit her handelt es sich bei Herrn Alteck um einen eher introvertierten, sensiblen, eine Spur auch kränkbaren und sensitiven Menschen, alle diese Züge sind aber keinesfalls etwa als krankhaft zu bezeichnen. Sie sind lediglich Akzente, die die individuelle Persönlichkeitsstruktur charakterisieren sollen.

Hinweise auf das Vorliegen einer Geisteskrankheit haben wir nicht gefunden, wobei wir insbesondere nach Anzeichen für das Vorliegen einer Schizophrenie oder einer manisch-depressiven Krankheit gefahndet haben. Eine hirnorganische Veränderung liegt gleichfalls nicht vor, für ein Anfallsleiden fehlt jeder Hinweis, so dass wir den Antragsteller bei kritischer Betrachtung aller vorliegenden Untersuchungsbefunde als geistesgesund bezeichnen müssen.



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Eigene Untersuchungsergebnisse bezüglich Ute Alteck

Zur biographischen Anamnese ist zunächst festzuhalten, dass Frau Alteck 1956 in Holzminden geboren wurde, sie ist Einzelkind, die Eltern waren selbständig, sie ist bei den Eltern aufgewachsen, die relativ wenig Zeit für sie hatten, aber die Großeltern väterlicherseits kümmerten sich um sie. Bei dem Geschäft der Eltern handelt es sich um eine Hutwerkstatt, es wurden aber auch Konfektionsartikel verkauft.

Sie besuchte nach wohl unauffälliger Entwicklung die Schule von 1963 bis 1965, und zwar zunächst eine katholische Haupt- und Grundschule und später ein Mädchengymnasium. Sie lernte das Flöte spielen und interessierte sich für das Reiten und das Schwimmen. Vor der Schulzeit sei sie nicht gern im Kindergarten gewesen, habe dort Durchsetzungsschwierigkeiten gehabt und sich häufig unterlegen gefühlt. In der Schule habe sie mittlere Leistungen erbracht, vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern, während die sprachlichen Leistungen nicht so gut gewesen seien. Das Abitur habe sie mit 2,6 bestanden. Die Schule sei für sie nie belastend gewesen.

Sie habe anschließend Medizin studieren wollen, habe darin zunächst mit einer Lehre bei den Eltern im Geschäft begonnen, um einen Bonuspunkt für das Studium zu erwerben, habe sich dann jedoch für den Lehrerberuf entschieden, um den Beruf einerseits und die zu gründende Familie und eventuelle Kinder miteinander vereinbaren zu können. Sie habe bis zur Zwischenprüfung mit großer Begeisterung studiert. sei von ihrem naturwissenschaftlichen Blickwinkel abgekommen und habe sich mehr den geisteswissenschaftlichen Fächern zugewandt.

Nach dem Examen in Hannover sei sie nach Buxtehude ins Referendariat gekommen, den Ort habe sie sich nicht aussuchen können, habe sich dort auch leidlich einleben können. Sie habe Freunde gefunden. habe viele Prüfungen bestehen müssen, alles sei recht belastend gewesen, aber unter dem Strich habe sie die Zeit gut überstanden.

Sie sei dann nach Hannover zurückgekehrt und sei schließlich mit ihrem späteren Mann zusammengezogen, das sei im November 1983 gewesen. Zu dieser Zeit hätten sie sich schon etwa vier Jahre lang gekannt.

Sie hätten sich heim Skilaufen kennengelernt. Es sei zunächst eine durchaus distanzierte Freundschaft entstanden, er sei immer sehr klar in seinen Vorstellungen gewesen, habe immer genau gewußt, was er wollte, Es habe damals schon eine Krise gegeben, sie hätte gern ins Ausland gehen wollen, nach Niger, aber wegen fehlender Französischkenntnisse sei dies nicht möglich gewesen. Er habe dies auch nicht gewollt. Der Konflikt sei dadurch gelöst worden, dass die Stelle in Niger gestrichen worden sei. Er sei schließlich nach Bochum an die Universität gegangen und sie habe ihre Entscheidung dahingehend getroffen, dass sie sich der Familie habe widmen wollen. Zu diesem Zeitpunkt sei sie schwanger gewesen.

Für sie sei klar gewesen, dass sie sich für das Kind entscheiden werde, sie habe mit dem Mann mitgehen wollen, und so hätten sie dann geheiratet, über das erste Kind war auch er sehr glücklich, betont Frau Alteck.

Nach eineinhalb Jahren sei das zweite Kind Maria geboren worden, der Ehemann habe sich mittlerweile in Richtung Stuttgart beruflich verändert, damit sei sie eigentlich nicht richtig einverstanden gewesen, aber sie habe sich ihm angeschlossen. In dem neuen Wohnort habe sie sich reichlich isoliert gefühlt und von ihrem Mann allein gelassen. Den ganzen Tag habe sie sich mit den Kindern befassen müssen, während er in seiner Firma gearbeitet habe.

Das dritte Kind sei dann 1988 zur Welt gekommen, da habe sie drei Monate liegen müssen während der Schwangerschaft, weil eine Fehlgeburt gedroht habe, in jener Zeit habe sie sich vom Ehemann nicht recht ernst genommen gefühlt, ja er habe sie im Stich gelassen. Sie habe das Gefühl entwickelt, dass er das dritte Kind vielleicht gar nicht gewollt habe. Sein Verhalten sei ihr immer schwerer verständlich geworden.

Danach habe er sich dann sterilisieren lassen, das sei ein gemeinsamer Entschluß der Eheleute gewesen. Danach sei das neue Haus gemietet worden, er habe es selbst renoviert, sehr engagiert, der Umzug sei für sie sehr anstrengend gewesen. Wieder habe sie das Gefühl entwickelt, dass er sie nicht achte. Viele Entscheidungen seien zwischen den Eheleuten nicht ausdiskutiert worden. Sie habe keinen Einfluß auf Entscheidungen gehabt. Er habe sich nach ihrer Auffassung zu wenig der Familie gewidmet.

Hinzugekommen sei, dass er von September bis Dezember 1990 die Petra als Freundin gehabt habe. Das habe er ihr aber erst im Frühjahr 1991 gebeichtet, nachdem die Beziehung zu Ende gewesen sei. In dieser Zeit sei sie in einer Kur gewesen, wo sie sich gut erholt habe.

Im November 1991 sei er dann ausgezogen, nachdem er kurze Zeit im Gästezimmer verbracht habe. Beide Ehepartner hätten sich geeinigt, dass es nicht mehr zusammen gut gehe und dass man die Ehe nicht fortführen könne.

In jener Zeit habe dann das große Mädchen Anna gesagt, sie wolle nicht mit dem Papa mehr alleine sein, Der Papa habe es "mit ihr gemacht", wenn sie mit ihm alleine gewesen sei, es habe weh getan, Schläge seien es nicht gewesen. Daraus habe sie, die Ehefrau, schließen müssen, dass es sich um sexuellen Missbrauch des Kindes gehandelt haben müsse. Folgerichtig habe sie dann dafür gesorgt, dass das Kind in eine entsprechende Therapie komme.

Zu der Frage, ob bei ihr eine psychische Krankheit vorliegen könne, haben wir Frau Alteck ausgiebig exploriert. Wenn von einer "inneren Stimme" die Rede sei, die sie in der Kur wahrgenommen habe, so seien dies einzelne Worte gewesen, die sie öfter von der Mutter gehört habe und die ihr wieder in den Sinn gekommen seien, Sie habe nicht etwa jemanden sprechen hören oder die Stimmen von Personen vernommen, die nicht anwesend gewesen seien. So etwas habe sie nie erlebt. Es habe sich lediglich um Gedanken gehandelt, die ihr wieder in den Kopf gekommen seien.

Wenn davon gesprochen worden sei, dass sie sich in ihrem Verhalten verändert habe, so sei dies durch die Überbelastung mit drei Kindern und dem Umzug eingetreten. Sie sei seinerzeit sehr in Anspruch genommen gewesen, habe sich auch überfordert gefühlt, habe sich aber inzwischen davon ganz gut erholt. Von einer Persönlichkeitsveränderung könne keine Rede sein.

Zu dem Vorwurf, das Haus sei in ihrer Abwesenheit verwahrlost, erklärte Frau Alteck, sie sei lediglich einige Tage außerhalb des Hauses gewesen, zeitweise sei sie allerdings nur sporadisch anwesend gewesen, zumal er in jener Zeit ja mit den Kindern vier Wochen unterwegs gewesen sei. Das Haus sei nicht verwahrlost gewesen.

Sie selber sei übrigens auch in "Begleittherapie" bei der Therapieeinrichtung KOBRA. Sie werde dort gestützt, sie könne ihre Wut dort abführen, auch der Missbrauchsverdacht sei Gegenstand der dortigen Gespräche.

Sie wolle im übrigen hinzufügen, dass das Interesse an den Kindern seitens des Ehemannes bei ihm offensichtlich erst in letzter Zeit erwacht sei, nachdem er' ausgezogen sei und keinen Kontakt mehr zu den Kindern habe. Früher sei dieses Interesse nicht zu beobachten gewesen.



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Psychischer Befund

Wir fanden. Frau Alteck hei unseren Untersuchungen in bewußtseinsklarem und voll orientiertem Zustand vor. Ihr Verhalten war in jeder Hinsicht angemessen während der Untersuchungssituation, es gelang ihr leicht, die Distanz zum Untersucher zu halten, ohne etwa in eine mißtrauische Grundhaltung hinein zu geraten. Statt dessen zeigte sie sich dem Sachverständigen gegenüber durchaus offen und zugänglich.

Im Antrieb von Frau Alteck waren keine Defizite oder Steigerungen festzustellen. Sie befindet sich insoweit in einer ausgeglichenen Mittellage. Ihre Affekte moduliert sie angemessen, überschießende Affekte waren nicht festzustellen. Freilich befindet sie sich in einer typischen und deutlichen Vorwurfshaltung gegenüber ihrem Ehemann, sie fühlt sich von ihm ausgenutzt und schlecht behandelt. Das artikuliert sie auch. Im Kontaktverhalten fanden wir bei Frau Alteck keine Störung, und die Stimmung war weitgehend ausgeglichen. Depressive Züge waren nicht zu beobachten. Die Psychomotorik als der Ausdruck des innerseelischen Geschehens in Gestik und Mimik nach außen hin war frei von krankhaften Störungen.

Das Denken von Frau Alteck wies gleichfalls weder' inhaltliche noch formale Störungen auf'. Es gab keinen konkreten Hinweis dafür, dass sie unter Sinnestäuschunigen oder Wahnideen leide. Ihr Denken ist zusammenhängend, nach logischen Gesetzmäßigkeiten gegliedert und leicht nachvollziehhar. Gedächtnis, Merkfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit wiesen keine Störungen auf. Die Intelligenz dürfte im Normbereich liegen. Frau Alteck ist auch ohne Zweifel bei voller geistiger Klarheit.

Persönlichkeitsstörungen relevanten Ausmaßes haben wir nicht finden können. Bei der Untersuchten liegt eine fixierte Vorwurfshaltung vor, sie hat sich offensichtlich durch vielerlei Einflüsse in eine Rolle hineingesteigert, in der sie sich schlech behandelt, zu Unrecht vernachlässigt und unverstanden, ja sogar ausgenutzt fühlt. Sie fühlt sich gewissermaßen auch "unter Wert verkauft", denn sie leidet darunter, dass sie die von ihr als subaltern empfundene Kindererziehung und Hauswirtschaft betreiben muß, während der Ehemann beruflich 'Karriere machen" könne. Dies sei eine ungerechtfertigte Ungleichverteilung der Rollen. Bei dieser Wertung ihrer Lebensverhältnisse handelt es sich aber weniger etwa um den Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung als mehr um eine fixierte Beurteilung ihrer Situation im Sinne einer Einstellung, die freilich auch schwer zu korrigieren sein dürfte.

Wie erwähnt, fanden wir krankhafte Persönlichkeitsstörungen bei ihr nicht, wiewohl auch hier gewisse sensitive Züge durchaus erkennbar sind. An einer Geisteskrankheit leidet Frau Alteck nach unserer Erkenntnis nicht. Hinweise auf das Vorhandensein auch eines sog. Borderline-Syndrom haben wir nicht erkennen können. Frau Alteck ist auch nicht hirnorganisch verändert, so dass wir sie insgesamt als geistesgesunde Frau bezeichnen müssen.



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Zusammenfassung und Beurteilung

In einer familiengerichtlichen Auseinandersetzung um das Sorgerecht von drei Kindern soll sich das vorliegende nervenfachärztliche Gutachten zu der Frage äußern, ob bei. einem der in Betracht kommenden beiden Ehepartner Alteck eine psychische Krankheit vorliege. Dabei haben wir uns insbesondere mit dem Verdachtsmoment auseinanderzusetzen, der seitens von Frau Alteck gegenüber ihrem Ehemann besteht, er habe das älteste Kind Anna sexuell missbraucht. Wir sollen uns aber auch mit dem Verdacht des Ehemanns auseinandersetzen, der dahin geht. dass seine Ehefrau an einer psychischen Erkrankung leide.

Wir haben die beiden Ehepartner getrennt ausführlich psychiatrisch untersucht und über das Ergebnis der Untersuchung im vorstehenden Teil dieses Gutachtens umfassend berichtet.

Die nervenärztliche Untersuchung von Herrn Alteck hat keine sicheren Hinweise darauf ergeben, dass bei ihm eine psychische Störung etwa auch in Gestalt einer sexuellen Fehlhaltung vorhanden ist, statt dessen sehen wir Herrn Alteck als einen geistesgesunden und normal entwickelten Mann an, bei dem eine psychische Fehlhaltung oder gar psychische Krankheit nicht erkennbar ist. Unter "psychischer Befund" haben wir das Zustandsbild des Antragstellers beschrieben, und daraus geht hervor, dass wir in Herrn Alteck einen sachlich auftretenden. geordnet argumentierenden, in jeder Hinsicht beherrschten, dabei aber freundlichen und zugänglichen Menschen sehen, der sicherlich affektiv leicht anrührbar ist, denn er geriet zweimal während der Exploration in eine weinerliche Verstimmung, davon einmal, als es um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ging. Er ist ein sehr gefühlvoller Mensch, aber er ist geistig aufgeweckt, klar denkend, der Rationalität verpflichtet. Psychopathologisch relevante Symptome liegen bei ihm nicht vor.

Zugleich soll betont werden, dass durch eine psychiatrische Exploration in aller Regel der Nachweis nicht zu führen ist, dass ein bestimmter Mensch zum sexuellen

Missbrauch von Kindern neigt. Zwar mag es bei gewissen einfach strukturierten Straftätern möglich sein, durch eine inhaltlich in die Nähe sexueller Bezüge geführte Exploration hier gewisse Anknüpfungspunkte auch für eine bestimmte Täterschaft oder auch eine bestimmte Neigung in diese Richtung zu erkennen, indessen muß man sich von der Vorstellung freimachen, es gelinge gewissermaßen in jedem Falle, durch eine psychiatrische Exploration innere Triebstrukturen eines Menschen - und sei es auch nur für den Untersucher - transparent zu machen. Es hieße die Funktion und die Aussagekraft einer psychiatrischen Exploration und der durch sie gewonnenen Untersuchungsergebnisse gehörig überschätzen, wollte man annehmen, man könnte gewissermaßen einem Menschen äußerungen über Einzelheiten entlocken, die den einlinigen Schluß darauf zuließen, es handle sich bei ihm um einen Menschen, der zum Beispiel zu sexuellem Missbrauch von Kindern neigte.

Zwar können wir durch die Exploration Rückschlüsse auf den psychopathologischen Zustand eines Menschen gewinnen, können einzelne psychopathologische Funktionen näher beschreiben und erkennen, zum Beispiel die Antriebs- und Affektstruktur, wir können den Zustand seiner Denkvorgänge relativ genau beschreiben, auch Erkenntnisse über seine Persönlichkeitsstruktur gewinnen, dies alles läßt aber noch keinen sicheren Schluß darauf zu, wie sich dieser Mensch in einer bestimmten Situation verhalten hat bzw. wie er sich möglicherweise einmal verhalten wird. Denn für jeden Menschen gilt der Satz, dass er eine Fülle von Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung hat, solange er geistesgesund ist. Und wenn bei einem Menschen noch eine gewisse Intellektualität hinzukommt, so wird er selbstverständlich erkennen, in welche Richtung eine psychiatrische Exploration geführt. wird, und es wird ihm dann mehr oder weniger gut gelingen, sog. wunde Punkte zu verdecken.

Im vorliegenden Falle des Herrn. Alteck haben wir jedenfalls keine Hinweise darauf gewinnen können, dass bei ihm eine Neigung zum sexuellen Entgleisen vorliegen könnte, gleich in weiche Richtung sie auch zeigen möge. Nichts deutet darauf hin, dass Herr Hernpen in dieser Richtung auffälli.g sein könnte. In diesem Zusammenhang darf man auch den Aussagewert psychodiagnostischer Testverfahren nicht überschätzen, die uns in aller Regel hier auch nicht. weiterführen. In unserem Falle wären sie vielleicht geeignet, die Persönlichkeitsstruktur des Herrn Alteck noch näher zu beschreiben, einen sicheren Aufschluß darüber jedoch, ob er zu sexuellem Missbrauch von Kindern neigt, wäre auch dadurch nicht zu gewinnen. Im übrigen darf daran erinnert werden, dass der Vorgutachter Professor Lempp gewisse, wenn auch schwer zu deutende psychodiagnostisehe Verfahren, sog. projektive Tests, durchgeführt hat, die gleichfalls keinerlei Hinweis auf eine psychopathologische Abweichung bei Herrn Alteck ergeben haben.

Daß er seine Ehefrau als psychisch krank bezeichnet bzw. einen entsprechenden Verdacht äußert, muß als laienhafte Überbewertung auch anders leicht erklärbarer Verhaltensweisen der Ehefrau angesehen werden. Versetzt man sich in die Rolle einer gewissermaßen alleinstehenden Frau mit drei kleinen Kindern, so sollte man bezüglich der Ordnungsmaßstäbe in einem häuslichen Anwesen doch eine gewisse Großzügigkeit walten lassen. Nicht alle Menschen sind zwanghaft und gewissenhaft, manch einer lebt gut innerhalb von Ordnungsprinzipien, die von anderen als solche gar nicht erkannt werden könnten. Hier sollten nicht kleinlich-kleinbürgerliche Maßstäbe angelegt werden, sondern durchaus auch weniger konventionelle Maßstäbe eine gewisse Geltung haben.

Schließlich ist die Schlußfolgerung, die Antragsgegnerin höre Stimmen, aus der mehrfach zitierten Tagebucheintragung sicher nicht zwingend und überzeugend. Man spricht auch im Umgangsdeutsch häufig von einer inneren Stimme, die einen Menschen vorübergehend leiten kann. Damit ist aber keine Stimme, sondern mehr eine Art Gewißheit, der Durchbruch einer bekannten Maxime oder ähnliches gemeint. Da das Stimmenhören nur auf diese eine Eintragung gestützt wird, es sonst aber nicht den geringsten Hinweis dafür gibt, neigen wir dazu, diesen Hinweis nicht so zu bewerten, dass die Ehefrau tatsächlich wie ein Schizophrener halluziniert habe und Stimmen gehört habe.

Im übrigen wäre das isolierte Hören von Stimmen oder von einer Stimme bei einem Menschen auch nicht beweisend für das Vorliegen einer psychischen Krankheit. Zwar handelt es sich dabei um ein mehr oder weniger spektakuläres psychopathologisches Symptom, das natürlich allemal als krankhaft anzusehen ist, aber eine Stimme allein wäre nicht beweisend für das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung. Vielmehr setzt sich das psychopathologische Spektrum einer solchen Symptomatik aus einer Vielzahl von Symptomen zusammen, unter denen das Stimmenhören ein zwar häufig vorkommendes und auch recht auffälliges Symptom darstellt, aber eben nur eines unter vielen ist. Hinzu kämen beispielsweise Wahnerlebnisse, Beeinflussungs- und Beeinträchtigungsideen und andere Denk- und Erlebnisstörungen, wie etwa Beziehungssetzungen ohne Anlaß, Verfolgungsgedanken, aber auch affektive Störungen, also solche der Gefühiswelt, die im Umgang mit dem betreffenden Menschen dann doch sehr stark auffallen, weil sie von seinem sonstigen Erscheinungsbild doch stark abweichen. Hier sind insbesondere gefühlsmäßige Verknappungen und Verkargungen festzustellen, ferner wäre auch an Antriebsstörungen zu denken, wie wir sie bei schizophren Erkrankten häufig finden. Sie werden dann teilnahmslos, inaktiv, desinteressiert, gleichgültig, ‚wenden sich von der Realität ab und mehr ihren Innenerlebnissen zu, die von der Umgebung gar nicht nachvollzogen werden können.

Es ist klar, dass ein derartiges Bild bei Frau Alteck nicht vorliegt. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass es bei ihr jemals vorgelegen haben könnte. Aus diesem Grunde kommt einem einzelnen Symptom, das in diese Konstellation zwar passen würde, aber dessen Realität noch gar nicht einmal sicher ist, weil es auch auf einer mißverständlichen Deutung einer schriftlichen Aussage beruhen kann, keine entscheidende Bedeutung zu. So müssen wir bezüglich dieses fraglichen Stimmenhörens zu dem Ergebnis kommen, dass es sich hier offensichtlich nicht um ein Einzelsymptom handelt, das sich zusammen mit anderen bei Frau Alteck vorhandenen Symptomen zur Diagnose etwa einer schizophrenen Erkrankung, mithin einer Geisteskrankheit im allgemeinen Sinne verdichten ließe.

Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegenüber dem Ehemann kann nicht als Symptom einer psychischen Krankheit bei der Ehefrau gewertet werden. Auch hier liegt sicherlich eine Überbewertung vor. Es gibt viele Erklärungsmögiichkeiten, wie die Ehefrau auf den Vorwurf kommen könnte. Hier gibt es die Möglichkeit, dass sie ängstlich-üherbesorgt die Äußerung des Kindes überinterpretiert, und damit natürlich bei einer Organisation, die ihre Existenz dem tatsächlichen Vorkommen derartiger Fehlverhaltensweisen verdankt, auf offene Ohren stößt. Ob hier eine gewissermaßen unkritische und überzogene Bereitschaft der Therapieeinrichtung vorhanden ist, alles gleich für bare Münze zu nehmen, was ein Kind äußert, können wir selbstverständlich nicht beurteilen. Wir möchten aber betonen, dass auch die dort tätigen Therapeuten nur Menschen sind, die sich auch irren können und die auch sicher die Bereitschaft haben werden, sich zu gegebener Zeit von kindlichen Äußerungen zu distanzieren, wenn sich erweisen sollte, dass sie unzutreffend waren oder falsch interpretiert wurden.

Nicht auszuschließen ist schließlich auch, dass der Vorwurf von der Ehefrau als willkommenes Druckmittel gegenüber ihrem Ehemann eingesetzt wird, um die Partnerschaft auf probate Weise beenden zu können. Ob dies so ist, wissen wir natürlich nicht. Die Möglichkeit hierfür sollte jedoch gleichfalls in Betracht gezogen werden. Und auch dann wäre das Verhalten der Ehefrau nicht als psychische Krankheit zu bezeichnen.

Zusammenfassend kommen wir bei kritischer Würdigung aller uns vorliegenden Informationen nervenfachärztlicherseits - im übrigen in Übereinstimmung mit der Beurteilung durch den Vorgutachter Professor Lempp - zu dem Ergebnis, dass weder bei Herrn noch bei Frau Alteck Symptome einer psychischen Krankheit erkennbar sind. Beide Ehepartner zeigten in der jeweiligen nervenärztlichen Untersuchung keine Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung. Dabei wurde den wechselseitig vorgetragenen Vorwürfen und Vorhaltungen im einzelnen nachgegangen. Bei Herrn Alteck handelt es sich um einen besonnenen, der Rationalität verpflichteten, geordneten und klar denkenden Menschen. Er weist besonders gefühlvolle und affektiv leicht ansprechbare Persönlichkeitszüge auf.

Frau Alteck setzt sich offensichtlich sehr stark mit ihrer Rolle als Frau in ihrer konkreten Aufgabenstellung als Mutter auseinander und ist hier in eine konflikthafte Situation geraten. Auch sie wird aber überwiegend von rationalen Argumenten bestimmt, und ihre Auseinandersetzung mit ihrer konkreten Rollenzuweisung und Rollenerwartung erfolgt auf eine nachvollziehbare und in sich durchaus schlüssige Art und Weise.

Die uns übertragene Fragestellung beantworten wir deshalb dahingehend, - dass sowohl Herr Alteck als auch Frau Alteck nach allen Informationen und Untersuchungsergebnissen, die uns vorliegen, keine Zeichen einer psychischen Erkrankung aufweisen.



Professor Dr. Täschner
Ärzt1icher Direktor


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